Wachstum

"Durch mehr Schulden wird man das Problem nicht lösen"

Mehrere Geldscheine im Wert von 5, 10, 20 und 50 Euro.
Verschuldung führt nicht automatisch zu mehr Investitionen, sagt Clemens Fuest. © dpa / Stephan Persch
Clemens Fuest im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
"Die Logik dieser Krise ist, dass eine Politik der Überschuldung, des Konsumierens auf Pump sich irgendwann rächt", sagt der Ökonom Clemens Fuest. Ohne Strukturreformen würden Investitionen nur Strohfeuer bleiben, betont der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.
Korbinian Frenzel: Links und erfolgreich, das gibt es nicht besonders häufig zurzeit. Einer ist es: Matteo Renzi, der neue italienische Premierminister, der mit seiner Regierung heute die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernimmt. Und das tut er mit einer Agenda, die viele in Europa glücklich machen könnte - die nämlich, die unter dem strengen Reform- und Sparkurs leiden. Mehr Wachstum, mehr Investition, weniger sparen. Oder vielleicht kann man es so verkürzen: weniger Merkel. Macht das Sinn oder scheuen sich da die Krisenstaaten nur vor ihren berühmten Hausaufgaben? Fragen an Clemens Fuest, Volkswirtschaftsprofessor in Mannheim und Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Guten Morgen!
Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ohne Wachstum ist Stabilität in Europa unmöglich, die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre ist aus diesem Grund gescheitert. Das sagt Matteo Renzi. Ist an dieser Aussage etwas falsch?
Fuest: Ich halte die Aussage für falsch. Wir sind natürlich durch eine schwere Krise gegangen, das war eine Krise, die verursacht worden ist durch zu hohe Verschuldung, nicht nur Staatsverschuldung, sondern auch private. Aber die Politik in den letzten Jahren, das Krisenmanagement hat ja doch dazu geführt, dass die Wirtschaft sich stabilisiert hat. Und viele haben ja gesagt, nein, das klappt nicht, wir geraten immer tiefer in eine Negativspirale aus Staatsausgaben kürzen, fallendem Wachstum und so weiter. Das hat sich aber nicht gezeigt, dass das so ist, sondern die Wirtschaft hat sich ja immerhin stabilisiert.
Wir haben jetzt wieder leicht positive Wachstumsraten im Durchschnitt. Es ist schwer, aus dieser Krise herauszukommen, aber gescheitert ist die Politik nicht.

Frenzel: Das mag mit Blick einer Wirtschaftsbrille gelten. Aber wenn wir uns anschauen, zu welchem Preis das bisher reicht, einer Verarmung in Südeuropa, einer enormen Jugendarbeitslosigkeit – muss man da nicht doch zu dem Ergebnis kommen, dass insgesamt diese Politik gescheitert ist aus der Perspektive der Menschen?
Zu sehen ist eine Essensausgabe in Athen. Einheimische und Migranten erhalten von freiwilligen Helfern Lebensmittel.
Folge der Krise: Essensausgabe an Einheimische und Migranten in Athen© dpa / Sandra Weller
Krise in Südeuropa ist Folge mangelnder Reformen
Fuest: Das Ganze ist für die Menschen sehr schwierig. Man muss aber sehen, dass in Südeuropa die Regierungen und die Menschen über ihre Verhältnisse gelebt haben, zu viele Schulden gemacht haben, den Konsum in die Höhe geschraubt haben. Und sich aus so einer Situation anzupassen, das kennt man auch aus dem privaten Bereich, das ist sehr schmerzhaft.
Wenn jetzt viele Jugendliche beispielsweise arbeitslos sind oder auch sonst viele Menschen arbeitslos sind, dann ist das für jeden Einzelnen sehr schlimm. Das Ganze ist aber unter anderem eine Folge mangelnder Reformen, überregulierter Arbeitsmärkte. Und da muss sich was bewegen. Durch mehr Schulden wird man das Problem nicht lösen.
Frenzel: Überregulierte Arbeitsmärkte, sagen Sie. Das heißt, die Antwort auf diese Wirtschaftskrise, auf diese europäische Krise ist Ihrer Meinung nach, dass wir quasi mehr Kapitalismus wagen?
Fuest: Ja, es geht nicht um Kapitalismus, sondern es geht einfach darum, Bedingungen zu schaffen, dass eben Beschäftigung stattfinden kann. Wir sehen ja zum Beispiel aus den skandinavischen Ländern, aus Dänemark in den 80er-Jahren, aus Deutschland in den frühen 2000er-Jahren, dass man durch Reformen wieder zu mehr Beschäftigung kommen kann, deswegen aber nicht gleich die soziale Marktwirtschaft abschaffen muss.
Es geht einfach darum, vernünftige Arbeitsmarktbedingungen zu schaffen. In Italien ist es etwa so, dass der Arbeitsmarkt derzeit gespalten ist. Es gibt die Arbeitsplatzbesitzer, die sehr gut geschützt sind, und dann gibt es viele vor allem junge Leute, die durch Arbeitsmarktregulierung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Das ist ungerecht. Letztlich ist also auch Arbeitsmarktreform ein Thema größerer Gerechtigkeit.
Frenzel: Aber wenn wir uns zum Beispiel die Kriseninstrumente in Griechenland angucken, die starken Absenkungen der Gehälter im öffentlichen Dienst, Krankenschwestern, Lehrer, die 20, 30 Prozent weniger verdienen, gleichzeitig, wenn man nach Frankreich schaut, wo eine Regierung gescheitert ist mit dem Versuch, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten … Ist das die Logik dieser Krise, dass sie letztendlich von den kleinen Leuten bezahlt werden muss?
"Falsche Wirtschaftspolitik trifft zuallererst die kleinen Leute"
Fuest: Die Logik dieser Krise ist, dass eine Politik der Überschuldung, des Konsumierens auf Pump, dass diese Politik sich irgendwann rächt. Und das ist eine Politik, die wir beobachtet haben in Südeuropa. Das war nicht nur konsumieren auf Pump im öffentlichen Sektor, sondern auch teilweise im privaten. Aber in dieser Politik liegt das Problem. Und das kann man dann nicht dadurch lösen, dass man Reichensteuern oder so einführt, sondern eine falsche Wirtschaftspolitik – das ist richtig –, die trifft zuallererst die kleinen Leute.
Das heißt, wir müssen zurückkehren zu einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik, einer, die nicht auf Strohfeuereffekten beruht. Und deshalb ist es jetzt falsch, das nächste Strohfeuer zu zünden, sondern wir brauchen Strukturreformen, wir müssen zu Arbeitsmärkten kommen, die langfristig funktionieren. Natürlich ist es so, dass solche Reformen nicht innerhalb von sechs Monaten helfen. Und deshalb ruft jetzt die Politik eben wieder nach mehr Verschuldung. Aber wir kommen so aus den Problemen nicht heraus.

Frenzel: Schauen wir mal auf die konkreten Vorschläge auch von Matteo Renzi zum Beispiel: Der sagt, Zukunftsinvestitionen der Staaten sollen rausgerechnet werden aus der Schuldenberechnung, also Geld für Forschung zum Beispiel. Was spricht da dagegen?
Madrid im September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung.
September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung.© picture alliance / dpa / Fabian Stratenschulte
Bei den Staatsschulden ist das Ende der Fahnenstange erreicht
Fuest: Das Problem ist nicht, dass wir keine Zukunftsinvestitionen machen können, weil wir nicht genug Schulden machen. Schulden haben wir in der Vergangenheit massenhaft gemacht, trotzdem ist nicht investiert worden. Der Punkt ist: Es müssen konsumtive Ausgaben – Geld, das für Konsum ausgegeben worden ist und heute wird – das muss verlagert werden in Richtung von mehr Investitionen. Es ist also falsch, dass man nur investieren kann, wenn man Schulden macht. Man muss weniger konsumieren und mehr investieren.
Bei den Staatsschulden ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Italien ist mit 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Verschuldung ist eine leichte Lösung, deshalb ist sie so beliebt in der Politik. Man suggeriert, man tut keinem weh, und zieht sich quasi wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Das ist aber eine Sache, die nicht funktioniert. Und diese Politik ist an ihr Ende gekommen. Deshalb ist ganz wichtig, dass jetzt eben in der Tat investiert wird, aber das muss finanziert werden durch weniger Konsum, nicht durch mehr Schulden.
Frenzel: Aber diese Politik hat ja funktioniert, die Sie da gerade geißeln, nämlich in Deutschland, als mit der Agenda 2010 Reformen angestoßen wurden, die aber erst mal dazu geführt haben, dass das Haushaltsdefizit in die Höhe geschossen ist, dass Deutschland ja auch die Schuldengrenzen der EU gerissen hat. Warum soll das jetzt nicht bei anderen Staaten angewendet werden? Messen wir da mit zweierlei Maß?
Fuest: Ich glaube nicht, dass man das sagen kann. Damals in Deutschland ist ja die Verschuldung ganz, ganz gering erhöht worden und die Agenda 2010 hatte nichts mit diesen höheren Schulden zu tun, da hat man auch nicht mehr investiert durch Schulden, sondern man hat die Arbeitsmärkte reformiert. Damals lag Deutschland ein klein bisschen über der Drei-Prozent-Grenze, wir haben heute bei Frankreich, bei Italien sowieso Überschreitungen der Grenzen, die in ähnlichen Dimensionen liegen, teilweise höher. Das heißt, auch heute hat man so viel Flexibilität, dass es jetzt auf ein paar Punkte hinterm Komma nicht ankommt.
Was aber nicht geht, ist, jetzt quasi die Regeln völlig neu zu definieren, Investitionen herauszunehmen. Denn das führt dazu, dass im Grunde die Schuldengrenzen aufgelöst werden und es überhaupt kein Halten mehr gibt. Das ist also eine ganz andere Dimension damals gewesen. Es war schlecht, dass Deutschland die Regeln dann als Reaktion auf diese Verletzung gemeinsam mit Frankreich verändert hat, das hat auch den Stabilitätspakt wirklich geschwächt und hat dann in die Krise geführt, die uns heute diese großen Probleme macht. Diesen Fehler sollte man nicht wiederholen. Trotzdem waren die Reformen Deutschlands damals jetzt nicht Reformen, die durch Schulden-finanzierte Investitionen durchgeführt worden wären.
Frenzel: Das sagt Clemens Fuest, Volkswirtschaftsprofessor in Mannheim und Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Vielen Dank für das Gespräch!
Fuest: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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