Waffenhersteller Heckler & Koch

Nur noch saubere Deals?

Ein Gewehr in Oberndorf beim Waffenhersteller Heckler & Koch in einem Ausstellungsraum.
Heckler & Koch will die Bundeswehr weiterhin mit Gewehren ausrüsten. © picture alliance / Patrick Seeger/dpa
Von Oliver Schmale und Uschi Götz · 29.01.2018
Gewehre mit Präzisionsmängeln und illegale Waffenexporte: Heckler & Koch ist immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Mit einer Neuausrichtung will der Waffenhersteller nun sein Image aufbessern - doch Fragen bleiben.
Ohne aufzuschauen gehen sie an einem vorbei. Die Menschen in Oberndorf sind müde. Fragen überhören sie. Immer wieder kommen Journalisten in die Stadt am oberen Neckar mit ihren 14.000 Einwohnern. Immer geht es dabei um Heckler & Koch, dem wohl bekanntesten deutschen Waffenhersteller.
Das Unternehmen hat seinen Sitz im Oberndorfer Stadtteil Lindenhof. Die Waffenschmiede ist der größte Arbeitgeber am Ort.
"Auf den Bergbau im Ruhrgebiet kann man stolz sein, auf die Uhrentechnik auch, aber bei Dingen, die ganz offensichtlich Waffen sind und nur für Waffen gebraucht werden können, ist das schon eine weit schwierigere Sache."
Andreas Kussmann Hochhalter kennt den Konflikt der Oberndorfer. Der Historiker ist Archivar und Leiter des örtlichen Heimat- und des Waffenmuseums.
Ein städtisches Museum betont er mit Blick auf eine beachtliche Waffensammlung, die in gut gesicherten Glasvitrinen gezeigt wird. Die Waffenindustrie hat Oberdorf über 200 Jahre geprägt und mit Heckler & Koch und Rheinmetall Defence sind bis heute Rüstungsunternehmen am Ort.

Standardgewehr für die deutschen Armeen

1872 gründeten die beiden Brüder Wilhelm und Paul Mauser ein Unternehmen, das mit der Auslieferung des Gewehrs M 71 den Anfang einer bis heute währenden Verbindung bildet:
"Dieses Reichsgewehr, Modell 71, wurde dann Standardgewehr der Deutschen Armee und seitdem kommen die Standardwaffen für Deutsche Armeen mit einer ganz kurzen Ausnahme aus Oberndorf. Das gilt für die kaiserliche Armee, das gilt für die Reichswehr in der Weimarer Republik, das gilt für die Wehrmacht in der Nazi-Zeit, das gilt für die Bundeswehr. Allerdings bei der Bundeswehr dann der Paradigmenwechsel von Mauser zu Heckler & Koch. Die aber auch hier in Oberndorf sind."
Heckler & Koch wurde 1949 gegründet und produzierte zunächst Ersatzteile für Haushaltsmaschinen und Fahrräder. In wenigen Jahren wandelte sich das Unternehmen zu einem reinen Rüstungsbetrieb.
"Jetzt hat das Ingenieurbüro in den 1950er-Jahren den Auftrag bekommen, vom Amt Blanck, dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums doch einmal eine Vorserie zu machen für das künftige Standardgewehr für die zu gründende Bundeswehr. Man hatte ein schweizerisches Modell, man hatte ein belgisches Modell und jetzt hatte man ein spanisches Modell. Das hat man durchnummeriert: G, wie Gewehr, und drei wie das dritte Modell."
Das G3 wird Standardgewehr der Bundeswehr. Später folgt das Sturmgewehr G36. Eine fast jahrelang ungetrübte Geschäftsbeziehung zwischen dem Waffenhersteller und der Bundeswehr.
Soldaten der Bundeswehr üben im Spezialpionierbataillon 164 in Husum mit dem G36-Gewehr.
Soldaten der Bundeswehr üben mit dem G36-Gewehr.© picture alliance / dpa / Christian Charisius

Keine Zukunft bei der Bundeswehr?

Im Jahr 2015 wird jedoch bekannt: Das G36 zeigt unter bestimmten Bedingungen Präzisionsmängel. Die Bundesregierung gibt mehrere Gutachten in Auftrag. Am Ende verkündet CDU Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen:
"Den Schluss, den ich aus diesem Abschlussbericht ziehe ist, dass das G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr hat."
Doch Heckler & Koch selbst reicht Klage ein. Im Herbst 2016 gibt das Landgericht Koblenz dem Unternehmen Recht: Das Sturmgewehr weiche nicht von der vertraglich vorausgesetzten Beschaffenheit ab. Vereinfacht ausgedrückt: Mit dem G36 hat die Bundeswehr das bekommen, was sie bestellt hat.
Und doch sollen deutsche Soldaten neue Gewehre bekommen. Der Bundeswehrauftrag für neue Sturmgewehre wird ausgeschrieben. Es geht um 120.000 neue Waffen und weiteres Zubehör im Gesamtwert von rund 245 Millionen Euro.
Heckler & Koch, Rheinmetall zusammen mit dem österreichischen Unternehmen Steyr Mannlicher bewerben sich um den Auftrag, ebenso Sig Sauer aus dem schleswig-holsteinischen Eckernförde.
Im November zieht der Waffenhersteller Sig Sauer allerdings seine Bewerbung mit dem Gewehr MCX zurück. Als deutsch-amerikanische Bietergemeinschaft hatte sich das Unternehmen an dem Vergabeverfahren beteiligt. Auf Nachfrage von Deutschlandfunk Kultur teilt Sig Sauer die Gründe schriftlich mit.
"Bei der Bewertung der möglichen Produkte war unserer Meinung nach ein Hersteller klar im Vorteil, da die Punkteverteilung bei der Bewertung auf sein Produkt zugeschnitten war."

Konkurrenten kritisieren Verteidigungsministerium

Den Namen des scheinbar bevorzugten Herstellers nennt Sig Sauer dabei nicht. Doch gemeint ist der schwäbische Waffenbauer Heckler & Koch. Das Verteidigungsministerium würde US-Bieter diskriminieren, ist an anderer Stelle von Sig Sauer zu lesen.
Eine Bedingung des Ausschreibungsverfahrens sei, dass Teile des neuen Gewehrs nicht auf der ITAR-Liste stehen dürfen. ITAR steht dabei für International Traffic in Arms Regulation, ein Regelwerk, mit dem die USA den Export und Verbleib von Rüstungsgütern kontrollieren. Weiter heißt es in dem Schreiben an uns:
"Da wir als deutsch-amerikanische Bietergemeinschaft angeboten haben gemeinsam mit Sig Sauer USA war klar, dass auch US-Technologie in unserem MCX verwendet wird. Mit der Forderung keine ITAR-Produkte anzubieten, sahen wir uns dann gezwungen, uns zurückzuziehen. Bei anderen Rüstungsgütern wird in Deutschland kein so strenger ITAR-Maßstab angelegt."
Das Verteidigungsministerium nahm zu der Kritik inhaltlich keine Stellung. Auf Anfrage folgte die standardisierte Antwort, wonach man sich aufgrund der Vertraulichkeit eines jeden Vergabeverfahrens zu laufenden Vergabeverfahren nicht näher äußere.
Gefragt nach dem Verhältnis zu dem baden-württembergischen Waffenbauer Heckler & Koch schreibt das Unternehmen im Norden:
"Sig Sauer hat eine klare und gesunde Eigentümer- und Finanzstruktur. Unsere Firma fertigt seit 1751 Waffen für Behörden und zivile Nutzer. Mit Standorten in den USA, Deutschland und der Schweiz sind wir gut aufgestellt."
Dies könnte man als Spitze in Richtung Heckler & Koch verstehen. Der bekannteste deutsche Hersteller von Kleinwaffen war in der Vergangenheit häufig in den Schlagzeilen. So droht ehemaligen Mitarbeitern ein Prozess wegen möglichen illegalen Waffenexporten nach Mexiko.

Keine Waffen für Saudi-Arabien und die Türkei

Doch bei Heckler & Koch scheint einiges in Bewegung gekommen zu sein.
So will der Waffenbauer künftig nur noch in sogenannte "grüne Länder" liefern. Das sind NATO-Staaten oder Staaten, die NATO-Mitgliedern gleichgestellt sind. Gemeint sind rechtsstaatliche Demokratien. Länder wie Saudi-Arabien, Mexiko oder Brasilien werden demnach nicht mehr beliefert – ebenso wenig die Türkei.
Doch Bilder von türkischen Soldaten im syrischen Grenzgebiet auf deutschen Leopard-2-Panzern entfachen die Debatte über Rüstungsexporte gerade wieder. Es sieht aus, als verspräche sich Heckler & Koch eine Imagekorrektur von seiner Neuausrichtung der Ausfuhrpolitik. Das Unternehmen wirbt mit einem einzigartigen Sortiment, das Pistolen, Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Präzisions- und Maschinengewehre umfasst.
Rüstungsgegner, wie der Freiburger Lehrer Jürgen Grässlin, erheben aber seit Jahren schwere Vorwürfe, was die Nutzung dieses Sortiments betrifft.
Seit einigen Monaten ist jedoch eine erstaunliche Annäherung zwischen Grässlin und dem schwäbischen Waffenhersteller zu verzeichnen. Zur neuen Strategie von Heckler & Koch zählt auch, sich jetzt seinen Kritikern zu stellen.
Mitte August 2017, Sulz am Neckar. Rund zehn Kilometer vom Stammsitz des börsennotierten Unternehmens entfernt findet die Hauptversammlung der Aktionäre statt. Treffpunkt ist ein Wellness-Hotel. Am Straßenrand vor dem Gebäude stehen Polizisten und beobachten eine Handvoll Friedensaktivisten.

Der Waffenhersteller wird kommunikativ

Kurz vor dem Aktionärstreffen halten ein paar Frauen und Männer Plakate mit der Aufschrift "Stoppt den Waffenhandel" hoch. Unter den Demonstrierenden ist auch Rüstungsgegner Jürgen Grässlin. Er und sechs Mitstreiter haben Aktien gekauft und werden erstmals an einer Hauptversammlung von Heckler & Koch teilnehmen. Was sie dann erleben, beeindruckt Grässlin anhaltend:
"Ich glaube, dass die Hauptversammlung am 15. August 2017 sowohl für Vorstand und Aufsichtsrat von Heckler & Koch, als auch für uns, die wir kritische Aktionärinnen und Aktionäre sind, überraschend war, deshalb weil es tatsächlich zu einer intensiven Kommunikation kam."
Auch vor den Türen des Tagungsortes geschieht an diesem Tag etwas Unerhörtes. Nach der Hauptversammlung geht der Vorstandsvorsitzende Norbert Scheuch auf die wartenden Journalisten zu. Zur Hauptversammlung waren sie nicht zugelassen. Doch bereitwillig stellt sich Scheuch nun ihren Fragen und bestätigt dabei, dass es neue Umgangsformen – und neue Geschäftsziele gibt:
"Ja, der Umschwung kommt einfach aus einer kritischen Bewertung des Geschäftes heraus, und wir wollen uns mit dem Unternehmen, mit den Unternehmensaktivitäten konform verhalten. Es ist so, dass die Bundesregierung einen Korridor vorgibt, und in diesem Korridor haben wir uns noch einmal ein eigene Selbstbeschränkung auferlegt, eine Einschätzung eingezogen von Ländern, von denen wir glauben, es könnte möglicherweise problematisch sein, dorthin Handwaffen zu liefern."
Zwei Wochen später wird Norbert Scheuch allerdings entlassen. Die Gründe dazu teilt die Firma nicht mit. Der Manager klagt jetzt gegen seinen Rausschmiss vor dem Landgericht Rottweil, im April soll sich eine Kammer für Handelssachen damit befassen. Für die interessierte Öffentlichkeit ist Norbert Scheuch derzeit nicht zu sprechen.

Rüstungsgegner wollen weitere Aktien kaufen

Kaum war Scheuchs Entlassung bekannt geworden, wird allerdings Dieter John, Aufsichtsratsvorsitzender von Heckler & Koch, telefonisch bei Rüstungsgegner Grässlin vorstellig. John kündigte an, man werde weiterhin die "Grüne-Länder-Strategie" verfolgen.
Das wirft Fragen auf. Bei Heckler & Koch meldet sich, anders als früher, ein Unternehmenssprecher innerhalb kürzester Zeit zurück – und sorgt dafür, dass nahezu alle Punkte wenigstens schriftlich beantwortet werden. Etwa, ob es trotz der Entlassung des Vorstandsvorsitzenden Scheuch bei der Neuausrichtung bleibe:
"Die strategische Neuausrichtung von Heckler & Koch ist eine Maßnahme, die nicht an Einzelpersonen gekoppelt ist, sondern vielmehr von Vorstand, Aufsichtsrat und Gesellschaftern gleichermaßen mitgetragen wurde und wird."
Als Konsequenz habe man sich aus den Krisenregionen dieser Welt zurückgezogen, teilt Heckler & Koch mit.
Ausdrücklich wird in dem Antwortschreiben der Dialog mit Grässlin und seinen Mitstreitern gelobt:
Rüstungsgegner Grässlin hat indes angekündigt, seine Mitstreiter und er würden noch mehr Aktien kaufen, um noch besser über Heckler & Koch wachen zu können. Am 3. Februar gründen sich in Freiburg die "Kritischen Aktionäre Heckler & Koch". Trotz Annährung bleibe man vorsichtig:
"Der Wolf im Schafspelz hat natürlich eine Intention: Die Intention heißt, den Großauftrag von über 120.000 Sturmgewehren für die Bundeswehr zu gewinnen. Wir reden von 250 Millionen Euro, die dieser Auftrag wert ist. Und der klassischen Signalwirkung: Wenn wir, Heckler & Koch, die Standardwaffe für die Bundeswehr liefern, werden wir in Zukunft auch über Jahrzehnte hinaus Exporte tätigen können."
Mehr zum Thema