Vorsicht, Hirnschmelze!
Der Journalist Hans Leyendecker zeigt in einem Beitrag für das Buch "Verändert euch! – Manifest zur Energiewende", wie sehr Atomwirtschaft und Politik in Deutschland miteinander verflochten sind. Wenngleich sich nach der Atomkatastrophe von Fukushima die Stimmung gedreht habe, seien Stromkonzerne und politische Entscheidungsträger nach wie vor bestens vernetzt.
Frank Meyer: "Verändert euch! Das Manifest zur Energiewende" – dieses Buch ist vor Kurzem erschienen. Die Energiewende in Deutschland scheint ja beschlossene Sache zu sein, aber das Buch warnt davor, dass die Lobbyisten der mächtigen Energiekonzerne ihren großen Einfluss auf die Politik nutzen könnten, um diese Energiewende wenigstens zu verzögern. Der Journalist Hans Leyendecker hat einen Text für dieses Buch geschrieben. Jetzt ist er für uns im Studio, seien Sie uns willkommen!
Hans Leyendecker: Ja, guten Tag!
Meyer: Herr Leyendecker, "Wer mit wem?" So heißt ihr Text über die Atomlobby in Deutschland. Lobbyismus ist ja erst mal nichts Illegales, das machen ja auch die Verbände der erneuerbaren Energien. Was ist denn anders am Einsatz der Atomlobby?
Leyendecker: Der Einsatz der Atomlobby wird gestützt durch mächtige Konzerne. Das ist anders als in manchem anderen Bereich. Und er ist auch mit einer Ideologie verbunden gewesen – mit der Atom-Ideologie – und hat deshalb auch viele Verbündete gefunden in Wissenschaft, Beamtenschaft, Gewerkschaft. Das heißt, wir haben es hier mit Lobbyismus zu tun, mit einer Lobbykratie, die sich stützen kann auf unterschiedliche Pfeiler in der Gesellschaft, jedenfalls stützen konnte, und auch nur dadurch konnte sie so mächtig sein, wie sie war.
Meyer: Was heißt Lobbykratie?
Leyendecker: Lobbykratie heißt ein Stückchen, wenn das, was wir für Demokratie halten, abgelöst wird durch Interessenvertretung. Und hier hat es – auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine Interessenvertretung, wie Sie eben angemerkt haben – aber hier hat es eine sehr mächtige, gut verbündete, über alle Lager reichende Interessenvertretung gegeben, die ein Stückchen auch unsere normalen Abläufe verändert hat.
Meyer: Sie zitieren dafür ein Beispiel in ihrem Text – also, es ist ja auf der einen Seite klar, dass sich die Manager der Atomindustrie auch als Lobbyisten für ihre Sache, für ihre Unternehmen einsetzen. Anders wird das ja, wenn sich Volksvertreter, wenn sich Abgeordnete für die Ziele der Industrie einspannen lassen, und da, in diesem Zusammenhang kommen Sie auf den CDU-Abgeordneten Joachim Pfeiffer zu sprechen, der sei einer der verlässlichsten Verbündeten der Energiekonzerne im Parlament. Wie hat er sich denn einspannen lassen für die Atomwirtschaft?
Leyendecker: Also, sein Name steht für andere Namen, das muss man auch so sehen. Aber er war frühzeitig bei der Energieversorgung Schwaben AG, da hat er damals, glaube ich, im Bereich Controlling gearbeitet …
Meyer: Das war vor seiner Abgeordnetenzeit?
Leyendecker: Das war vor seiner Abgeordnetenzeit, und dann ist er in den Bundestag gekommen, er ist 2002 erstmals in den Bundestag gekommen, ist dann, wie es sich auch gehört, Koordinator für Energiefragen geworden, ist relativ fix auch in der Hierarchie aufgestiegen, stellvertretender wirtschaftspolitischer Sprecher, und hat eigentlich dann alles getan, was man tut, um das, was er so Stimme der Vernunft nennt, zu verkaufen. Selbst nach Japan, nach Fukushima, wo doch mancher ins Wanken gekommen ist bei der Frage, was meint eigentlich Restrisiko – und das zeichnet ja auch dieses Buch aus, dass man das thematisiert – können Menschen tatsächlich ganz sicher irgendetwas schaffen, was dann auch so sicher bleibt, - da hat er, als der Trittin ihm in die Quere kam, noch geraten, er solle jetzt aufpassen, dass es keine Hirnschmelze gebe. Das ist ein Hundertprozentiger, und der läuft dann einfach auch für das, was er für richtig hält, und wird von denen gestützt, die er unterstützt.
Meyer: Ja, aber wenn ein Abgeordneter etwas aus eigener Überzeugung für richtig hält, was kann man ihm dann eigentlich vorwerfen? Können Sie ihm nachweisen, dass er im Interesse der Atomwirtschaft, in deren Auftrag handelt?
Leyendecker: Nein, er gibt sich selbst den Auftrag. Da ist jemand in den Bundestag eingezogen, der hat sich frühzeitig schon dazu bekannt, das fortzusetzen, was er beruflich gemacht hat. Lobbyismus ist ja der Versuch, für irgendwelche Interessenverbände oder für Unternehmen Politik zu machen, und ich glaube, das ist in seinem Sinne auch folgerichtig. Nur beschreiben muss man es, dass Lobbyisten für Atomkraft halt in unterschiedlichsten Bereichen stehen. Deshalb auch das, was ich eben versucht habe zu sagen, der Name steht auch für andere Namen. Andere haben auch ihren Auftrag immer so verstanden, auch Gewerkschafter.
Meyer: Die Sternstunde des Atomlobbyismus war ja sicher die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke, die die schwarz-gelbe Bundesregierung durchgesetzt hat – wenn wir darauf noch mal zurückblicken, wie hat die Atomlobby das eigentlich erreicht?
Leyendecker: Sie hat es erreicht, indem sie auch andere Konzerne eingeschaltet hat. Sie hat gewissermaßen appelliert an die Stimme der Vernunft, dass in Deutschland auch Technik obsiegen muss, und sie hat dafür dann eine Kampagne gestartet, wo sie versucht hat, auch Druck auszuüben auf Politik. Es hat den energiepolitischen Appell gegeben, in dem man längere Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke haben wollte.
Und dann haben auch viele DAX-Vorstände mitgemacht. Der Bekannteste ist sicherlich Josef Ackermann von der Deutschen Bank, aber auch Leute wie Schulz von Thyssen-Krupp haben da unterzeichnet, die haben gewissermaßen symbolisiert: Die Wirtschaft steht dahinter, die Wirtschaft braucht billige Energie – so errechnet man das ja immer –, und hat dann auch gezeigt, wer eigentlich die Macht im Lande hat. Und auch gegen Skepsis, auch bei Röttgen beispielsweise, hat man sich dann ein Stückchen durchgesetzt und den von der rot-grünen Regierung geschlossenen Atomkonsenz aufgekündigt und die Laufzeit dann verlängert.
Meyer: Man kann ja gerade von der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung aus den Eindruck haben, die Verquickung der Politik mit der Energiewirtschaft ist ein schwarz-gelbes Problem. Aber wenn man sich anschaut, wie zum Beispiel der Altkanzler Schröder den Job gewechselt hat, nachdem er nicht mehr Kanzler war, da sieht man ja auch, dass das Problem auch weit in andere Parteien hineinreicht, oder?
Leyendecker: Ja. Das ist nicht zu isolieren, also wenn Sie noch ein bisschen weiter zurückgehen und fragen: Welche Rolle hat eigentlich die Gewerkschaft gespielt, auch bei Projekten, die ja dann gescheitert sind, wie dem schnellen Brüter oder so, da haben Sie ganz starke Gewerkschaftsinteressen gehabt, Kernenergie in diesem Lande zu forcieren. Man hat das dann auf Gewerkschaftsseite häufig gekoppelt mit der Kohle, dass man sagt: Das eine Bein für die Kohle, das andere für Kernkraft.
Nur da waren die gewaltigsten Unterstützer in der Vergangenheit, gerade so früher die Gewerkschaft, als sie noch IGBE hieß, da hat es ganz viele gegeben, die halt auch das Tempo mit versucht haben, zu bestimmen für Kernkraft. Und auch in der SPD war das immer. Die, die ein Stückchen außerhalb waren aus ihrer Geschichte, waren die Grünen, deshalb profitieren die jetzt auch von dieser Diskussion, weil sie eigentlich die reinsten sind. Alle anderen, egal ob wir uns die CSU angucken oder die SPD angucken, die in dieser Frage früh gespalten war, laufen ein Stückchen hinterher.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Hans Leyendecker, er hat über die Verflechtung von Atomwirtschaft und Politik in Deutschland geschrieben in einem Beitrag für das Buch: "Verändert euch! – Manifest zur Energiewende". Im Moment, Herr Leyendecker, hat sich ja vieles geändert. Gestern gab es die Jahrestagung der deutschen Atomwirtschaft in Berlin. Die Deutsche Presseagentur schreibt dazu, dort habe Katerstimmung geherrscht, auch weil die Politik die Kontaktdrähte zur Atomwirtschaft gekappt habe. Das wäre ja wirklich was neues. Glauben Sie daran, dass die Drähte gekappt sind?
Leyendecker: Nein. Es gibt keinen Bereich der Gesellschaft, in dem Politik Drähte zu irgendjemand kappt, das wäre auch ein Stückchen unvernünftig. Man muss ja jetzt das, was entstanden ist, aufgrund der Diskussion, die eigentlich eine alte Diskussion ist – über Restrisiko ist immer diskutiert worden, es ist auch immer darüber diskutiert worden, was könnte passieren, wenn ein Flugzeug auf ein Kernkraftwerk fällt -, dazu hat es auch immer Szenarien gegeben.
Nur das Alte wird jetzt neu betrachtet, weil man sagt einfach: Japan ist ein hochentwickeltes Land, was da passiert ist, haben wir uns so nicht vorstellen können, sagt mancher, der sich das hat, glaube ich, auch immer vorstellen können.
Die Macht war zu groß, auch der Machtwechsel da in Baden-Württemberg – man sieht, dass man mit Kernkraft keine Punkte mehr machen kann, im Moment jedenfalls, und deshalb versucht die Politik, jetzt auch da ein anderes Tempo beim Ausstieg zu finden. Man geniert sich ein bisschen, möglicherweise, im Moment sich so zu zeigen, wie man sich früher gezeigt hat. Nur, die Drähte bestehen sicherlich weiter.
Meyer: Das heißt, Sie meinen, dass der Filz aus Atomwirtschaft und Politik dann irgendwann wieder belebt wird?
Leyendecker: Ja, dass er zumindest bei der Abwicklung auch dienlich sein kann aus Sicht der Politik. Politik traut sich zum einen im Moment nicht, gegen die Wähler was zu machen, und traut sich zum anderen aber auch nicht richtig, was zu machen gegen Großindustrie, also gegen RWE oder E.ON, die da immer noch eine wichtige Rolle spielen. Da tariert man gerade aus, wo ein bisschen die Kräfteverhältnisse liegen, aber dass Unternehmen und Lobbyismus immer noch Macht im Lande haben – auch in diesem Bereich –, das ist wohl so.
Meyer: Wobei, wenn man in das Land schaut, in das Bundesland, in dem Sie vor allem aktiv sind als Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung", wenn man auf Horst Seehofer schaut, und der das Vorpreschen ja der CSU – Atomausstieg bis 2022, da hat man ja den Eindruck, ein Unionspolitiker stellt sich direkt gegen die – ja, gerade in seinem Bundesland – sehr starke Atomwirtschaft.
Leyendecker: Seehofer hat auch immer Züge des Populismus unterstützt – und die CSU ist aus vielerlei Gründen in großen Schwierigkeiten. Das war früher eine Partei, die 60 Prozent erreichte, und die diskutieren jetzt über 40 Prozent. Und da ist irgendwas in der Gesellschaft gebrochen.
Und er hat relativ früh gesehen, unsere alte Terminologie taugt nicht mehr, wenn wir damit Leute erreichen wollen. Und von daher tritt er aufs Gaspedal, um ziemlich weit vorne zu sein bei der neuen Atompolitik. Ob das jetzt Überzeugung ist oder ob Menschen dazu gebracht werden durch Ereignisse, darüber kann man lange philosophieren, nur Fakt ist, er möchte mit vorne dabei sein.
Meyer: Wenn wir jetzt mal in die Zukunft schauen, welche Argumente kann die Atomlobby jetzt eigentlich noch anstrengen? Wir haben ja in den letzten Wochen schon immer gehört: Vorsicht, die Versorgungssicherheit in Deutschland ist gefährdet, Strom wird teurer, wir können die CO2-Reduktionsziele nicht erreichen. Werden noch andere Argumente dazu kommen, oder werden die weiter angestrengt?
Leyendecker: Also, sicherlich wird die Klimakatastrophe hergenommen werden, dass man sagt, wenn ihr wirklich versucht, die Klimakatastrophe zu verhindern, dann dürft ihr diese sauberste Energie nicht einfach wegtun. Ich glaube nicht, dass man sehr viel neue Geschichten finden kann, die alten Argumente werden hochgehoben werden, die werden nicht mehr die Beachtung finden in der Politik, die sie bislang gefunden haben.
Meyer: Diese Argumente werden auch diskutiert in dem Buch "Verändert euch! – Das Manifest zur Energiewende". Für dieses Buch hat Hans Leyendecker den Text "Wer mit wem? – über die Verfilzung von Atomwirtschaft und Politik" geschrieben. Das Buch ist im Aufbau-Verlag erschienen. Herr Leyendecker, vielen Dank für das Gespräch!
Leyendecker: Danke Ihnen!
Hans Leyendecker: Ja, guten Tag!
Meyer: Herr Leyendecker, "Wer mit wem?" So heißt ihr Text über die Atomlobby in Deutschland. Lobbyismus ist ja erst mal nichts Illegales, das machen ja auch die Verbände der erneuerbaren Energien. Was ist denn anders am Einsatz der Atomlobby?
Leyendecker: Der Einsatz der Atomlobby wird gestützt durch mächtige Konzerne. Das ist anders als in manchem anderen Bereich. Und er ist auch mit einer Ideologie verbunden gewesen – mit der Atom-Ideologie – und hat deshalb auch viele Verbündete gefunden in Wissenschaft, Beamtenschaft, Gewerkschaft. Das heißt, wir haben es hier mit Lobbyismus zu tun, mit einer Lobbykratie, die sich stützen kann auf unterschiedliche Pfeiler in der Gesellschaft, jedenfalls stützen konnte, und auch nur dadurch konnte sie so mächtig sein, wie sie war.
Meyer: Was heißt Lobbykratie?
Leyendecker: Lobbykratie heißt ein Stückchen, wenn das, was wir für Demokratie halten, abgelöst wird durch Interessenvertretung. Und hier hat es – auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine Interessenvertretung, wie Sie eben angemerkt haben – aber hier hat es eine sehr mächtige, gut verbündete, über alle Lager reichende Interessenvertretung gegeben, die ein Stückchen auch unsere normalen Abläufe verändert hat.
Meyer: Sie zitieren dafür ein Beispiel in ihrem Text – also, es ist ja auf der einen Seite klar, dass sich die Manager der Atomindustrie auch als Lobbyisten für ihre Sache, für ihre Unternehmen einsetzen. Anders wird das ja, wenn sich Volksvertreter, wenn sich Abgeordnete für die Ziele der Industrie einspannen lassen, und da, in diesem Zusammenhang kommen Sie auf den CDU-Abgeordneten Joachim Pfeiffer zu sprechen, der sei einer der verlässlichsten Verbündeten der Energiekonzerne im Parlament. Wie hat er sich denn einspannen lassen für die Atomwirtschaft?
Leyendecker: Also, sein Name steht für andere Namen, das muss man auch so sehen. Aber er war frühzeitig bei der Energieversorgung Schwaben AG, da hat er damals, glaube ich, im Bereich Controlling gearbeitet …
Meyer: Das war vor seiner Abgeordnetenzeit?
Leyendecker: Das war vor seiner Abgeordnetenzeit, und dann ist er in den Bundestag gekommen, er ist 2002 erstmals in den Bundestag gekommen, ist dann, wie es sich auch gehört, Koordinator für Energiefragen geworden, ist relativ fix auch in der Hierarchie aufgestiegen, stellvertretender wirtschaftspolitischer Sprecher, und hat eigentlich dann alles getan, was man tut, um das, was er so Stimme der Vernunft nennt, zu verkaufen. Selbst nach Japan, nach Fukushima, wo doch mancher ins Wanken gekommen ist bei der Frage, was meint eigentlich Restrisiko – und das zeichnet ja auch dieses Buch aus, dass man das thematisiert – können Menschen tatsächlich ganz sicher irgendetwas schaffen, was dann auch so sicher bleibt, - da hat er, als der Trittin ihm in die Quere kam, noch geraten, er solle jetzt aufpassen, dass es keine Hirnschmelze gebe. Das ist ein Hundertprozentiger, und der läuft dann einfach auch für das, was er für richtig hält, und wird von denen gestützt, die er unterstützt.
Meyer: Ja, aber wenn ein Abgeordneter etwas aus eigener Überzeugung für richtig hält, was kann man ihm dann eigentlich vorwerfen? Können Sie ihm nachweisen, dass er im Interesse der Atomwirtschaft, in deren Auftrag handelt?
Leyendecker: Nein, er gibt sich selbst den Auftrag. Da ist jemand in den Bundestag eingezogen, der hat sich frühzeitig schon dazu bekannt, das fortzusetzen, was er beruflich gemacht hat. Lobbyismus ist ja der Versuch, für irgendwelche Interessenverbände oder für Unternehmen Politik zu machen, und ich glaube, das ist in seinem Sinne auch folgerichtig. Nur beschreiben muss man es, dass Lobbyisten für Atomkraft halt in unterschiedlichsten Bereichen stehen. Deshalb auch das, was ich eben versucht habe zu sagen, der Name steht auch für andere Namen. Andere haben auch ihren Auftrag immer so verstanden, auch Gewerkschafter.
Meyer: Die Sternstunde des Atomlobbyismus war ja sicher die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke, die die schwarz-gelbe Bundesregierung durchgesetzt hat – wenn wir darauf noch mal zurückblicken, wie hat die Atomlobby das eigentlich erreicht?
Leyendecker: Sie hat es erreicht, indem sie auch andere Konzerne eingeschaltet hat. Sie hat gewissermaßen appelliert an die Stimme der Vernunft, dass in Deutschland auch Technik obsiegen muss, und sie hat dafür dann eine Kampagne gestartet, wo sie versucht hat, auch Druck auszuüben auf Politik. Es hat den energiepolitischen Appell gegeben, in dem man längere Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke haben wollte.
Und dann haben auch viele DAX-Vorstände mitgemacht. Der Bekannteste ist sicherlich Josef Ackermann von der Deutschen Bank, aber auch Leute wie Schulz von Thyssen-Krupp haben da unterzeichnet, die haben gewissermaßen symbolisiert: Die Wirtschaft steht dahinter, die Wirtschaft braucht billige Energie – so errechnet man das ja immer –, und hat dann auch gezeigt, wer eigentlich die Macht im Lande hat. Und auch gegen Skepsis, auch bei Röttgen beispielsweise, hat man sich dann ein Stückchen durchgesetzt und den von der rot-grünen Regierung geschlossenen Atomkonsenz aufgekündigt und die Laufzeit dann verlängert.
Meyer: Man kann ja gerade von der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung aus den Eindruck haben, die Verquickung der Politik mit der Energiewirtschaft ist ein schwarz-gelbes Problem. Aber wenn man sich anschaut, wie zum Beispiel der Altkanzler Schröder den Job gewechselt hat, nachdem er nicht mehr Kanzler war, da sieht man ja auch, dass das Problem auch weit in andere Parteien hineinreicht, oder?
Leyendecker: Ja. Das ist nicht zu isolieren, also wenn Sie noch ein bisschen weiter zurückgehen und fragen: Welche Rolle hat eigentlich die Gewerkschaft gespielt, auch bei Projekten, die ja dann gescheitert sind, wie dem schnellen Brüter oder so, da haben Sie ganz starke Gewerkschaftsinteressen gehabt, Kernenergie in diesem Lande zu forcieren. Man hat das dann auf Gewerkschaftsseite häufig gekoppelt mit der Kohle, dass man sagt: Das eine Bein für die Kohle, das andere für Kernkraft.
Nur da waren die gewaltigsten Unterstützer in der Vergangenheit, gerade so früher die Gewerkschaft, als sie noch IGBE hieß, da hat es ganz viele gegeben, die halt auch das Tempo mit versucht haben, zu bestimmen für Kernkraft. Und auch in der SPD war das immer. Die, die ein Stückchen außerhalb waren aus ihrer Geschichte, waren die Grünen, deshalb profitieren die jetzt auch von dieser Diskussion, weil sie eigentlich die reinsten sind. Alle anderen, egal ob wir uns die CSU angucken oder die SPD angucken, die in dieser Frage früh gespalten war, laufen ein Stückchen hinterher.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Hans Leyendecker, er hat über die Verflechtung von Atomwirtschaft und Politik in Deutschland geschrieben in einem Beitrag für das Buch: "Verändert euch! – Manifest zur Energiewende". Im Moment, Herr Leyendecker, hat sich ja vieles geändert. Gestern gab es die Jahrestagung der deutschen Atomwirtschaft in Berlin. Die Deutsche Presseagentur schreibt dazu, dort habe Katerstimmung geherrscht, auch weil die Politik die Kontaktdrähte zur Atomwirtschaft gekappt habe. Das wäre ja wirklich was neues. Glauben Sie daran, dass die Drähte gekappt sind?
Leyendecker: Nein. Es gibt keinen Bereich der Gesellschaft, in dem Politik Drähte zu irgendjemand kappt, das wäre auch ein Stückchen unvernünftig. Man muss ja jetzt das, was entstanden ist, aufgrund der Diskussion, die eigentlich eine alte Diskussion ist – über Restrisiko ist immer diskutiert worden, es ist auch immer darüber diskutiert worden, was könnte passieren, wenn ein Flugzeug auf ein Kernkraftwerk fällt -, dazu hat es auch immer Szenarien gegeben.
Nur das Alte wird jetzt neu betrachtet, weil man sagt einfach: Japan ist ein hochentwickeltes Land, was da passiert ist, haben wir uns so nicht vorstellen können, sagt mancher, der sich das hat, glaube ich, auch immer vorstellen können.
Die Macht war zu groß, auch der Machtwechsel da in Baden-Württemberg – man sieht, dass man mit Kernkraft keine Punkte mehr machen kann, im Moment jedenfalls, und deshalb versucht die Politik, jetzt auch da ein anderes Tempo beim Ausstieg zu finden. Man geniert sich ein bisschen, möglicherweise, im Moment sich so zu zeigen, wie man sich früher gezeigt hat. Nur, die Drähte bestehen sicherlich weiter.
Meyer: Das heißt, Sie meinen, dass der Filz aus Atomwirtschaft und Politik dann irgendwann wieder belebt wird?
Leyendecker: Ja, dass er zumindest bei der Abwicklung auch dienlich sein kann aus Sicht der Politik. Politik traut sich zum einen im Moment nicht, gegen die Wähler was zu machen, und traut sich zum anderen aber auch nicht richtig, was zu machen gegen Großindustrie, also gegen RWE oder E.ON, die da immer noch eine wichtige Rolle spielen. Da tariert man gerade aus, wo ein bisschen die Kräfteverhältnisse liegen, aber dass Unternehmen und Lobbyismus immer noch Macht im Lande haben – auch in diesem Bereich –, das ist wohl so.
Meyer: Wobei, wenn man in das Land schaut, in das Bundesland, in dem Sie vor allem aktiv sind als Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung", wenn man auf Horst Seehofer schaut, und der das Vorpreschen ja der CSU – Atomausstieg bis 2022, da hat man ja den Eindruck, ein Unionspolitiker stellt sich direkt gegen die – ja, gerade in seinem Bundesland – sehr starke Atomwirtschaft.
Leyendecker: Seehofer hat auch immer Züge des Populismus unterstützt – und die CSU ist aus vielerlei Gründen in großen Schwierigkeiten. Das war früher eine Partei, die 60 Prozent erreichte, und die diskutieren jetzt über 40 Prozent. Und da ist irgendwas in der Gesellschaft gebrochen.
Und er hat relativ früh gesehen, unsere alte Terminologie taugt nicht mehr, wenn wir damit Leute erreichen wollen. Und von daher tritt er aufs Gaspedal, um ziemlich weit vorne zu sein bei der neuen Atompolitik. Ob das jetzt Überzeugung ist oder ob Menschen dazu gebracht werden durch Ereignisse, darüber kann man lange philosophieren, nur Fakt ist, er möchte mit vorne dabei sein.
Meyer: Wenn wir jetzt mal in die Zukunft schauen, welche Argumente kann die Atomlobby jetzt eigentlich noch anstrengen? Wir haben ja in den letzten Wochen schon immer gehört: Vorsicht, die Versorgungssicherheit in Deutschland ist gefährdet, Strom wird teurer, wir können die CO2-Reduktionsziele nicht erreichen. Werden noch andere Argumente dazu kommen, oder werden die weiter angestrengt?
Leyendecker: Also, sicherlich wird die Klimakatastrophe hergenommen werden, dass man sagt, wenn ihr wirklich versucht, die Klimakatastrophe zu verhindern, dann dürft ihr diese sauberste Energie nicht einfach wegtun. Ich glaube nicht, dass man sehr viel neue Geschichten finden kann, die alten Argumente werden hochgehoben werden, die werden nicht mehr die Beachtung finden in der Politik, die sie bislang gefunden haben.
Meyer: Diese Argumente werden auch diskutiert in dem Buch "Verändert euch! – Das Manifest zur Energiewende". Für dieses Buch hat Hans Leyendecker den Text "Wer mit wem? – über die Verfilzung von Atomwirtschaft und Politik" geschrieben. Das Buch ist im Aufbau-Verlag erschienen. Herr Leyendecker, vielen Dank für das Gespräch!
Leyendecker: Danke Ihnen!