Wächter der heiligen Stätten

Von Andi Stummer |
Die Aborigines nannten das Land Koongarra. Für sie ist die hügelige Gegend ein Ort heiliger Kultstätten. Doch unter der Erde liegen nicht nur die Gebeine zahlreicher Ureinwohner, sondern auch riesige Uran-Vorkommen. Der Ranger Jeffrey Lee hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Land vor dem Ansturm von Touristen und Investoren zu schützen.
Eine Führung am Fuß des Nourlangie Rock im Kakadu-Nationalpark Nordaustraliens. Die steil abfallende Felswand ist mit uralten, ockerfarbenen Aborigine-Malereien bedeckt: 230.000 Touristen besuchen jährlich den Fels, um das prähistorische Bilderbuch aus Stein zu bestaunen. Doch Nourlangie Rock ist für sie Endstation. Ein „Durchfahrt verboten“-Schild untersagt die Weiterfahrt. Aufgestellt hat es einer der Park-Ranger in Kakadu, der Aborigine Jeffrey Lee.

„Ich mache mir Sorgen um das hügelige Land, das hinter dem Felsen liegt. Es ist voller klarer Quellen, heiliger Kultstätten und Friedhöfe meiner Urahnen. Mein Volk gab dieser Gegend den Namen ‚Koongarra‘. Meine Aufgabe ist es, das Land zu beschützen. Es ist Teil unserer Geschichte – und die möchte ich nicht aufs Spiel setzen.“

Die abgetragene Baseballkappe verdeckt einen pechschwarzen Wuschelkopf. Ein Fünftages-Bart, kleine, dunkle Augen und eine große, flache Nase: Sein Gesicht sieht aus wie ein ungemachtes Bett. Jeffrey Lee gehört zu den Djok, einem Clan, der seit 40.000 Jahren in Kakadu zuhause ist. Mit erst 37 Jahren ist Jeffrey nicht nur der Stammesälteste, er ist der Stamm. Seit dem Tod seines Onkels vor 20 Monaten ist Jeffrey der letzte Überlebende der Djok – und allein verantwortlich für Koongarra, das Land seines Volkes.

„Es ist ein wunderschöner Flecken Erde. Meine Großmutter hat mir das Land und all seine Schätze gezeigt. Alles, was ich weiß, haben mir meine Vorfahren hier beigebracht als ich noch ein Kind war. Die nächste Generation soll unsere Kultur auf diesem Land weiterführen und den Jüngeren das lehren, was wir schon von unseren Urahnen gelernt haben.“

Doch Koongarra ist nicht nur Jeffreys Heimat, es ist auch eine Goldgrube. Unter der Erde liegen 14.000 Tonnen Uran im Wert von dreieinhalb Milliarden Euro. Uran ist knapp, die weltweite Nachfrage aber steigt und steigt. Genau wie der Preis. Das gelbliche, radioaktive Metallpulver ist heute viermal so teuer wie noch vor zehn Jahren. Seine Unterschrift hätte genügt, um die Bagger anrollen zu lassen. Jeffrey Lee wäre über Nacht einer der reichsten Männer der Welt gewesen. Doch er hat abgelehnt. Koongarra, sagt er, sei unbezahlbar.

„All das Gerede: Hier hast du ein neues Auto, hier ein neues Haus. Kauf’ dir was du willst, dann wirst du glücklich. Mir bedeutet das gar nichts. Ich habe einen Job und mein Land gibt mir alles, was ich brauche. Ich gehe dort fischen, jagen und esse, was ich im Busch finde. Ich bin eins mit meinem Land. Und deshalb möchte ich auch nicht, dass es zerstört wird.“

Koongarra ist ein heiliger Ort. Wie seine Vorfahren glaubt Jeffrey, dass dort ein mythisches Urwesen lebt: Gudgibidangoj – eine riesige Blauzungen-Eidechse. Sie soll vor zehntausenden Jahren die Sümpfe, Flussläufe und Felshügel Koongarras geschaffen haben. Danach verschwand die Eidechse in der Erde. Sie zu stören bedeutet Unheil, erzählt Jeffrey. Denn Gudgibidangoj wacht nicht nur über die Geister seiner Urahnen. Sie soll auch verhindern, dass Koongarras Uran in Atomwaffen oder Kernkraftwerken endet.

„Das Anreichern und der Umgang mit Uran sind ein heikles Thema. Wir reden hier von einem starken Giftstoff. Ich lerne noch, was es alles anrichten kann. Aber in anderen Ländern beeinflusst es das Leben vieler Menschen. Auch deshalb muss ich stark sein und nein sagen.“

Jeffrey ist unverheiratet und hat keine Kinder. Seit seiner Entscheidung kein Uran auf seinem Stammesland fördern zu lassen fürchtet er um sein Leben. Denn: Stirbt er, hat Koongarra keinen Besitzer. Das Land liegt nur drei Kilometer außerhalb der Grenzen von Kakadu. Seit 1984 ist das Schmückstück unter Australiens Nationalparks durch den Titel „Weltkulturerbe“ geschützt. Jetzt verhandelt Jeffrey Lee mit der australischen Regierung, dass auch Koongarra Naturschutzgebiet wird. Denn dann könnte der letzte Aborigine seines Clans endlich wieder ruhig schlafen.

„Ein großes Loch im Boden ist nicht die Lösung für uns Ureinwohner. Es gibt andere Wege, die Zukunft unseres Volkes und unser Land für immer zu bewahren. Aber dazu müssen wir uns mit einer gemeinsamen Stimme Gehör verschaffen. Das sage ich nicht nur mit meinem Mund, sondern aus vollem Herzen.“