VW-Zulieferstreit

Kein Golf rollt vom Band

Eine Mitarbeiterin betankt am 09.09.2014 in der Produktion des Passat im Volkswagen Werk in Emden (Niedersachsen) einen Wagen.
In dieser Woche können keine Golfs in Wolfsburg zu Ende gebaut werden. © dpa/picture alliance/Nigel Treblin
Von Alexander Budde |
Zwei kleine Zulieferfirmen aus Sachsen verweigern VW die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebegehäusen. Deshalb wird im Wolfsburger Stammwerk in dieser Woche kein einziger Golf vom Band rollen.
Auch in Zwickau werden in den nächsten Tagen die Produktionslinien rund um das wichtigste VW-Modell ganz oder teilweise stillstehen. Bereits seit Donnerstag kann in Emden der Passat nicht mehr gebaut werden, weil dem Werk die Autositze ausgegangen sind: Für 7.500 Mitarbeiter dort hat der Konzern das konjunkturelle Kurzarbeitergeld beantragt.
Betroffen vom Lieferstopp sind auch die Getriebefertigung in Kassel, der Motorenbau in Salzgitter, sowie das Komponenten-Werk in Braunschweig. Seit dem Wochenende ruht die Logistik, die komplexe Lieferkette ist unterbrochen.
In einer Bekanntmachung an die Mitarbeiter in Wolfsburg hieß es, für betroffene Beschäftigte unter anderem in Montage, Karosseriebau, Lackiererei und Presswerk werde im Einvernehmen mit dem Betriebsrat Kurzarbeit geprüft. Zwangsurlaub mit zum Teil drastischen Lohneinbußen droht auch VW-Mitarbeitern in Salzgitter und Zwickau. Insgesamt seien mehr als 20.000 Mitarbeiter betroffen, die nicht so arbeiten könnten wie normal, sagte ein Konzernsprecher.

Schon wieder Krise bei Europas größtem Autobauer

Nach dem Abgasskandal schon wieder Krise bei Europas größtem Autobauer. Rücksichtlos das Vorgehen der Zulieferer auf Kosten der ohnehin schon schwer geprüften Belegschaft, sagt Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD):
"Ich finde es natürlich eine Katastrophe, was durch völlig unverständliches Handeln der Zulieferer jetzt bei Volkswagen erzwungen wird! Das geht natürlich vor allem auf Knochen auch der Beschäftigten – und das zu einer Zeit, wo Volkswagen genau das nicht brauchen kann!"
Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung fordern die beiden Zulieferfirmen ES Guss und Car Trim insgesamt 58 Mio. Euro von Volkswagen. Auslöser des Streits war demnach eine von VW und Porsche gekündigte Entwicklungskooperation. Angeblich lehnt Volkswagen die geforderte Ausgleichszahlung für Ausfälle und Schäden ab, da diese nicht plausibel begründet sei.
Die beiden Firmen, die erst seit Kurzem zur Prevent-Gruppe gehören, werfen dem Autobauer Missbrauch seiner dominierenden Markstellung vor. VW habe die Vereinbarung fristlos und ohne Begründung gekündigt. Alle beteiligten Firmen sind lange im Geschäft, galten bislang als zuverlässige Partner des Weltkonzerns.

Volkswagen macht sich erpressbar

Der beispiellose Konflikt zeigt auch die wechselseitigen Abhängigkeiten der Autobauer und ihrer Zulieferer auf. Denn viele dieser Partnerfirmen liefern nicht nur die benötigten Bauteile zu, sie entwickeln für ihre Kunden passgenaue Lösungen, viele Folgeaufträge sind mit dem Risiko einer finanziellen Vorleistung verknüpft.
Ohne Not habe sich der Volkswagen-Konzern erpressbar gemacht, sagt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöfer:
"Von daher ist es völlig unverständlich, warum der große Automobilhersteller in seinem Einkauf auf ein kleines Zulieferunternehmen ausschließlich ein Teil vergeben hat in der Produktion – und warum man nicht das macht, was alle Autobauer machen, dass man mehrere Hersteller, mehrere Zulieferer zur Produktion eines Teils nimmt. Dann kann man sich nicht erpressen lassen."
Branchenexperten gehen davon aus, dass Volkswagen Gewinneinbußen im hohen dreistelligen Millionenbereich drohen. Das Land Niedersachsen, das VW-Anteilseigner ist, spricht sich angesichts des Lieferstopps notfalls für gerichtliche Zwangsmaßnahmen wie die Beschlagnahme der vertraglich zugesicherten Komponenten aus.

Hoffnung auf gütliche Einigung

Der bereits beträchtliche Schaden würde sich mit jedem Tag vergrößern, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dem NDR-Fernsehen. Von einem beispiellosen und rechtswidrigen Vorgang spricht auch Niedersachsens Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat, Olaf Lies (SPD), der in dem Konflikt vermitteln will.
Das Landgericht Braunschweig hatte VW bereits ermächtigt, sich die benötigten Komponenten selbst aus den Fabriken in Plauen und Schönheide abzuholen. Die Kontrahenten betonen weiterhin ihre Hoffnung auf eine gütliche Einigung. Am späten Nachmittag sollen die Verhandlungen in Wolfsburg weitergehen.
Mehr zum Thema