Waben statt Hotelzimmer

Der Band "Design im Zeitalter der Geschwindigkeit" zeigt auf, welche Spuren die beschleunigte Gesellschaft in Architektur, Design und Werbung hinterlassen hat. Im letzten Kapitel werden "Raumstrategien der Entschleunigung" entworfen.
Der japanische Architekt Kisho Kurokawa hat 1979 in Osaka ein Kapselhotel errichtet, das auf herkömmliche Zimmer verzichtet. Der Hotelgast bucht eine Wabe, in die er sich zum Schlafen hineinlegt. Diese an eine Gruft erinnernde Liegestatt hat eine Fläche von zwei Quadratmetern und eine Höhe von etwa 1,20 Meter. Man kann fernsehen, es gibt einen Telefonanschluss und inzwischen auch einen Breitbandzugang zum World Wide Web – mehr nicht.

Für Paul Virilio, den französischen Theoretiker der Geschwindigkeit, ist dies ein Beispiel dafür, wie die vollständige Ausrichtung der modernen Gesellschaft auf die Geschwindigkeit Einfluss auf die Innenarchitektur nimmt. Der moderne Mensch, der ständig unterwegs ist, braucht, wenn er von seinen Erkundungen im Metropolendschungel zurück ins Hotel kommt, nur noch eine Schlafstelle. Genau darauf ist das Raumkonzept von Kurokawa ausgerichtet. Aus diesen Räumen will man schnell verschwinden, und Spuren muss man nicht mehr verwischen, denn es wird kaum gelingen, welche zu hinterlassen.

Das von Martin Ludwig Hofmann herausgegebene Buch gliedert sich in vier Kapitel. Das mit "Beschleunigung" überschriebene erste ist Paul Virilio vorbehalten. Der Warner vor einer sich rasant beschleunigenden Gesellschaft spricht von zwei Revolutionen. Während durch die Geschwindigkeitsrevolution, die mit der industriellen Revolution begann, das Reisen zu einem Massenphänomen wird, führt die Revolution der Übertragungsmedien, ausgelöst durch Erfindung von Funk und Fernsehen, zu einer grundlegenden Umwälzung unserer Lebensgewohnheiten. Da es sich bei der Geschwindigkeit aber um ein flüchtiges Phänomen handelt, ist es hoch interessant, danach zu fragen, welche Spuren die beschleunigte Gesellschaft in Architektur, Design und Werbung hinterlassen hat.

Im zweiten Kapitel, überschrieben mit "Design von Räumen und Dingen", zeigt Eberhard Schlag, wie das Architekturbüro Atelier Brückner bei der Gestaltung des BMW-Museums in München versucht hat, den Begriff "dynamisch" in der Architektur leitmotivisch zu verwenden. Den Einfluss der Übertragungsmedien auf die Architektur veranschaulichen Jan und Tim Edler in ihrem Beitrag "Architecture united!", in dem sie auf den Wandel von der statischen zur dynamischen Ausdrucksform in der Architektur hinweisen und zeigen, wie Häuserfassaden zu Bildschirmen umfunktioniert werden. Mit den neuen Computertechniken wird aber auch Einfluss auf das Design und die Produktfertigung genommen, wie Ulrich Nether in seinem Beitrag "Paradigmenwechsel im Design?" ausführt. Hochkomplexe geometrische Formen können am Rechner entworfen, berechnet und als Grundlage für die Produktfertigung herangezogen werden.

Im dritten Kapitel untersucht Martin Ludwig Hofmann am Phänomen der "Mindbombs", wie das Prinzip, kleine Gedankenbomben zu zünden, inzwischen nicht nur in der Werbung genutzt wird. Im "Krieg der Bilder" werden die entscheidenden medialen Schlachten geführt, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Mit dem letzten Kapitel des Buches wird dann ein Bogen zum ersten geschlagen. In "Entschleunigung" untersucht Eva Filter "Raumstrategien der Entschleunigung". Sie beschließt ihren Beitrag mit einem Zitat von Mahatma Gandhi: "Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen!" Das Zitat könnte auch von Paul Virilio stammen, der vor einer dynamisierten Gesellschaft warnt, die im Geschwindigkeitsrausch vergisst, wo sie hergekommen ist, weshalb er empfiehlt, sich ab und an umzudrehen.

In den zwölf Beiträgen des Bandes, sie stammen überwiegend von Autoren aus der Praxis, wird dem Geschwindigkeitsphänomen nüchtern begegnet. Sie verstehen es, deutlich zu machen, wie das Geschwindigkeitsphänomen bereits in der Alltagswirklichkeit angekommen ist und bereits dort zu finden ist, wo man es kaum vermutet. Dies gehört zu den Vorzügen dieses Bandes: Er schärft unsere Aufmerksamkeit auf ein Phänomen, das eine entscheidende Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung bleiben wird: Geschwindigkeit!

Besprochen von Michael Opitz


Martin Ludwig Hofmann (Hg.): Design im Zeitalter der Geschwindigkeit,
Wilhelm Fink Verlag, München 2010, 240 Seiten, 24,90 Euro.