"Wähler haben sich gegen Abbau des Sozialstaates entschieden"
Der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Jürgen Peters, sieht den Auftrag zur Regierungsbildung eindeutig bei der SPD. Die Bundestagswahl sei in der Tat eine Richtungsentscheidung gewesen, sagte Peters. Die Bürger hätten zwischen zwei Blöcken wählen müssen: dem bürgerlichen, der für den Abriss des Sozialstaates stehe, und dem linken, der die Solidarität der Gesellschaft erhalten wolle.
Ricke: Herr Peters, jetzt haben wir ein Doppelminus, "Nein" zu Rot-Grün, "Nein" zu Schwarz-Gelb. In der Mathematik gibt zweimal Minus Plus, in der Politik klappt es leider nicht. Erkennen Sie denn bei einer der regierungsfähigen Parteien irgendeinen konstruktiven Ansatz?
Peters: Ja, das schon. Sehen Sie mal, da sind bei den Wahlen zwei große Blöcke aufeinander gelaufen. Man sprach ja auch von einer Richtungswahl, ich glaube, ganz zu Recht. Die eine Richtung, CDU/CSU und FDP, wollen einen radikalen Einschnitt in den Sozialstaat, im Grunde genommen den Abriss des Sozialstaates, und die anderen, die durchaus ja auch zu kritisierenden Reformen auf den Weg gebracht haben, wollen mindestens aber die Solidarität der Gesellschaft erhalten, eine solidarische Weiterentwicklung des Sozialstaates. Hier hat es also gravierende Unterschiede zwischen den beiden Blöcken gegeben. Nun hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommen, obwohl sie ausdrücklich gesagt haben, was sie tun wollen. Sie wollen gegen die Gewerkschaften, sie wollen gegen die Tarifautonomie, sie wollen Einschnitte in die soziale Lage der Arbeitnehmer vornehmen, insbesondere im Steuersystem usw. Die anderen haben sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, Erhalt der Tarifautonomie, Erhalt der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, insbesondere auch der Rechte der Betriebsräte in den Betrieben, Kündigungsschutz etc. Das heißt, hier ist schon eine Auseinandersetzung gewesen, die dann eindeutig für die Weiterentwicklung des Sozialstaates, nicht Abbruch, also ein deutliches Signal auch an die SPD, dass sie die letzten Tage ihres Wahlkampfes mit den Themen bestimmt hat, die dann auch einen Zulauf wieder bedeuten.
Ricke: Die Partei, die Sie nicht aufgezählt haben bei der Skizzierung dieser beiden Blöcke, ist die Linkspartei. Die hat ja versucht, die Gewerkschafter hinter sich zu scharen, hat aber auch gleichzeitig gesagt, in der Opposition liegt das Heil, auf gut Deutsch, wir können nichts außer meckern. Kann die denn, diese Linkspartei, die ja dazu geführt hat, dass keine der beiden Blöcke regierungsfähig ist, in irgendeiner Art und Weise irgendwann mal konstruktiv beteiligt werden?
Peters: Also zunächst einmal muss man sagen, dass das, was die Aussagen da angeht, sicherlich alles im Wahlkampf geschuldet, möglicherweise im Augenblick eine Festlegung ist, die ich im Übrigen auf Dauer nicht teilen würde. Eine Partei, die nicht den Anspruch erhebt, auch in der Regierung mitzugestalten, nur in der Opposition zu opponieren, ist eine Partei, die keine lange Zukunft haben wird.
Ricke: Was heißt "auf Dauer"?
Peters: Na ja, sehen Sie, im Augenblick ist es, glaube ich, schwierig, dass die Linkspartei zum Beispiel mit der SPD und den Grünen in irgendeiner Form konstruktive Gespräche für eine Regierungsbildung sucht. Dafür sind die Narben, die man sich gegeneinander gehauen hat, wahrscheinlich noch zu tief. Wir werden aber sehen. Prinzipiell muss man doch sagen, dass jetzt hier eine Mehrheit links von der Mitte sich gebildet hat, die im Augenblick nicht in der Lage ist, sich zu organisieren und konstruktiv nach vorne zu arbeiten. Ich glaube aber, dass es tendenziell möglich sein muss, weil jede Partei, jede demokratisch gewählte Partei mit einer anderen Partei auch den Anspruch erheben muss, Regierungsverantwortung zu übernehmen, sonst macht es ja wenig Sinn.
Ricke: Ist es überhaupt noch sinnvoll, über links und rechts zu diskutieren? Verlaufen die Linien nicht ganz woanders? Der Satz zum Beispiel, die wirtschaftliche Stagnation muss überwunden werden und gleichzeitig muss der soziale Schutz gewährleistet bleiben, der kommt nicht etwa von der Linkspartei, von der SPD oder den Gewerkschaften, der stammt vom Caritasdirektor.
Peters: Na gut, sehen Sie mal, mit irgendwelchen allgemeinen Bemerkungen hat man immer Recht. Das Problem ist doch nicht etwa, dass jemand gegen Wachstum wäre, sondern es dreht sich darum, was soll denn jetzt wachsen in der Wirtschaft und in welche Richtung soll es wachsen? Niemand hat etwas gegen Reformen. Die Frage ist doch, welche Inhalte sind in dieser Reform zu sehen, wer wird belastet und wer wird entlastet? Das sind doch die Fragen und nicht so allgemeine Phrasen, die für jeden gelten würden und jeder sich dahinter verstecken kann. Wir wollen sehr konkret wissen, wie haltet ihr es zum Beispiel mit Lohndumping, Tarifdumping, Sozialdumping, Steuerdumping? Wollen wir etwas dagegen tun oder nehmen wir das billigend in Kauf? Wollen wir beispielsweise über Mindestlöhne reden und wie ist das beispielsweise im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit? Wollen wir so weitermachen, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, oder wollen wir hier wieder einen Ausgleich suchen? Die soziale Gerechtigkeit, darum haben wir gestritten, darum haben wir gekämpft, und da sehen wir, dass es eben eine Mehrheit gibt, die für dieses Projekt ist. Gegen die Arbeitnehmer gerichtete Politik – das muss doch auch die Botschaft sein – hat keine Mehrheit in Deutschland, Gott sei Dank nicht.
Ricke: Sie brauchen aber auch Politik, die es den Arbeitgebern ermöglicht, am Standort Deutschland weiter wirtschaftlich zu produzieren. Wenn wir jetzt zum Beispiel uns Siemens ansehen, dann sehen wir, dass dort sehr harte Einschnitte in drei Problemsparten angedacht werden, da stehen mehrere Tausend Jobs auf der Kippe. Es geht ja auch darum, nicht nur diese Tausende Jobs zu retten, sondern das Unternehmen so zu stabilisieren, dass die weltweit 400.000 Arbeitsplätze gehalten werden können. Welchen Beitrag kann da Politik, eine nationale Politik spielen, wenn ein Weltkonzern solche Probleme hat?
Peters: Zunächst mal muss man die Probleme analysieren, ob es tatsächlich Probleme sind, die jetzt in der Produktion oder im Verkauf liegen, beispielsweise bei den Kosten, bei den Umweltbedingungen etc. Manchmal hat man den Eindruck, dass hier Unternehmen auch einen Mitnahmeeffekt suchen, das heißt, sie haben gesehen, die Bereitschaft einer Gewerkschaft, abweichende Regelungen vom Tarifvertrag zu machen, prompt kommen alle auf die Matte und wollen hier das Gleiche haben, nach dem Motto, ich will hier wie mein Konkurrent gleichgestellt, besser noch, besser gestellt werden. Das ist die eine Seite der Medaille. Ich verhehle aber nicht, dass wir in vielen Bereichen Probleme haben, aber das ist doch kein neues Phänomen. Hier einen vernünftigen Ausgleich zu suchen, hier Lösungen zu suchen, die eben nicht nur bedeuten, Eingriffe in den Tarifvertrag, sondern intelligente Lösungen, die auch auf Dauer tragen. Sie müssen mal sehen, wenn Tarifdumping Schule macht, ist doch keinem Unternehmen geholfen, wir finden uns doch nur alle auf einem niedrigeren Niveau wieder. Letztendlich sehen wir doch, dass Siemens – und Siemens insbesondere – nun kein Sanierungsfall ist. Siemens ist eine Company stark wie kaum ein zweites Unternehmen in Deutschland und in der Welt, und sie haben an den verschiedenen Problemteilen oftmals auch Entscheidungen getroffen, die sich jetzt rächen, das heißt, hier sind auch Managementfehler gemacht worden, und es ist zu einfach, dass das alles die Belegschaften ausgleichen sollen.
Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.
Peters: Ja, das schon. Sehen Sie mal, da sind bei den Wahlen zwei große Blöcke aufeinander gelaufen. Man sprach ja auch von einer Richtungswahl, ich glaube, ganz zu Recht. Die eine Richtung, CDU/CSU und FDP, wollen einen radikalen Einschnitt in den Sozialstaat, im Grunde genommen den Abriss des Sozialstaates, und die anderen, die durchaus ja auch zu kritisierenden Reformen auf den Weg gebracht haben, wollen mindestens aber die Solidarität der Gesellschaft erhalten, eine solidarische Weiterentwicklung des Sozialstaates. Hier hat es also gravierende Unterschiede zwischen den beiden Blöcken gegeben. Nun hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommen, obwohl sie ausdrücklich gesagt haben, was sie tun wollen. Sie wollen gegen die Gewerkschaften, sie wollen gegen die Tarifautonomie, sie wollen Einschnitte in die soziale Lage der Arbeitnehmer vornehmen, insbesondere im Steuersystem usw. Die anderen haben sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, Erhalt der Tarifautonomie, Erhalt der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, insbesondere auch der Rechte der Betriebsräte in den Betrieben, Kündigungsschutz etc. Das heißt, hier ist schon eine Auseinandersetzung gewesen, die dann eindeutig für die Weiterentwicklung des Sozialstaates, nicht Abbruch, also ein deutliches Signal auch an die SPD, dass sie die letzten Tage ihres Wahlkampfes mit den Themen bestimmt hat, die dann auch einen Zulauf wieder bedeuten.
Ricke: Die Partei, die Sie nicht aufgezählt haben bei der Skizzierung dieser beiden Blöcke, ist die Linkspartei. Die hat ja versucht, die Gewerkschafter hinter sich zu scharen, hat aber auch gleichzeitig gesagt, in der Opposition liegt das Heil, auf gut Deutsch, wir können nichts außer meckern. Kann die denn, diese Linkspartei, die ja dazu geführt hat, dass keine der beiden Blöcke regierungsfähig ist, in irgendeiner Art und Weise irgendwann mal konstruktiv beteiligt werden?
Peters: Also zunächst einmal muss man sagen, dass das, was die Aussagen da angeht, sicherlich alles im Wahlkampf geschuldet, möglicherweise im Augenblick eine Festlegung ist, die ich im Übrigen auf Dauer nicht teilen würde. Eine Partei, die nicht den Anspruch erhebt, auch in der Regierung mitzugestalten, nur in der Opposition zu opponieren, ist eine Partei, die keine lange Zukunft haben wird.
Ricke: Was heißt "auf Dauer"?
Peters: Na ja, sehen Sie, im Augenblick ist es, glaube ich, schwierig, dass die Linkspartei zum Beispiel mit der SPD und den Grünen in irgendeiner Form konstruktive Gespräche für eine Regierungsbildung sucht. Dafür sind die Narben, die man sich gegeneinander gehauen hat, wahrscheinlich noch zu tief. Wir werden aber sehen. Prinzipiell muss man doch sagen, dass jetzt hier eine Mehrheit links von der Mitte sich gebildet hat, die im Augenblick nicht in der Lage ist, sich zu organisieren und konstruktiv nach vorne zu arbeiten. Ich glaube aber, dass es tendenziell möglich sein muss, weil jede Partei, jede demokratisch gewählte Partei mit einer anderen Partei auch den Anspruch erheben muss, Regierungsverantwortung zu übernehmen, sonst macht es ja wenig Sinn.
Ricke: Ist es überhaupt noch sinnvoll, über links und rechts zu diskutieren? Verlaufen die Linien nicht ganz woanders? Der Satz zum Beispiel, die wirtschaftliche Stagnation muss überwunden werden und gleichzeitig muss der soziale Schutz gewährleistet bleiben, der kommt nicht etwa von der Linkspartei, von der SPD oder den Gewerkschaften, der stammt vom Caritasdirektor.
Peters: Na gut, sehen Sie mal, mit irgendwelchen allgemeinen Bemerkungen hat man immer Recht. Das Problem ist doch nicht etwa, dass jemand gegen Wachstum wäre, sondern es dreht sich darum, was soll denn jetzt wachsen in der Wirtschaft und in welche Richtung soll es wachsen? Niemand hat etwas gegen Reformen. Die Frage ist doch, welche Inhalte sind in dieser Reform zu sehen, wer wird belastet und wer wird entlastet? Das sind doch die Fragen und nicht so allgemeine Phrasen, die für jeden gelten würden und jeder sich dahinter verstecken kann. Wir wollen sehr konkret wissen, wie haltet ihr es zum Beispiel mit Lohndumping, Tarifdumping, Sozialdumping, Steuerdumping? Wollen wir etwas dagegen tun oder nehmen wir das billigend in Kauf? Wollen wir beispielsweise über Mindestlöhne reden und wie ist das beispielsweise im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit? Wollen wir so weitermachen, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, oder wollen wir hier wieder einen Ausgleich suchen? Die soziale Gerechtigkeit, darum haben wir gestritten, darum haben wir gekämpft, und da sehen wir, dass es eben eine Mehrheit gibt, die für dieses Projekt ist. Gegen die Arbeitnehmer gerichtete Politik – das muss doch auch die Botschaft sein – hat keine Mehrheit in Deutschland, Gott sei Dank nicht.
Ricke: Sie brauchen aber auch Politik, die es den Arbeitgebern ermöglicht, am Standort Deutschland weiter wirtschaftlich zu produzieren. Wenn wir jetzt zum Beispiel uns Siemens ansehen, dann sehen wir, dass dort sehr harte Einschnitte in drei Problemsparten angedacht werden, da stehen mehrere Tausend Jobs auf der Kippe. Es geht ja auch darum, nicht nur diese Tausende Jobs zu retten, sondern das Unternehmen so zu stabilisieren, dass die weltweit 400.000 Arbeitsplätze gehalten werden können. Welchen Beitrag kann da Politik, eine nationale Politik spielen, wenn ein Weltkonzern solche Probleme hat?
Peters: Zunächst mal muss man die Probleme analysieren, ob es tatsächlich Probleme sind, die jetzt in der Produktion oder im Verkauf liegen, beispielsweise bei den Kosten, bei den Umweltbedingungen etc. Manchmal hat man den Eindruck, dass hier Unternehmen auch einen Mitnahmeeffekt suchen, das heißt, sie haben gesehen, die Bereitschaft einer Gewerkschaft, abweichende Regelungen vom Tarifvertrag zu machen, prompt kommen alle auf die Matte und wollen hier das Gleiche haben, nach dem Motto, ich will hier wie mein Konkurrent gleichgestellt, besser noch, besser gestellt werden. Das ist die eine Seite der Medaille. Ich verhehle aber nicht, dass wir in vielen Bereichen Probleme haben, aber das ist doch kein neues Phänomen. Hier einen vernünftigen Ausgleich zu suchen, hier Lösungen zu suchen, die eben nicht nur bedeuten, Eingriffe in den Tarifvertrag, sondern intelligente Lösungen, die auch auf Dauer tragen. Sie müssen mal sehen, wenn Tarifdumping Schule macht, ist doch keinem Unternehmen geholfen, wir finden uns doch nur alle auf einem niedrigeren Niveau wieder. Letztendlich sehen wir doch, dass Siemens – und Siemens insbesondere – nun kein Sanierungsfall ist. Siemens ist eine Company stark wie kaum ein zweites Unternehmen in Deutschland und in der Welt, und sie haben an den verschiedenen Problemteilen oftmals auch Entscheidungen getroffen, die sich jetzt rächen, das heißt, hier sind auch Managementfehler gemacht worden, und es ist zu einfach, dass das alles die Belegschaften ausgleichen sollen.
Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.