"Erlkönig" in der VR-Brille

Das Puppentheater Zwickau geht auf virtuelle Reise

05:19 Minuten
Inszenierungsfoto: Ein kleines Mädchen steht vor einem Pferd.
Das Puppentheater Zwickau widmet deutschen Balladen eine Serie. Den Anfang macht der Erlkönig. Das Besondere: Mittels VR-Brille kann man mitten ins Geschehen eintauchen. © Kultour Z.
Von Kristin Hendinger · 29.01.2022
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Das Puppentheater Zwickau verspricht fantastisches Figurentheater in den eigenen vier Wänden mittels VR-Brille. Virtual Puppetry, also Virtuelles Puppenspiel, heißt das überaus gelungene Spektakel.
Das Puppentheater ist ein kleines renommiertes Haus mit internationalem Ensemble im Herzen von Zwickau. Die Spielzeit hatte es mit Klassikern für Kinder wie Schneewittchen und Dornröschen eröffnet. Dazu gab es erstmals magische Samstage: ein Figurentheater für Erwachsene inklusive Umtrunk und Gesprächen mit den Machern nach der Vorstellung.
„Das lief tatsächlich fantastisch an, viel besser, als wir gedacht haben“, erinnert sich Monika Gerboc, Regisseurin und künstlerische Leiterin. „Figurentheater für Erwachsene ist ja auch nicht überall etabliert. Wir haben von diesem Format geträumt und dann ist es wegen Corona immer wieder verschoben worden. Jetzt im Herbst haben wir es geschafft – und wir waren ausverkauft. Unglaublich!“

Mit VR-Brille digitales Theater genießen

Es hätte so weitergehen können, doch im Dezember kam in Sachsen der Kultur-Lockdown. Trotzdem sei die Stimmung in der Theaterfamilie durchweg gut. Denn in den vergangenen Wochen arbeitete das Ensemble intensiv an der filmischen Umsetzung von Goethes „Erlkönig“. Es entstand jedoch kein Stream des analogen Puppenspiels, sondern die Ballade aller deutschen Balladen wurde digital im Virtual-Reality-Format gedreht.
„Mit dem ersten Lockdown haben viele Theater angefangen, digital zu arbeiten. Man guckt sich das an und fragt sich: Will ich das? Ich war sehr lange gegen Streamen, weil ich sage, sich Theater vom Video anzugucken, das ist ungefähr das Gleiche, wie wenn man eine Kugel Eis durch die Glasscheibe leckt. Man sieht es, man glaubt auch, dass es da ist, aber der Genuss ist weg“, sagt Monika Gerboc.

Man wird sofort ins Geschehen katapultiert

So entschied man sich für gefilmtes Puppenspiel im 360-Grad-Modus, das der Zuschauer am besten auf einem Drehstuhl sitzend genießt. Ich probiere das Spektakel aus, ziehe mir die VR-Brille über den Kopf und werde sofort mitten in die Geschichte katapultiert. Der Erlkönig findet in der Brille nicht nur um mich herum statt, sondern gefühlt auch über und unter mir.
„Es ist eine latent gruselige Geschichte. Der Vater und der Sohn reiten mitten durch die Nacht in eine ziemlich ängstliche Situation – und dieses Gefühl zu übermitteln, dass Sie mit in diesem Wald sind, dass es um Leben und Tod geht, das verlangt, dass Sie natürlich sich dahin drehen, woher irgendetwas kommt“, erklärt Gerboc.

Gelungenes Experiment

So reitet etwa von rechts ein zwei Meter großes Holzpferd bedrohlich auf mich zu und springt über mich hinweg. Das bedingt eine gute Dramaturgie. Statt Scheinwerfern navigieren mich beispielsweise Soundeffekte durch die Geschichte. Die Erzählweise dieses Puppenspiels ist vollkommen anders, weshalb die Dreharbeiten für das Zwickauer Ensemble ein Experiment waren. 
"Auf der Bühne kann ich genau sagen, hier fehlt das Timing", so Dramaturgin Dominique Suhr. "Bau eine Spannung mit deinen Augen, bau eine Spannung mit deiner Körperhaltung auf, sodass man sagt: Ich fühle mich jetzt hier eingeengt oder verängstigt. Das funktioniert plötzlich vor der Kamera nicht mehr. Der Schauspieler war gut und ich habe das gesehen, aber durch die Kamera kommt das plötzlich nicht mehr rüber.“ 

Alles ist handgemacht

Der immense Aufwand hinter den Kulissen beschert dem Publikum ein exklusives Sehvergnügen. Es darf beispielsweise den drei in schwarz gekleideten Puppenspielerinnen und -spielern zuschauen, wie sie das riesige Pferd animieren oder den Erlkönig aus Ästen zu unterschiedlichen Gestalten zusammenpuzzeln.
Alles ist handgemacht. Computeranimation hat hier keinen Platz. Dieser Erlkönig ist für die künstlerische Leiterin Monika Gerboc keine Lockdown-Lösung, sondern vermittelt eine neue Variante von fantastischem Figurentheater, das weit entfernt ist vom Kasperle: Das sind die spektakulärsten metaphorischen Formen, die man heutzutage wirklich beim Cirque du Soleil oder bei großen Opernhäusern sieht. Dieses Niveau versuchen auch wir in unserem kleinen Haus zu halten.“ 
Das gelingt dem Zwickauer Ensemble. Und mit den VR-Brillen lernen auch Leute das Theater und seine großartige Produktion von Goethes Erlkönig kennen, die es nicht bis nach Zwickau schaffen.     

Interessenten in Deutschland und Österreich können sich die VR-Brillen für 35 Euro leihweise zuschicken lassen und dann für zwei Tage behalten und sich das Stück so oft ansehen, wie sie wollen. Der Erlkönig ist für alle ab 13 Jahren geeignet. Auch Schulen können die Brillen plus Theaterpädagogen buchen und das Stück gemeinsam interpretieren. Die Brillen sind bestellbar über die Homepage des Puppentheaters.

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