Voscherau: Diätenfrage durch unabhängige Kommission klären
Der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau (SPD), hat sich dafür ausgesprochen, die Frage der Diätenerhöhung für Abgeordnete von einer unabhängigen Kommission regeln zu lassen. Das würde die Mitglieder des Bundestages von dem Vorwurf befreien, in einer Art Selbstbedienungsladen den Bürgern in die Tasche zu greifen, sagte Voscherau.
Birgit Kolkmann: Dass Abgeordnete sich ihre Bezüge selbst erhöhen können, das war der größten deutschen Boulevardzeitung schon immer ein Dorn im Auge. Wann immer eine Diätenerhöhung anstand und diese wie immer kontrovers diskutiert wurde, war das für diese Presse ein gefundenes Fressen, Neidfaktor inklusive, und von der Neiddebatte zur Kampagne ist es dann nicht weit. Ob es diese war, die einen großen Teil der SPD-Fraktion dazu brachte, ihren Chef Struck im Regen stehen zu lassen und die Diätenerhöhung einfach abzulehnen? Die Antwort bleiben wir schuldig. Aber nachfragen wollen wir schon, wie stimmungsabhängig die Abgeordneten sind, und zwar bei Henning Voscherau von der SPD, dem ehemaligen Ersten Bürgermeister in Hamburg. Schönen guten Morgen!
Henning Voscherau: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Voscherau, haben die Abgeordneten - gerade der SPD - nicht genug Mumm für unpopuläre Entscheidungen?
Voscherau: Na ja, wir sind eine Demokratie. Stimmungen im Volk sind ein Teil von Demokratie, das gilt auch für öffentliche und veröffentlichte Meinung. Die Abgeordneten stehen alle vor ihrer Wiederaufstellung für die Wahlen in anderthalb Jahren, in der SPD gärte es - das hat nicht unbedingt was mit Mumm zu tun, sondern mit Respekt vor einer Stimmungs- und Meinungslage, die Dinge nicht zulässt.
Kolkmann: Die Stimmungs- und Meinungslage unterstellt den Abgeordneten, dass sie sich im Bundestag wie in einem Selbstbedienungsladen aufführen und sich quasi selber die Taschen füllen. Das ist aber doch in Wirklichkeit gar nicht so?
Voscherau: Nein, das ist überhaupt nicht so, aber man muss einräumen, dass einfach ein Dilemma da ist, und das Dilemma betrifft naturgemäß in erster Linie die Abgeordneten und den Deutschen Bundestag selbst, nämlich: Einerseits kann kein vernünftiger Mensch - und auch der Chefredakteur der von Ihnen genannten Boulevardzeitung nicht - bestreiten, dass die Aufgabe des Parlaments und die Aufgabe des einzelnen Abgeordneten von ihrer Bedeutung her auch für unser aller Leben so wichtig ist, dass die jetzige steuerpflichtige Gehaltsentschädigung in Wahrheit dahinter zurückbleibt.
Andererseits kann auch niemand bestreiten, auch die Abgeordneten nicht: Sie sind Vertreter des ganzen Volkes und das durchschnittliche Einkommen und die durchschnittlichen Lebensverhältnisse der Mehrheit des Volkes liegen weit darunter. Da klafft einfach ein Widerspruch. Das ist nicht gut für alle und das gibt auch keine richtigen und keine endgültigen Antworten auf diesen Widerspruch.
Kolkmann: Wäre es denn auch wichtig, besser zu vermitteln, damit der Bürger versteht, dass unabhängige, demokratische Parlamentarier auch angemessen bezahlt werden müssen?
Voscherau: Ja, natürlich. Meiner Meinung nach befinden wir uns in einer Situation, in der die Demokratieverankerung der Demokratie in der Wählerschaft immer mehr auf tönerne Füße gerät. Ich halte das in einer Phase, die ja immer noch eine Wohlstandsphase für die Gesamtgesellschaft ist, für eine besorgniserregende Situation und frage mich, was eigentlich daraus werden sollte, wenn wir mal wirklich in eine ökonomische und soziale Niedergangsphase kämen.
Deswegen denke ich, man müsste eine Diskussion darüber führen: Wie kann man die Demokratie in ihrer praktischen Gestalt verbessern, wieder stärker verankern? Denn eins müssen Sie ja auch sehen: Abgeordnete sollen ja Vertreter des ganzen Volkes sein. Es gibt natürlich auch einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Entschädigung und der Zugänglichkeit des Parlaments, und deswegen haben wir ja auch im Wesentlichen oder weit überwiegend ein Parlament von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes. Wir brauchen eine Grundsatzdebatte darüber: Gibt es Fehlentwicklungen und wie kann man sie verbessern?
Kolkmann: Dann schauen wir mal, was man denn verbessern könnte. Der Vorwurf, dass sich die Abgeordneten im Prinzip selber ihre Bezüge erhöhen können - nicht ganz wie sie wollen, aber dann doch das entscheiden können -, der kommt ja immer wieder. Bräuchte es, wie es die FDP zum Beispiel fordert, eine Kommission beim Bundespräsidenten, die die Bezüge anpasst, wenn es geraten erscheint, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so sind, eine Kommission aus unabhängigen Mitgliedern?
Voscherau: Das würde jedenfalls die Mitglieder des Deutschen Bundestags von dem Vorwurf befreien Selbstbedienungsladen, den Bürgern in die Tasche zu greifen. Das wäre sozusagen in der taktischen Auswirkung sicher mit mancherlei Vorteilen verbunden. Aber wir bewegen uns ja im Verfassungsraum. Solche Verbesserungen müssten mit Änderungen der Verfassungslage einhergehen, denn sonst würde das Bundesverfassungsgericht eine solche Lösung ja sofort in die Luft sprengen, und da sind wir durchaus bei einem Teil des Problems. Eine solche Grundsatzdiskussion - was ist uns unser Bundestag wert, was sind uns unsere Abgeordneten wert? - müsste auch solche Verfassungsfragen einschließen. Ich würde das sehr begrüßen, aber man sieht ja nichts davon.
Kolkmann: Müssten denn die Abgeordneten vielleicht auch vermitteln, dass sie nicht für nichts bezahlt werden?
Voscherau: Doch, natürlich, das tun sie ja auch. Sie sagen ja, und das finde ich auch völlig richtig, die Bedeutung des Mandats, ein deutscher Abgeordneter zu sein, geht über diese Bezüge weit hinaus. Und ich meine, wenn Sie mal in der Bevölkerung einen Quervergleich anstellen - ich will jetzt gar nicht unbedingt auf den durchschnittlichen linken Mittelfeldspieler in der Deutschen Bundesliga eingehen -, im Vergleich, da sind eben viele Schieflagen. Und die Abgeordneten vermitteln das, finden aber wenig Gehör und natürlich liegt das manchmal auch an dieser genannten Boulevardzeitung. Die findet ja immer jeden Morgen Gehör.
Kolkmann: Nun hängt ja nach dieser Entscheidung, die Diäten jetzt doch nicht zu erhöhen, der Koalitionsfrieden ziemlich schief und sicher auch der Fraktionsfrieden innerhalb der SPD. Wie würden Sie denn den inneren Zustand der Struck’schen Truppe bezeichnen? Die Fraktion hat ja den Chef im Regen stehen lassen.
Voscherau: Na, zunächst. Gerade die Diätenfrage ist eine Frage an jeden einzelnen Abgeordneten, an den gesamten Bundestag. Es ist überhaupt keine Frage von Regierungsmehrheiten und von Koalitionen und von Koalitionsvereinbarungen, denn es gibt ja auch Mitglieder des Bundestages, die sind gar nicht in der Koalition. Also, da ist schon der erste wirkliche, grundlegende Denkfehler.
Der zweite Punkt ist, da kann man auch keinen Fraktionszwang oder dergleichen herstellen. Wenn einer nicht mehr Geld haben will und sagt, das schadet mir in meinem Wahlkreis und ich halte es auch sonst für falsch, dann hat der natürlich das Recht, zu sagen, ich mache deutlich, dass ich das nicht will, ich stimme dagegen. Hier reden wir ja nicht über inhaltliche Fragen, sondern über Fragen des Status und des Selbstverständnisses jedes einzelnen Abgeordneten, und da muss man mal schauen, ob der Bundestag den Mumm hat, hier eine völlig freie Abstimmung herzustellen, um zu sehen, wer ist eigentlich wirklich dafür und wirklich dagegen.
Kolkmann: Vielen Dank! Das war Henning Voscherau von der SPD, dem ehemaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg danke ich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.
Henning Voscherau: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Voscherau, haben die Abgeordneten - gerade der SPD - nicht genug Mumm für unpopuläre Entscheidungen?
Voscherau: Na ja, wir sind eine Demokratie. Stimmungen im Volk sind ein Teil von Demokratie, das gilt auch für öffentliche und veröffentlichte Meinung. Die Abgeordneten stehen alle vor ihrer Wiederaufstellung für die Wahlen in anderthalb Jahren, in der SPD gärte es - das hat nicht unbedingt was mit Mumm zu tun, sondern mit Respekt vor einer Stimmungs- und Meinungslage, die Dinge nicht zulässt.
Kolkmann: Die Stimmungs- und Meinungslage unterstellt den Abgeordneten, dass sie sich im Bundestag wie in einem Selbstbedienungsladen aufführen und sich quasi selber die Taschen füllen. Das ist aber doch in Wirklichkeit gar nicht so?
Voscherau: Nein, das ist überhaupt nicht so, aber man muss einräumen, dass einfach ein Dilemma da ist, und das Dilemma betrifft naturgemäß in erster Linie die Abgeordneten und den Deutschen Bundestag selbst, nämlich: Einerseits kann kein vernünftiger Mensch - und auch der Chefredakteur der von Ihnen genannten Boulevardzeitung nicht - bestreiten, dass die Aufgabe des Parlaments und die Aufgabe des einzelnen Abgeordneten von ihrer Bedeutung her auch für unser aller Leben so wichtig ist, dass die jetzige steuerpflichtige Gehaltsentschädigung in Wahrheit dahinter zurückbleibt.
Andererseits kann auch niemand bestreiten, auch die Abgeordneten nicht: Sie sind Vertreter des ganzen Volkes und das durchschnittliche Einkommen und die durchschnittlichen Lebensverhältnisse der Mehrheit des Volkes liegen weit darunter. Da klafft einfach ein Widerspruch. Das ist nicht gut für alle und das gibt auch keine richtigen und keine endgültigen Antworten auf diesen Widerspruch.
Kolkmann: Wäre es denn auch wichtig, besser zu vermitteln, damit der Bürger versteht, dass unabhängige, demokratische Parlamentarier auch angemessen bezahlt werden müssen?
Voscherau: Ja, natürlich. Meiner Meinung nach befinden wir uns in einer Situation, in der die Demokratieverankerung der Demokratie in der Wählerschaft immer mehr auf tönerne Füße gerät. Ich halte das in einer Phase, die ja immer noch eine Wohlstandsphase für die Gesamtgesellschaft ist, für eine besorgniserregende Situation und frage mich, was eigentlich daraus werden sollte, wenn wir mal wirklich in eine ökonomische und soziale Niedergangsphase kämen.
Deswegen denke ich, man müsste eine Diskussion darüber führen: Wie kann man die Demokratie in ihrer praktischen Gestalt verbessern, wieder stärker verankern? Denn eins müssen Sie ja auch sehen: Abgeordnete sollen ja Vertreter des ganzen Volkes sein. Es gibt natürlich auch einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Entschädigung und der Zugänglichkeit des Parlaments, und deswegen haben wir ja auch im Wesentlichen oder weit überwiegend ein Parlament von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes. Wir brauchen eine Grundsatzdebatte darüber: Gibt es Fehlentwicklungen und wie kann man sie verbessern?
Kolkmann: Dann schauen wir mal, was man denn verbessern könnte. Der Vorwurf, dass sich die Abgeordneten im Prinzip selber ihre Bezüge erhöhen können - nicht ganz wie sie wollen, aber dann doch das entscheiden können -, der kommt ja immer wieder. Bräuchte es, wie es die FDP zum Beispiel fordert, eine Kommission beim Bundespräsidenten, die die Bezüge anpasst, wenn es geraten erscheint, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so sind, eine Kommission aus unabhängigen Mitgliedern?
Voscherau: Das würde jedenfalls die Mitglieder des Deutschen Bundestags von dem Vorwurf befreien Selbstbedienungsladen, den Bürgern in die Tasche zu greifen. Das wäre sozusagen in der taktischen Auswirkung sicher mit mancherlei Vorteilen verbunden. Aber wir bewegen uns ja im Verfassungsraum. Solche Verbesserungen müssten mit Änderungen der Verfassungslage einhergehen, denn sonst würde das Bundesverfassungsgericht eine solche Lösung ja sofort in die Luft sprengen, und da sind wir durchaus bei einem Teil des Problems. Eine solche Grundsatzdiskussion - was ist uns unser Bundestag wert, was sind uns unsere Abgeordneten wert? - müsste auch solche Verfassungsfragen einschließen. Ich würde das sehr begrüßen, aber man sieht ja nichts davon.
Kolkmann: Müssten denn die Abgeordneten vielleicht auch vermitteln, dass sie nicht für nichts bezahlt werden?
Voscherau: Doch, natürlich, das tun sie ja auch. Sie sagen ja, und das finde ich auch völlig richtig, die Bedeutung des Mandats, ein deutscher Abgeordneter zu sein, geht über diese Bezüge weit hinaus. Und ich meine, wenn Sie mal in der Bevölkerung einen Quervergleich anstellen - ich will jetzt gar nicht unbedingt auf den durchschnittlichen linken Mittelfeldspieler in der Deutschen Bundesliga eingehen -, im Vergleich, da sind eben viele Schieflagen. Und die Abgeordneten vermitteln das, finden aber wenig Gehör und natürlich liegt das manchmal auch an dieser genannten Boulevardzeitung. Die findet ja immer jeden Morgen Gehör.
Kolkmann: Nun hängt ja nach dieser Entscheidung, die Diäten jetzt doch nicht zu erhöhen, der Koalitionsfrieden ziemlich schief und sicher auch der Fraktionsfrieden innerhalb der SPD. Wie würden Sie denn den inneren Zustand der Struck’schen Truppe bezeichnen? Die Fraktion hat ja den Chef im Regen stehen lassen.
Voscherau: Na, zunächst. Gerade die Diätenfrage ist eine Frage an jeden einzelnen Abgeordneten, an den gesamten Bundestag. Es ist überhaupt keine Frage von Regierungsmehrheiten und von Koalitionen und von Koalitionsvereinbarungen, denn es gibt ja auch Mitglieder des Bundestages, die sind gar nicht in der Koalition. Also, da ist schon der erste wirkliche, grundlegende Denkfehler.
Der zweite Punkt ist, da kann man auch keinen Fraktionszwang oder dergleichen herstellen. Wenn einer nicht mehr Geld haben will und sagt, das schadet mir in meinem Wahlkreis und ich halte es auch sonst für falsch, dann hat der natürlich das Recht, zu sagen, ich mache deutlich, dass ich das nicht will, ich stimme dagegen. Hier reden wir ja nicht über inhaltliche Fragen, sondern über Fragen des Status und des Selbstverständnisses jedes einzelnen Abgeordneten, und da muss man mal schauen, ob der Bundestag den Mumm hat, hier eine völlig freie Abstimmung herzustellen, um zu sehen, wer ist eigentlich wirklich dafür und wirklich dagegen.
Kolkmann: Vielen Dank! Das war Henning Voscherau von der SPD, dem ehemaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg danke ich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.