Vorwürfe gegen Annalena Baerbock

Ab wann gilt ein Text als Plagiat?

07:47 Minuten
Annalena Baerbock sitzt gutgelaunt auf der Bühne
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei der Vorstellung ihres Buches "Jetzt". Nun wirft man ihr Textplagiate vor. © picture alliance/dpa/Christoph Soeder
Christine Libor im Gespräch mit Axel Rahmlow · 30.06.2021
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Hat die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in ihrem aktuellen Buch Textstellen plagiiert? Der Medienwissenschaftler Stefan Weber ging mit solchen Behauptungen an die Öffentlichkeit. Nicht alle folgen der Argumentation.
Stefan Weber ist der "Plagiatsjäger". So bezeichnete die "Zeit" den österreichischen Medienwissenschaftler einmal in einem Porträt. Seit 2007 prüft er wissenschaftliche Arbeiten auf Plagiate.

Fünf Passagen sollen plagiiert sein

Für viel Aufsehen sorgen nun seine neuesten Recherchen: Er wirft der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock "schwerwiegende Textplagiate" in ihrem eben erschienenen Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" vor.
Fünf Passagen sollen demnach aus Quellen wie dem Magazin "Internationale Politik", dem Blog "Climate Change", aus einem Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung, dem "Spiegel" und der Wikipedia in Argumentationsstruktur und Wortwahl nahezu identisch übernommen worden sein.
Dem Ullstein-Verlag, in dem Baerbocks Buch erschienen ist, wirft Weber in einem Gespräch mit der "Neuen Zürcher Zeitung" zudem "Schlamperei, Unsauberkeit und ein dilettantisches Vorgehen" vor.

Die Kritik bekommt Gegenwind

Aber es gibt auch erheblichen Widerspruch. Auf Twitter hält der Jurist und fürs ZDF tätige Journalist Felix W. Zimmermann Webers Vorwürfe für substanzlos: Unter anderem schreibt er, dass Baerbock auf dieselben Quellen wie die angeführten Originalartikel zurückgreife und Übernahmen durchaus kenntlich mache. Zudem seien reine, vom Urheberrecht nicht geschützte Sachinformationen wiedergegeben worden - ein Plagiat zeichne sich aber durch die Vereinnahmung geistiger Arbeit aus.
Ähnlich sieht es Ralf Fücks: Ein Plagiat liege seiner Ansicht dann vor, "wenn man sich mit fremden Federn schmückt, die Recherche, die intellektuelle Arbeit anderer", sagte der Direktor des Zentrums Liberale Moderne und frühere Grünenpolitiker in unserem Programm [AUDIO] . Im vorliegenden Falle gehe es seiner Ansicht nach allerdings "um die Wiedergabe von fast allgemein bekannten Tatsachendarstellungen".

Plagiat und Urheberrechtsverletzung sind nicht dasselbe

Weniger eindeutig sieht Christine Libor die Sachlage. Die Rechtsanwältin berät Medienunternehmen in Sachen Urheberrecht. Zu unterscheiden sei zunächst, ob hier ein Plagiat oder eine Urheberrechtsverletzung vorliege. Beides könne sich im Einzelnen zwar überschneiden oder sei sogar oft identisch. Letzteres gelte jedoch nicht immer. Oft werde beides auch miteinander verwechselt.
Während der Plagiatsvorwurf darauf abzielt, dass "sich jemand mit fremden Federn geschmückt hat, ohne es zu sagen", sind beim Urheberrecht in erster Linie "kreative Leistungen" wie Formulierungen geschützt. Ein Plagiat könne also auch dann vorliegen, wenn Passagen – urheberrechtlich unproblematisch – weitreichend umformuliert wurden. Eine reine Faktenwiedergabe sei jedoch prinzipiell unbedenklich.

Plagiate außerhalb der Wissenschaft kein juristisches Thema

In diesem Zusammenhang weist Libor allerdings darauf hin, dass die von Weber recherchierten Textpassagen, anders als Zimmermann und Fücks es darstellen, auf sie sehr wohl den Eindruck machen, ausreichend Schöpfungshöhe aufzuweisen, um urheberrechtlich geschützt zu sein. Eine Ausnahme bilde hier lediglich das wissenschaftliche Zitatrecht, für das es allerdings zwingend erforderlich ist, sich mit den zitierten Passagen auch inhaltlich auseinanderzusetzen.
Plagiate sieht Libor indessen vorrangig im Hochschulbetrieb für wirklich problematisch, da hier von anderen erbrachte Leistungen vorgelegt werden, um sich für einen akademischen Titel zu qualifizieren.
Doch "wenn das nur 'irgendein' Buch ist, mit dem ich keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebe, dann ist das Übernehmen von Ideen – da mag ethisch jeder drüber denken, wie er will – jedenfalls kein juristisches Thema."
(thg)
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