Wagnerwettstreit
Während Bayreuth mit einer Inszenierung des Parsifal die Festspiele startete, trat zur gleichen Zeit das Festspielhaus Baden-Baden ebenfalls mit einer Wagneroper an. Bei den Sommerfestspielen brachte Nikolaus Lehnhoff Wagners Tannhäuser in der selten gespielten sogenannten Wiener Fassung auf die Bühne: eine Inszenierung, die den Vergleich mit Bayreuth nicht scheuen muss.
Ein Sängerwettstreit auf Distanz Baden-Baden und Bayreuth - zeitgleich. Die vielleicht vollendetste Partitur, Wagners Parsifal, und ein von Wagner als nicht vollendet empfundener Tannhäuser in Baden-Baden, im Festspielhaus. Roter Teppich hier wie dort. Prominente wohl mehr in Bayreuth, aber viel Eleganz auch in der Weltkurstadt - großer Bahnhof sozusagen im Kleinen alten Bahnhof, der nun Entree des Festspielhauses ist.
Intendant Andreas Mölich-Zebhauser geht der Konkurrenz mit dem grünen Hügel nicht aus dem Wege, er sucht selbstbewusst und kokett den Gegenentwurf: transparenter, moderner Klang gegen den weltberühmten Bayreuther Mischklang und ein durchaus fundierter Kurs gegen umdeutendes stückezertrümmerndes Regietheater. Außerdem: kein Warten auf Karten trotz musikalischer Höchstleistungen. Und was dachte das gut gekleidete und adrett frisierte Baden-Badener Publikum? Wäre es doch lieber in Bayreuth dabei gewesen?
"Ja, unbedingt. Die Qualität ist nicht so, wie wir es gewohnt sind."
"Ich bin gewissermaßen an beiden Stellen, weil ich hier persönlich anwesend bin, und die Bayreuther Veranstaltung ja im Radio übertragen wird. Und die nehme ich auf, die kann ich mir nachher anhören. Wir sind bis jetzt zufrieden."
"Es ist sehr schön heute hier."
"Also, ich finde das sehr schön hier im Festspielhaus. Man muss auf Karten nicht warten wie in Bayreuth."
Zufriedene und - wie die Aufführung dann zeigte - kundige Besucher des Baden-Badener Festspielhauses vor dem Bühnenraum. Nun aber der Blick auf die Bühne selbst:
Wenn Tannhäuser am Ende tot in Wolframs Armen liegt, gewissermaßen durch die blonde Elisabeth vor der holden Göttin Venus mit den roten Haare gerettet, sehen wir ihn, Heinrich, gleichzeitig genau jene Wendeltreppe hochsteigen, auf der zuvor Elisabeth weiß gewandet in den Himmel eingegangen ist. Diese Wendeltreppe schwingt sich von Anfang der Oper an elegant in der Mitte des Bühnenraums in die Höhe.
Zu Beginn, nach der Ouvertüre, die nahtlos ins nachträglich für die Pariser Opéra Bacchanal komponierte mündet, sehen wir Venus stolz am Fuße der Treppenachse und ihres Lotterbettzeugs stehen, während sich zu ihren Füßen madenartige oder sonst wie insektenähnliche Wesen in roséfarbenen Ganzkörperstoff bewegen, kriechen, wimmeln.
Im zweiten Akt ist die Treppe mit glitzernden kleinen Glühlampen funkelnd illuminiert, wenn Elisabeth sich in der 'teuren Halle' auf den Sängerwettstreit mit dem aus dem Venusberg zurückgekehrten Tannhäuser freut und schließlich der Einzug der Gäste auf Bühne und Treppe beginnt. Die Minnesänger drehen während des hitzigen Wettstreites unter der Aufgabenstellung des Themas Liebe dem Publikum den Rücken zu und tragen eine Art goldenen Frack. Der Hofstaat wie auch Tannhäuser sind schwarz gekleidet. Im Schlussakt ist die Treppe fast einsturzgefährdet.
Ein stringentes Bühnenbild von Raimund Bauer und eine stimmige Regiearbeit, für die Nikolaus Lehnhoff, der 2005 schon Parsifal im Baden-Badener Festspielhaus inszenierte, verantwortlich zeichnet. Hier, in dieser Koproduktion mit der Niederländischen Oper Amsterdam, wird nichts dekonstruiert oder verbogen, sondern ohne Mätzchen - bis vielleicht auf das Mikrofon für die Sänger, die um den Preis, nämlich Elisabeth konkurrieren - konzentriert inszeniert.
Die stimmig-unaufgeregte Lichtregie von Duane Schuler tut das Ihrige dazu. Der Intendant des Baden-Badener Festspielhauses, Andreas Mölich-Zebhauser, hält nichts von überambitioniertem Regietheater - wie es inzwischen auch in Bayreuth Gang und Gäbe ist. In einem Zeitungsinterview sagte er vor kurzem: "Ich habe eine Grundskepsis bei Inszenierungsansätzen, die nicht wirklich von der Musik ausgehen. Wenn sie nicht im Zentrum steht, können wir auch Film oder Theater machen." So stand denn die Musik in Baden-Baden tatsächlich im Zentrum. Und das funktionierte, denn die Musiker waren danach!
Eine erstklassige Solistenbesetzung war vorhanden und wurde auf der Bühne gut geführt: die kraftvolle Waltraud Meier als Venus, die ausdruckstarke und makellos singende Camilla Nylund als Elisabeth, Robert Gambill als stimmlich und darstellerisch überragender Tannhäuser, der temporär nur am Ende des zweiten Aufzuges etwas blass und verkrampft wirkte, mit Roman Trekel als melancholischem Wolfram und Stephan Milling als stimmgewaltigem Landgrafen. Stimmlich vorzüglich hinter und auf der Bühne auch der Philharmonia Chor Wien. Es spielte ein - wie es das Festspielhaus bevorzugt - Konzertorchester, dem die ungewohnte Rolle in der Oper eine künstlerische Herausforderung ist, nämlich das Deutschen Symphonie-Orchester Berlin.
Die musikalische Leitung hatte eines der hoffnungsvollsten Talente der jüngeren Dirigentengeneration: der Schweizer Dirigent Philippe Jordan, der im nächsten Jahr Direktor der Opéra Bastille in Paris werden wird. Er lieferte ein suggestives Dirigat ab, erhielt für seine Präzision und sein Engagement sichtbaren Beifall seiner Musiker und sorgte für selten gehörte Energiewellen.
Gespielt wurde die Wiener Fassung von 1875, bei der der von Wagner selbst aus dem Französischen ins Deutsche rückübersetzte Text der Pariser Version, die das hinzukomponierte Bacchanal enthielt, gesungen wurde. Zu dem Hauptorchester treten außerdem zwei räumlich verschieden positionierte "Venusberg"-Orchester, was zu effektvollen Raumklang-Passagen führt; und Wagner verlangte zusätzliches Schlagzeug und Glocken, schrieb vierfache Harfen vor, zwölf Hörner für die Jagdgesellschaft sowie sechs Trompeten für die Gäste auf der Wartburg - eine selten gespielte Fassung, die erst vor wenigen Jahren Eingang in die Wagner-Gesamtausgabe fand.
Der Baden-Badener Tannhäuser wäre auch ohne diese Bühnenmusikdreingaben ein voller Erfolg geworden - mit brausendem, lange, lange anhaltenden Applaus reagierte das Publikum. Schade, dass dieser Wagnerabend nach fast sechs Stunden mit zwei einstündigen Pausen so schnell vorüber war. Wagner hätte den Tannhäuser-Schluss unbedingt verlängern müssen - für diese Baden-Badener Wagner-Produktion auf jeden Fall.
Intendant Andreas Mölich-Zebhauser geht der Konkurrenz mit dem grünen Hügel nicht aus dem Wege, er sucht selbstbewusst und kokett den Gegenentwurf: transparenter, moderner Klang gegen den weltberühmten Bayreuther Mischklang und ein durchaus fundierter Kurs gegen umdeutendes stückezertrümmerndes Regietheater. Außerdem: kein Warten auf Karten trotz musikalischer Höchstleistungen. Und was dachte das gut gekleidete und adrett frisierte Baden-Badener Publikum? Wäre es doch lieber in Bayreuth dabei gewesen?
"Ja, unbedingt. Die Qualität ist nicht so, wie wir es gewohnt sind."
"Ich bin gewissermaßen an beiden Stellen, weil ich hier persönlich anwesend bin, und die Bayreuther Veranstaltung ja im Radio übertragen wird. Und die nehme ich auf, die kann ich mir nachher anhören. Wir sind bis jetzt zufrieden."
"Es ist sehr schön heute hier."
"Also, ich finde das sehr schön hier im Festspielhaus. Man muss auf Karten nicht warten wie in Bayreuth."
Zufriedene und - wie die Aufführung dann zeigte - kundige Besucher des Baden-Badener Festspielhauses vor dem Bühnenraum. Nun aber der Blick auf die Bühne selbst:
Wenn Tannhäuser am Ende tot in Wolframs Armen liegt, gewissermaßen durch die blonde Elisabeth vor der holden Göttin Venus mit den roten Haare gerettet, sehen wir ihn, Heinrich, gleichzeitig genau jene Wendeltreppe hochsteigen, auf der zuvor Elisabeth weiß gewandet in den Himmel eingegangen ist. Diese Wendeltreppe schwingt sich von Anfang der Oper an elegant in der Mitte des Bühnenraums in die Höhe.
Zu Beginn, nach der Ouvertüre, die nahtlos ins nachträglich für die Pariser Opéra Bacchanal komponierte mündet, sehen wir Venus stolz am Fuße der Treppenachse und ihres Lotterbettzeugs stehen, während sich zu ihren Füßen madenartige oder sonst wie insektenähnliche Wesen in roséfarbenen Ganzkörperstoff bewegen, kriechen, wimmeln.
Im zweiten Akt ist die Treppe mit glitzernden kleinen Glühlampen funkelnd illuminiert, wenn Elisabeth sich in der 'teuren Halle' auf den Sängerwettstreit mit dem aus dem Venusberg zurückgekehrten Tannhäuser freut und schließlich der Einzug der Gäste auf Bühne und Treppe beginnt. Die Minnesänger drehen während des hitzigen Wettstreites unter der Aufgabenstellung des Themas Liebe dem Publikum den Rücken zu und tragen eine Art goldenen Frack. Der Hofstaat wie auch Tannhäuser sind schwarz gekleidet. Im Schlussakt ist die Treppe fast einsturzgefährdet.
Ein stringentes Bühnenbild von Raimund Bauer und eine stimmige Regiearbeit, für die Nikolaus Lehnhoff, der 2005 schon Parsifal im Baden-Badener Festspielhaus inszenierte, verantwortlich zeichnet. Hier, in dieser Koproduktion mit der Niederländischen Oper Amsterdam, wird nichts dekonstruiert oder verbogen, sondern ohne Mätzchen - bis vielleicht auf das Mikrofon für die Sänger, die um den Preis, nämlich Elisabeth konkurrieren - konzentriert inszeniert.
Die stimmig-unaufgeregte Lichtregie von Duane Schuler tut das Ihrige dazu. Der Intendant des Baden-Badener Festspielhauses, Andreas Mölich-Zebhauser, hält nichts von überambitioniertem Regietheater - wie es inzwischen auch in Bayreuth Gang und Gäbe ist. In einem Zeitungsinterview sagte er vor kurzem: "Ich habe eine Grundskepsis bei Inszenierungsansätzen, die nicht wirklich von der Musik ausgehen. Wenn sie nicht im Zentrum steht, können wir auch Film oder Theater machen." So stand denn die Musik in Baden-Baden tatsächlich im Zentrum. Und das funktionierte, denn die Musiker waren danach!
Eine erstklassige Solistenbesetzung war vorhanden und wurde auf der Bühne gut geführt: die kraftvolle Waltraud Meier als Venus, die ausdruckstarke und makellos singende Camilla Nylund als Elisabeth, Robert Gambill als stimmlich und darstellerisch überragender Tannhäuser, der temporär nur am Ende des zweiten Aufzuges etwas blass und verkrampft wirkte, mit Roman Trekel als melancholischem Wolfram und Stephan Milling als stimmgewaltigem Landgrafen. Stimmlich vorzüglich hinter und auf der Bühne auch der Philharmonia Chor Wien. Es spielte ein - wie es das Festspielhaus bevorzugt - Konzertorchester, dem die ungewohnte Rolle in der Oper eine künstlerische Herausforderung ist, nämlich das Deutschen Symphonie-Orchester Berlin.
Die musikalische Leitung hatte eines der hoffnungsvollsten Talente der jüngeren Dirigentengeneration: der Schweizer Dirigent Philippe Jordan, der im nächsten Jahr Direktor der Opéra Bastille in Paris werden wird. Er lieferte ein suggestives Dirigat ab, erhielt für seine Präzision und sein Engagement sichtbaren Beifall seiner Musiker und sorgte für selten gehörte Energiewellen.
Gespielt wurde die Wiener Fassung von 1875, bei der der von Wagner selbst aus dem Französischen ins Deutsche rückübersetzte Text der Pariser Version, die das hinzukomponierte Bacchanal enthielt, gesungen wurde. Zu dem Hauptorchester treten außerdem zwei räumlich verschieden positionierte "Venusberg"-Orchester, was zu effektvollen Raumklang-Passagen führt; und Wagner verlangte zusätzliches Schlagzeug und Glocken, schrieb vierfache Harfen vor, zwölf Hörner für die Jagdgesellschaft sowie sechs Trompeten für die Gäste auf der Wartburg - eine selten gespielte Fassung, die erst vor wenigen Jahren Eingang in die Wagner-Gesamtausgabe fand.
Der Baden-Badener Tannhäuser wäre auch ohne diese Bühnenmusikdreingaben ein voller Erfolg geworden - mit brausendem, lange, lange anhaltenden Applaus reagierte das Publikum. Schade, dass dieser Wagnerabend nach fast sechs Stunden mit zwei einstündigen Pausen so schnell vorüber war. Wagner hätte den Tannhäuser-Schluss unbedingt verlängern müssen - für diese Baden-Badener Wagner-Produktion auf jeden Fall.