Wachsende Existenzangst

Von Klaus Remme · 18.05.2010
In einem Wettlauf gegen die Zeit versuchen Spezialisten, den Ölstrom einzudämmen, der seit Wochen in den Golf von Mexiko fließt. Der ausgedehnte Ölfilm vor der Küste Louisianas bedroht unter anderen das Mississippi-Delta und das ökologisch empfindliche Marschland.
Olivia Graves steht am Strand in Gulfport, Mississippi und schaut auf mehrere Hundert amerikanische Scherenschnäbel. Die Lehrerin im Ruhestand hat ein Leben lang Chemie und Biologie unterrichtet, sie ist in Gulfport aufgewachsen, fast täglich ist sie hier draußen mit dem Fernglas. Das Öl, wenige Meilen vor der Küste treibt ihr die Tränen in die Augen. Sie ist sich sicher, jahrelang hat es an der Aufsicht über die Ölindustrie gemangelt:

"Ich habe früher oft in öffentlichen Anhörungen als Experte ausgesagt, doch in den Bush-Jahren hat man uns diffamiert, wir wurden eine Zeit lang als Öko-Terroristen beschimpft."

Ob die jetzige Regierung unter Barack Obama verantwortlich handelt? Graves zögert, ich hoffe es, sagt sie schließlich.

Er hat neue, bessere Kontrollen versprochen, man kann nicht erwarten, dass die Industrie sich selbst beaufsichtigt, fügt sie hinzu. Und in der Tat, Barack Obama hat die seit Jahren zuständige Rohstoffbehörde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert, sie soll von Grund auf neu strukturiert werden. Auch Fährunternehmer Louis Skrmetta richtet seine Hoffnung auf den Präsidenten.

Seit über 80 Jahren fährt die Familie Touristen von Gulfport nach Westship Island, einer kleinen Naturschutzinsel vor der Küste. Er sieht sich vor dem Ruin, jahrelang hat er vor einer solchen Katastrophe gewarnt. Natürlich, sagt er, hat er größeres Vertrauen in Obama, George Bush habe das hier alles mitzuverantworten:

Im Süden von Louisiana, wo das Öl die Marschlandschaft bedroht, eine andere Tonlage. Es ist ein traditionell konservativer Landstrich. Die meisten Fischer sahen das Öl bisher nicht als Problem sondern als zusätzliche Einnahmequelle außerhalb der Fangsaison.

Jetzt stehen Tausende von Austern- und Krabbenfischer vor dem Aus. Seit Wochen gilt ein Fischereiverbot, mit Blick auf die nächsten Jahre, sagen viele: Wir sind erledigt. Und dennoch, Clyde Giddry vom Verband der Krabbenfischer verteidigt das bisherige System weiter:

"Ich bin 62, wir haben Zeit meines Lebens Seite an Seite existiert. Das System ist gut, die Überwachung funktioniert, meint Giddry, Minuten bevor die Fischer von BP als Krisenhelfer und Putzkolonnen auf See ausgebildet werden. Soviel Verständnis für die Ölindustrie ist selten in diesen Tagen."

Dabei war Barack Obama nicht einmal drei Wochen vor dem Unglück auf den politischen Gegner zugegangen und hatte eine Ausweitung der Bohrrechte, auch im Golf von Mexiko angekündigt. Jetzt schalten liberale Gruppen Fernsehspots mit Bildern von der Deepwater Explosion von toten Vögeln und verschmutzten Stränden. Sie fordern eine politische Kehrtwende.

Umfragen zeigen: Der Widerstand gegen die Ölförderung in der Tiefsee wächst. Der Anteil der Befürworter ist von 64 Prozent 2008 auf derzeit 46 Prozent gesunken. Über 40 Prozent halten Kosten und Risiken inzwischen für zu hoch, vor zwei Jahren waren es lediglich 28 Prozent. Selbst Republikaner wie Gouverneur Arnold Schwarzenegger in Kalifornien reagierten schnell.

Ich sehe die ölverschmutzten Vögel, die arbeitslosen Fischer, den Schlick an den Stränen, sagte Schwarzenegger, und zog seine Unterstützung für ein Tiefseebohrprojekt vor Santa Barbara zurück.

Andere warnen vor einer Überreaktion. Und auch wenn die Genehmigung neuer Lizenzen vorerst ausgesetzt wurde. Präsident Obama hat die Ölförderung noch in der vergangenen Woche als eine Säule der heimischen Energieproduktion bezeichnet. Im Entwurf für ein neues Energiegesetz wurde bei der Vergabe neuer Lizenzen ein Veto-Recht von betroffenen Bundesstaaten eingefügt. Doch die politischen Auswirkungen insgesamt sind noch nicht abzusehen.

Auch vier Wochen nach dem Unglück gibt es viele Fragezeichen. Wann wird das Leck geschlossen? Wie gefährlich ist das Öl unter Wasser? Wann und wo kommt das Öl in Massen an Land? Gelingt dem Staat nach dem unmittelbaren Krisenmanagement eine glaubwürdige Antwort auf das Desaster? Erst dann kann Barack Obama hoffen, das vor allem BP als Verursacher der Katastrophe in Erinnerung bleibt, nicht das Versagen der Behörden.