Vorurteile drücken die Leistung

Stereotypen reduzieren Komplexität, doch sie haben es in sich. Der Sozialpsychologe Jens Förster macht ihre Wirkkraft eindrücklich deutlich. Bei Einzelpersonen wirken solche durchaus emotionsgeladenen Verallgemeinerungen unfair und diskriminierend. Försters Buch blättert ein Problemfeld auf, das in der Wissenschaft zwar erforscht wird, dessen Wirkungen aber den Alltag prägen.
Mit Hilfe von Stereotypen bewältigen wir unseren Alltag. Sie reduzieren Komplexität, lassen uns rasch und ohne nachzudenken einteilen, zuordnen und reagieren. Doch solche verallgemeinernden Wissensstrukturen haben es in sich. Der Sozialpsychologe Jens Förster macht ihre Wirkkraft eindrücklich deutlich. Sie bilden nämlich weitgehend unbewusste, jederzeit aktivierbare assoziative Netzwerke und steuern sowohl Wahrnehmungen wie Urteile. Übertragen auf Einzelpersonen, wirken solche durchaus emotionsgeladenen Verallgemeinerungen unfair und diskriminierend. Sie reduzieren Kreativität, führen zu falschen, auch ökonomisch problematischen Entscheidungen.

Dazu wurden etwa blinde und offene Verfahren bei der Bewerbung um Orchesterstellen untersucht. Sobald die Kandidaten unsichtbar hinter einem Paravant vorspielten, verdoppelte sich die Chance der Frauen, die entsprechende Stelle zu bekommen. Vorurteile und stereotype Zuschreibungen wirken außerdem wie "sich selbst erfüllende Prophezeiungen". Vor einer Testaufgabe erzählte Blondinenwitze lassen Blondinen deutlich schlechter abschneiden. Während männliche Testpersonen irritiert und damit schlechter reagieren durch den Hinweis, dass ihre Sprachkompetenz mit einer bestimmten Aufgabe überprüft werde. Vorurteile drücken also die Leistung der Betroffenen.

Jens Förster hat kein Lehrbuch geschrieben, auch wenn der Bremer Wissenschaftler einen Überblick über Fragestellungen und Methoden der Vorurteilsforschung liefert und vor allem die Laborsituationen mit ihren Vertracktheiten sehr genau beschreibt. Messbare Einflüsse und Wechselwirkungen führen oft zu verblüffenden Ergebnissen: Die begriffliche, allerdings unbewusste Aktivierung von Stereotypen über alte Menschen etwa führt dazu, dass Versuchsteilnehmer anschließend langsamer (altersgemäßer) gehen.

Das heißt: "Vorstellungen von anderen leiten unsere Wahrnehmung wie unser Verhalten". In Sichtweite eines Beerdigungsinstituts oder mit dem Gedanken an den Tod konfrontiert, erhalten Normübertretungen von Außenseitern heftigere Sanktionen. Angesichts des Todes also werden wir konservativer. Gruppen, selbst künstlich im Labor zusammengesetzte, agieren, kaum dass die Zugehörigkeiten feststehen, Wir-bezogen, das heißt Mitglieder der eigenen Gruppe werden systematisch vorgezogen und belohnt.

Überhaupt stecken die Versuchsanordnungen immer wieder voller Überraschungen, was da alles gemessen, überprüft und korreliert werden kann. Allerdings werden sie auch deshalb komplizierter, weil sich Urteile immer häufiger an der "sozialen Erwünschtheit" orientieren. Sexismus und offener Rassismus etwa sind nicht mehr ohne weiteres gesellschaftsfähig und werden darum oft entsprechend kaschiert oder korrigiert.

Die Wissenschaft hat es darum auf die unbewussten Vorurteile abgesehen. Übrigens zeigt Förster, dass unterdrückte Vorurteile nur umso massiver wirken, was er Boomerangeffekt nennt. Überhaupt verlernen wir weniger gut als wir lernen!

Das Buch blättert ein Problemfeld auf, das in der Wissenschaft zwar bearbeitet und erforscht wird, dessen Wirkungen aber den Alltag prägen. Und deswegen greift Jens Förster immer wieder ganz persönlich ein – mit eigenen Erfahrungen, humorvollen Situationsbeschreibungen und durchaus auch zugespitzten Momentaufnahmen. Mit Sicherheit ist er aufgrund seiner schwulen Biographie und der gelegentlichen Behandlung als "Exzentriker" – als ausgebildeter Opernsänger tritt er mit Chansonprogrammen auf - empfänglicher für viele Unter- oder Zwischentöne. Sie fließen als Fragestellungen in seine Experimente ein.

Förster plädiert vor allem für Kontakt, Kooperation und Austausch zwischen Gruppen, da bei durchlässigen Gruppengrenzen Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen deutlich reduziert werden. Fruchtbarer als die oft als "Zwangsmaßnahme" missverstandene Quote scheint ihm die frühe Förderung von bestimmten Gruppen. Denn fest steht für ihn ohnehin: "Wir müssen Diskriminierung bekämpfen".

Rezensiert von Barbara Wahlster


Jens Förster: Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, 288 Seiten, 16,95 Euro