"Wählen Sie bitte am besten sofort!"

Von Burkhard Müller-Ullrich |
"Auf Ihre Stimme kommt es an!" heißt es weiter im Merkblatt zur Sozialwahl. Da greife der Untertan zum Griffel und nehme an einer dadaistischen Demokratiesimulation teil, die unter der Devise stünde: "Mit dem roten Wahlumschlag für Rente und Gesundheit.", kommentiert Journalist Müller-Ullrich.
Gestern, liebe Kinder, haben wir Kaufladen gespielt mit all den klitzekleinen Schächtelchen, auf denen die Namen echter Markenprodukte stehen, und vorgestern war es die Kinderpost mit all den niedlichen Stempeln und Formularen wie in einer echten Postfiliale. Heute aber, ihr kleinen und ihr großen Leute, machen wir etwas ganz Besonderes: Wir spielen Demokratie. Dafür bekommt ihr jetzt landauf, landab allerliebste Stimmzettel geschickt, außerdem geheimnisvolle Wahlbriefumschläge und noch geheimnisvollere Merkblätter, auf denen beispielsweise steht: "Die Vertreterversammlung – das oberste Gremium der Selbstverwaltung Ihres Rentenversicherungsträgers – trifft weit reichende Entscheidungen, die die soziale Sicherung betreffen."

Das ist ein Satz, über den man eine Weile nachdenken muss. Hätten sich Regierung und Parlament also das ganze Renten- und Sozialgedöns der letzten Jahre sparen können, weil gar nicht sie, sondern die Vertreterversammlungen der Versicherungsträger weit reichende Entscheidungen treffen? Sind wir vielleicht völlig schief gewickelt mit unserer Vorstellung vom Ort der Politik? Was kreuzen wir denn immer noch Listen wie CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen oder FDP an, wenn es auch Stimmzettel mit BfA-Gemeinschaft, TK-Gemeinschaft oder DAK-Mitgliedergemeinschaft gibt?

Die Frage stellt sich umso dringender, als kein Mensch diese merkwürdigen Gemeinschaften kennt. Wahrhaftig ist es im Zuge einer der großartigsten surrealistischen Aktionen unserer Epoche gelungen, Abermillionen von Postempfängern durch sogenannte Sozialwahlunterlagen nicht nur in heillose Verwunderung zu stürzen, sondern zu Mitspielern in einer Sache zu machen, bei der bloß die versteckte Kamera fehlt.

"Wählen Sie bitte am besten sofort!", heißt es in dem Merkblatt und: "Auf Ihre Stimme kommt es an!" Da greift der Untertan zum Griffel und nimmt an einer dadaistischen Demokratiesimulation teil, die allen Ernstes unter der Devise steht: "Mit dem roten Wahlumschlag für Rente und Gesundheit." So funktioniert Deutschland: Während die Arbeitslosigkeit auf nationaler Ebene mit einem neuen Logo der betreffenden Behörde bekämpft wird, wählt man sich mit roten Umschlägen zu höherer Rente und mehr Gesundheit durch. Ja, unser System der sozialen Wahlwirtschaft sieht sogar die eigenverantwortliche Selbstverwaltung der Misere vor. Denn sollte es mit Rente und Gesundheit in Zukunft nichts Rechtes werden, dann muss sich jeder selber an die Nase fassen: Hat wahrscheinlich falsch gewählt.