Vorreiter auf vermintem Gelände
Über 80 Seiten widmet der jüngste baden-württembergische Verfassungsschutzbericht dem Islamismus und den Gefahren, die von ihm ausgehen. Ein Indiz unter mehreren, dass das Innenministerium dieses Landes den islamistischen Terror ernst nimmt, und dies nicht erst seit dem 11. September 2001.
Schon Anfang der 80er Jahre stellte der Verfassungsschutz dieses Landes Islamwissenschaftler und aus dem arabisch-islamischen Raum stammende Mitarbeiter ein. Als "Kompetenzgruppe Islamismus" leisten diese Experten eine inzwischen weit über die Landesgrenzen anerkannte Aufklärungsarbeit, die eigentlich für andere Bundesländer Vorbild sein müsste.
"Die 'Kompetenzgruppe Islamismus' ist einzigartig in Deutschland. Zwar gibt es in jedem Landesamt für Verfassungsschutz Arabisten und Islamwissenschaftler, die beschlagnahmte Dokumente oder mitgeschnittene Moscheepredigten analysieren. Aber nirgendwo gibt es mehr Expertise an einem Ort als hier in Stuttgart-Bad Cannstatt und nimmt man sich mehr Zeit, sich mit der Gedankenwelt islamistischer Terroristen auseinander zu setzen."
Solches Lob für Verfassungsschützer ist nicht alltäglich. In Yassin Musharbashs kürzlich erschienenem Buch Die neue "AL-QAIDA. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks" lässt es sich nachlesen. Die von dem SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Musharbash gerühmte Einzigartigkeit geht auf die Weitsicht der Stuttgarter Verfassungsschützer zurück. Die hatten lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001 die Idee, Islamwissenschaftler zur Beobachtung des islamisch geprägten Ausländerextremismus anzuheuern. Dies hat sich vor allem dann, als neue Gefahren drohten, ausgezahlt. Der islamistisch begründete Terror ist eine solche neue Gefahr. Oder ist er nicht bereits eine alte? Für den Islamwissenschaftler Herbert Landolin Müller, der die eingangs hochgelobte "Kompetenzgruppe Islamismus" beim baden-württembergischen Verfassungsschutz aufgebaut hat, ist er eine alte Gefahr:
"Im Laufe der achtziger Jahre hat sich ja in Deutschland das entwickelt, was wir die islamistische Szene nennen. Nach dem deutschen Vereinsgesetz haben sich Organisationen entwickelt mit einem politischen Anspruch. Sie haben das Vakuum gefüllt, das der deutsche Staat, die deutsche Gesellschaft ließ, weil man sich ja dem Irrglauben hingab, diese Menschen würden nach einer gewissen Zeit wieder zurückkehren. Aber mit dem Familiennachzug hat sich da ja dann die Szene fest etabliert. Das hat man nicht wahrgenommen oder wollte es vielleicht auch nicht wahrnehmen. Dann hat man angesichts diverser Verbindungen in den politischen Bereich der Türkei, auch zu den Muslimbrüdern, hier im Verfassungsschutz jedenfalls bemerkt, dass es ohne eine gewisse Professionalität und Kenntnisse in den entsprechenden Sprachen nicht geht."
Als Müller Anfang der neunziger Jahre zu den Stuttgarter Verfassungsschützern stieß, war er einer der ersten Islamwissenschaftler im Geheimdienstmilieu. Das sollte sich angesichts näher rückender islamistischer Bedrohungen alsbald ändern.
"Es hat sich sehr schnell herauskristallisiert, dass es nicht nur ein langfristiges Problem im politischen Bereich mit dem Blick auf die Grundwerte unserer Verfassung bleiben wird, sondern - bedingt durch den Bosnienkrieg, auch bedingt durch anderes Krisenfelder, Stichwort: Algerien, Stichwort: Anschläge in Frankreich bis zum geplanten Anschlag in Straßburg 2002, Weihnachtsmarkt, dass die Ausläufer dieser Krisengebiete uns erreichen werden. Wir mussten auch feststellen, dass die Kämpfer, die gegen die Russen in Afghanistan gekämpft hatten und in ihren eigenen Ländern sich nicht mehr halten konnten, weil die dortigen Regime sie als erbitterte Gegner ansahen, dass die auch nach Europa verdrängt wurden, dass die hier ihren Platz suchten. Und letztendlich führte das dann zur Entscheidung, dass dieser Bereich des Islamismus mit einem entsprechenden Referat bearbeitet werden musste, in dem dann auch Kollegen mit langjähriger Erfahrung im Ausländerbereich mit einbezogen wurden. Also da ergänzte sich das Konzept: einerseits wissenschaftliche Fundierung und andererseits, das, was wir heute interkulturelle Kompetenz nennen würden. Und das ist die Mischung, die uns den Erfolg bringen kann. Die Hausführungen hier in Baden-Württemberg haben das erkannt, und sie haben den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, das entsprechend umzusetzen."
Was Müller hier schildert, war die Keimzelle der "Kompetenzgruppe Islamismus", die sich heute hoher Wertschätzung erfreut und wo immer einschlägiges Expertenwissen gefragt ist, zu Wort kommt. Es bedurfte freilich der Anschläge vom 11. September 2001, um aus diesen frühen Anfängen das entstehen zu lassen, was sich heute "Kompetenzgruppe Islamismus" nennt. Erst nach dieser Katastrophe schüttete das Land Baden-Württemberg Sondermittel zur Aufklärung über islamistischen Terrorismus aus. Das Zauberwort, das den Geldhahn öffnete, hieß "Antiterrorismussofortprogramm". Dabei trafen die Terrorattacken in den Vereinigten Staaten die baden-württembergischen Schlapphüte nicht einmal unvorbereitet.
"Wir sind am entsprechenden Tag des Angriffs auf die Türme in New York im Grunde nicht aus dem Nichts heraus gestartet, sondern wir hatten da vorher auch schon mit anderen Landesämtern eine so genannte Arbeitsgruppe Mudjahedin gebildet, weil wir erkannt haben, dass das auch ein Feld ist, das wir besonders unter dem Blick haben müssen. Uns war auch klar, dass diese ewigen Hasstiraden, die wir mitbekommen haben, und auch diese Pamphlete, die hier angeschwemmt wurden, dass das nicht ohne Folgen bleiben könne. Aber vor diesem Hintergrund konnten wir dann auch entsprechend reagieren. Und unser vertrauliches Telefon zum Beispiel, das wurde einen Tag nach den Anschlägen eingerichtet. Und wir haben dann kontinuierlich an der Entwicklung der ‚Kompetenzgruppe Islamismus’ weitergearbeitet, zunächst mit Kräften aus dem eigenen Haus und dann durch die Mittel, die dann seitens der Regierung zur Verfügung gestellt wurden."
Dank dem bereits erwähnten "Antiterrorismussofortprogramm" hat sich die Kompetenzgruppe erheblich vergrößert. Johannes Schmalzl, Baden-Württembergs oberster Verfassungshüter, nennt Zahlen:
"Diese Kompetenzgruppe hat derzeit zirka vierzig Mitarbeiter. Sie müssen aber immer auch sehen, dass natürlich Querschnittbereiche im Amt auch zum Teil sogar schwerpunktmäßig für diese Kompetenzgruppe arbeiten."
Präsident Schmalzl belässt es nicht bei Quantitäten. Er benennt auch die Qualitäten seiner Kompetenzgruppe, wobei unüberhörbar Stolz in der Stimme mitschwingt:
"Wir haben nur beste Erfahrungen gemacht mit den Islamwissenschaftlern. Wir haben insgesamt sieben, einschließlich des Leiters, Herbert Landolin Müller. Und jeder bringt dort seinen 'background' mit. Es waren fast alle auch in den entsprechenden Ländern selbst, haben dort eine zeitlang gelebt, und die bringen nicht nur angelesenes Wissen in die Analyse ein. Und auch das stärkt die Analysefähigkeit dieses Landesamtes für Verfassungsschutz."
Die guten Erfahrungen mit Islamwissenschaftlern bei den baden-württembergischen Verfassungsschützern haben sich herumgesprochen, so dass sich bald andernorts Nachahmer fanden. Sogar das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gehört zu ihnen. Für dessen Abteilung 6, die sich ausschließlich mit Islamismus und islamistischen Terrorismus beschäftigt, hat die Stuttgarter Kompetenzgruppe Pate gestanden. Auch andere Verfassungsschutzämter haben inzwischen den einen oder anderen Orientalisten auf der Gehaltsliste, ohne freilich mit dem Expertenwissen ihrer baden-württembergischen Kollegen konkurrieren zu können.
Deren Analysestärke ist unbestritten. Doch die allein macht noch keinen wirklich guten Geheimdienst aus. Dazu gehört mehr. Er muss auch stark in der Observierung sein, muss einen potentiellen Täter möglichst lückenlos ausspähen können. Das ist nicht nur ein mühseliges, sondern vor allem auch ein personalintensives Geschäft, bei dem die Stuttgarter noch Schwächen haben. Doch das soll sich jetzt ändern.
"Nach den versuchten Anschlägen auf die Regionalzüge hat die Landesregierung angekündigt, dass wir eine Stärkung in diesem operativen Bereich bekommen, dass wir einen weiteren Observationstrupp bekommen. Das ist auch notwendig, wenn wir unseren Anspruch aufrechterhalten wollen, dass wir nach Möglichkeit die Anschlagsgefahr in diesem Land minimieren wollen. Das ist aufgrund der neuesten Erkenntnisse der islamistischen Bedrohung schier unmöglich, aber wir wollen dieses Unmögliche versuchen."
Zu den neuen Erkenntnissen, die Schmalzl anspricht, gehören mannigfache Veränderungen innerhalb der islamistischen Szene, die zeigen, welchen gewachsenen Schwierigkeiten sich die Nachrichtendienste gegenwärtig gegenübersehen.
"Der Islamismus in heutiger Gestalt ist oftmals ein Inländerproblem. Sie haben in vielen Organisationen deutsche Staatsangehörige, die überzeugt sind, dass sie dieses Land umgestalten müssen im Sinn der islamistischen Ideologie."
Im solchermaßen erweiterten Gefahrenfeld stecken noch andere Probleme. Galt eine gewisse Zeit der Hassprediger als der Rattenfänger schlechthin, der junge Muslime in der Moschee zum Terrorismus verführt, so ist dieses Bild vom Buhmann unterm Turban inzwischen überholt. Der Islamspezialist Herbert Landolin Müller weiß warum.
"Diese Vorstellung trägt nicht mehr, weil auch durch die Eingriffe der Staatsbehörden in Deutschland nach dem 11.09. sich die Szene immer wieder umgewandelt hat. In den entsprechenden Organisationen und deren Moscheen ist man sehr vorsichtig geworden. Da sind eindeutige Aussagen gegen Israel oder gegen Juden oder gegen den Westen oder gegen die verkommenen individualistischen westlichen Menschen nicht mehr so festzustellen gewesen, weil es den Verantwortlichen klar wurde, dass das Folgen haben könnte. Also hat sich das zum Teil in kleine Zirkel, in Privatwohnungen, auch Cafés, Internetcafés, verlagert."
Die Moschee als islamistische Ideologiefabrik und Lautsprecher einschlägiger Propaganda ist längst abgelöst durch das Internet, das den, der es will, mit allem versorgt, was er braucht, um als Mudjahedin, als Glaubenskrieger, gegen die westlichen "Kreuzzügler" zu Felde zu ziehen. Vom weltanschaulichen Rüstzeug - Gewaltvideo, Märtyrertestament und antisemitischer Hetzschrift - bis zur Anleitung zum Bombenbau und zum Sprengstoffgürtelbasteln liegt da alles abrufbereit parat. Der Mausklick ersetzt die ideologische wie die militärische Schulung in einem Ausbildungslager in Nah- oder Mittelost und stellt den Kontakt zu terroristischen Netzwerken her. Jeder sein eigener Osama bin Laden. Müller bestätigt die herausragende Rolle des Internet als Propagandamedium und konstatiert zunehmende Nutzungstendenz.
"Für uns ist es schon besorgniserregend zu sehen, dass gerade über das Internet beispiellose Schriften, die Gewalt begründen, in den vergangenen Jahren verstärkt verteilt wurden. Das war durch die Aktionen der Polizei festzustellen, durch die eine oder andere Hausdurchsuchung, dass entsprechende Portale besucht wurden, dass da Inhalte heruntergeladen wurden auf CDs, sogar noch zur Weiterverbreitung vorbereitet; und die Eigenrecherche in den entsprechenden Milieus zeigen uns, dass im Verlauf und im Nachlauf zum Irakkrieg und nicht zuletzt jetzt im Libanonkrieg die entsprechenden politischen Themen hier ankommen und umgesetzt werden, dass dann auch durch die Sympathisanten der Hisbollah diverse extreme Haltungen hier verstärkt werden und einen Schub bekommen."
Wer sich nicht die Mühe machen will, auf islamistischen Spuren im Internet zu surfen, muss nur einen Blick in den jüngsten baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht werfen, um Müllers Besorgnis zu teilen. Die dort abgedruckten "Kostproben" geben Einblick in eine Propaganda des Hasses und der Unversöhnlichkeit, die schaudern macht. Da wird nicht nur zum bewaffneten Kampf gegen westliche "Ungläubige" wie vom Islam abgefallene Muslime aufgefordert mit dem Ziel, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Da wird auch der Demokratie und ihren Spielregeln pauschal der Krieg erklärt. In einem deutschsprachigen Internetforum war einen Tag vor der letzten Bundestagswahl, am 18. September 2005, zu lesen:
"Schaut Euch die Ungläubigen an, wie sie morgen wählen gehen und somit ihre fehlerhaften Gesetze über diejenigen von Allah stellen. Sie alle haben nichts (!) anderes als den Tot (!) und die ewige Qual im Höllenfeuer verdient."
Wer freie Wahlen mit einer solchen Begründung ablehnt, outet sich als Anhänger eines religiösen Totalitarismus, der mit einem auf Pluralismus gegründeten demokratischen Rechtsstaat unvereinbar ist. Glaubenseiferer dieser Couleur in unsere Gesellschaft zu integrieren, kann erst dann gelingen, wenn sie ihre Extremposition aufgeben. Gleichwohl warnt Baden-Württembergs Verfassungsschutzpräsident Schmalzl davor, hier lebende Muslime unter Generalverdacht zu stellen.
"Wir haben mit 99 Prozent der Muslime keine Probleme. Wir reden über eine Minderheit - in Baden-Württemberg beispielsweise 4300 Menschen, die wir als Mitglieder islamistischer Organisationen, als Islamisten, bezeichnen würden, die eine andere Gesellschaftsordnung anstreben."
Angesichts der Bedrohungen, die von dieser Minderheit ausgehen, stellt sich den Stuttgarter Verfassungsschützern eine doppelte Aufgabe, die Müller so beschreibt:
"Einerseits die Aufklärung der djihadistischer Strukturen, der Versuch, Anschläge zu verhindern, und dann Aufklärung in die muslimische Szene hinein, um die Pflichten aufzuzeigen, die Bürger muslimischen Glaubens in diesem Land haben, dass wir sie einbinden können in die Verteidigung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen und des Rechtstaats. Wir stehen also vor einer sehr weit gefassten Aufgabe, bei der wir auch die Muslime brauchen, die sehr distanziert zu den Islamisten stehen, denn wenn es hier eine Veränderung geben soll, dann muss sie von den Muslimen selbst kommen, weil sie erkennen müssen, dass es mit solchen extremen Auffassungen nicht zu einem friedlichen Zusammenleben kommen kann."
Aus Sicht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes ist diese Erkenntnis unter den im Südwesten lebenden Muslimen, die Gewalt, erst recht islamistisch motivierte Gewalt, ablehnen, noch nicht sonderlich ausgeprägt. Wenn überhaupt, dann beschränkt sie sich nur allzu oft auf Lippenbekenntnisse, lässt aber Taten vermissen. Was darunter zu verstehen ist, erklärt Präsident Schmalzl:
"Konkrete Taten heißt für uns beispielsweise auch, dass wir aus dem Bereich der islamischen Vereinigungen frühzeitig Hinweise bekommen auf Extremisten. Das ist in der Vergangenheit recht sparsam geschehen. Wir beobachten ja auch nicht den Fundamentalismus. Wir beobachten nur den Extremismus, aber die Grenzen sind fließend, und hier würde man sich den Hinweis auf die eine oder andere Biographie wünschen, damit die Sicherheitsbehörden auch frühzeitig Gefahren für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land analysieren können."
Im Licht dieser Erfahrungen begrüßen die Verfassungsschützer zwar die kürzlich von Bundesinnenminister Schäuble einberufene Islamkonferenz, ihre Begeisterung für den von nun an auf höchster Ebene geführten Dialog hält sich freilich in Grenzen. Nochmals Schmalzl:
"Dieser politische Dialog ist per se erst einmal sinnvoll und auch notwendig. Die Sicherheitsbehörden messen solche Gespräche, die sie auch selbst führen, nicht an Worten, sondern an Taten, die am Ende herauskommen. Deswegen darf man es uns auch nicht verübeln, dass wir vielleicht kritischer eingestellt sind als andere, was den Erfolg eines solchen Gespräches angeht."
Wie immer sich dieser Dialog entwickelt, für die baden-württembergischen Verfassungsschützer ist eines gewiss: die islamistische Gefahr wird uns noch lange erhalten bleiben, weshalb man denn auch in Stuttgart weiterhin alles tut, um die Abwehr gegen diese Gefahr zu stärken.
"Es wird Sie auch nicht überraschen, dass wir ausgehend von der Erkenntnis, dass uns die Bedrohung durch den Islamismus noch über Jahrzehnte beschäftigen wird, dass wir aus dieser ‚Kompetenzgruppe Islamismus’ zum Ende des Jahres eine eigenständige, dauerhafte Abteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz machen, die wir weiter stärken werden. Es ist die zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, und der wollen wir uns stellen."
"Die 'Kompetenzgruppe Islamismus' ist einzigartig in Deutschland. Zwar gibt es in jedem Landesamt für Verfassungsschutz Arabisten und Islamwissenschaftler, die beschlagnahmte Dokumente oder mitgeschnittene Moscheepredigten analysieren. Aber nirgendwo gibt es mehr Expertise an einem Ort als hier in Stuttgart-Bad Cannstatt und nimmt man sich mehr Zeit, sich mit der Gedankenwelt islamistischer Terroristen auseinander zu setzen."
Solches Lob für Verfassungsschützer ist nicht alltäglich. In Yassin Musharbashs kürzlich erschienenem Buch Die neue "AL-QAIDA. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks" lässt es sich nachlesen. Die von dem SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Musharbash gerühmte Einzigartigkeit geht auf die Weitsicht der Stuttgarter Verfassungsschützer zurück. Die hatten lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001 die Idee, Islamwissenschaftler zur Beobachtung des islamisch geprägten Ausländerextremismus anzuheuern. Dies hat sich vor allem dann, als neue Gefahren drohten, ausgezahlt. Der islamistisch begründete Terror ist eine solche neue Gefahr. Oder ist er nicht bereits eine alte? Für den Islamwissenschaftler Herbert Landolin Müller, der die eingangs hochgelobte "Kompetenzgruppe Islamismus" beim baden-württembergischen Verfassungsschutz aufgebaut hat, ist er eine alte Gefahr:
"Im Laufe der achtziger Jahre hat sich ja in Deutschland das entwickelt, was wir die islamistische Szene nennen. Nach dem deutschen Vereinsgesetz haben sich Organisationen entwickelt mit einem politischen Anspruch. Sie haben das Vakuum gefüllt, das der deutsche Staat, die deutsche Gesellschaft ließ, weil man sich ja dem Irrglauben hingab, diese Menschen würden nach einer gewissen Zeit wieder zurückkehren. Aber mit dem Familiennachzug hat sich da ja dann die Szene fest etabliert. Das hat man nicht wahrgenommen oder wollte es vielleicht auch nicht wahrnehmen. Dann hat man angesichts diverser Verbindungen in den politischen Bereich der Türkei, auch zu den Muslimbrüdern, hier im Verfassungsschutz jedenfalls bemerkt, dass es ohne eine gewisse Professionalität und Kenntnisse in den entsprechenden Sprachen nicht geht."
Als Müller Anfang der neunziger Jahre zu den Stuttgarter Verfassungsschützern stieß, war er einer der ersten Islamwissenschaftler im Geheimdienstmilieu. Das sollte sich angesichts näher rückender islamistischer Bedrohungen alsbald ändern.
"Es hat sich sehr schnell herauskristallisiert, dass es nicht nur ein langfristiges Problem im politischen Bereich mit dem Blick auf die Grundwerte unserer Verfassung bleiben wird, sondern - bedingt durch den Bosnienkrieg, auch bedingt durch anderes Krisenfelder, Stichwort: Algerien, Stichwort: Anschläge in Frankreich bis zum geplanten Anschlag in Straßburg 2002, Weihnachtsmarkt, dass die Ausläufer dieser Krisengebiete uns erreichen werden. Wir mussten auch feststellen, dass die Kämpfer, die gegen die Russen in Afghanistan gekämpft hatten und in ihren eigenen Ländern sich nicht mehr halten konnten, weil die dortigen Regime sie als erbitterte Gegner ansahen, dass die auch nach Europa verdrängt wurden, dass die hier ihren Platz suchten. Und letztendlich führte das dann zur Entscheidung, dass dieser Bereich des Islamismus mit einem entsprechenden Referat bearbeitet werden musste, in dem dann auch Kollegen mit langjähriger Erfahrung im Ausländerbereich mit einbezogen wurden. Also da ergänzte sich das Konzept: einerseits wissenschaftliche Fundierung und andererseits, das, was wir heute interkulturelle Kompetenz nennen würden. Und das ist die Mischung, die uns den Erfolg bringen kann. Die Hausführungen hier in Baden-Württemberg haben das erkannt, und sie haben den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, das entsprechend umzusetzen."
Was Müller hier schildert, war die Keimzelle der "Kompetenzgruppe Islamismus", die sich heute hoher Wertschätzung erfreut und wo immer einschlägiges Expertenwissen gefragt ist, zu Wort kommt. Es bedurfte freilich der Anschläge vom 11. September 2001, um aus diesen frühen Anfängen das entstehen zu lassen, was sich heute "Kompetenzgruppe Islamismus" nennt. Erst nach dieser Katastrophe schüttete das Land Baden-Württemberg Sondermittel zur Aufklärung über islamistischen Terrorismus aus. Das Zauberwort, das den Geldhahn öffnete, hieß "Antiterrorismussofortprogramm". Dabei trafen die Terrorattacken in den Vereinigten Staaten die baden-württembergischen Schlapphüte nicht einmal unvorbereitet.
"Wir sind am entsprechenden Tag des Angriffs auf die Türme in New York im Grunde nicht aus dem Nichts heraus gestartet, sondern wir hatten da vorher auch schon mit anderen Landesämtern eine so genannte Arbeitsgruppe Mudjahedin gebildet, weil wir erkannt haben, dass das auch ein Feld ist, das wir besonders unter dem Blick haben müssen. Uns war auch klar, dass diese ewigen Hasstiraden, die wir mitbekommen haben, und auch diese Pamphlete, die hier angeschwemmt wurden, dass das nicht ohne Folgen bleiben könne. Aber vor diesem Hintergrund konnten wir dann auch entsprechend reagieren. Und unser vertrauliches Telefon zum Beispiel, das wurde einen Tag nach den Anschlägen eingerichtet. Und wir haben dann kontinuierlich an der Entwicklung der ‚Kompetenzgruppe Islamismus’ weitergearbeitet, zunächst mit Kräften aus dem eigenen Haus und dann durch die Mittel, die dann seitens der Regierung zur Verfügung gestellt wurden."
Dank dem bereits erwähnten "Antiterrorismussofortprogramm" hat sich die Kompetenzgruppe erheblich vergrößert. Johannes Schmalzl, Baden-Württembergs oberster Verfassungshüter, nennt Zahlen:
"Diese Kompetenzgruppe hat derzeit zirka vierzig Mitarbeiter. Sie müssen aber immer auch sehen, dass natürlich Querschnittbereiche im Amt auch zum Teil sogar schwerpunktmäßig für diese Kompetenzgruppe arbeiten."
Präsident Schmalzl belässt es nicht bei Quantitäten. Er benennt auch die Qualitäten seiner Kompetenzgruppe, wobei unüberhörbar Stolz in der Stimme mitschwingt:
"Wir haben nur beste Erfahrungen gemacht mit den Islamwissenschaftlern. Wir haben insgesamt sieben, einschließlich des Leiters, Herbert Landolin Müller. Und jeder bringt dort seinen 'background' mit. Es waren fast alle auch in den entsprechenden Ländern selbst, haben dort eine zeitlang gelebt, und die bringen nicht nur angelesenes Wissen in die Analyse ein. Und auch das stärkt die Analysefähigkeit dieses Landesamtes für Verfassungsschutz."
Die guten Erfahrungen mit Islamwissenschaftlern bei den baden-württembergischen Verfassungsschützern haben sich herumgesprochen, so dass sich bald andernorts Nachahmer fanden. Sogar das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gehört zu ihnen. Für dessen Abteilung 6, die sich ausschließlich mit Islamismus und islamistischen Terrorismus beschäftigt, hat die Stuttgarter Kompetenzgruppe Pate gestanden. Auch andere Verfassungsschutzämter haben inzwischen den einen oder anderen Orientalisten auf der Gehaltsliste, ohne freilich mit dem Expertenwissen ihrer baden-württembergischen Kollegen konkurrieren zu können.
Deren Analysestärke ist unbestritten. Doch die allein macht noch keinen wirklich guten Geheimdienst aus. Dazu gehört mehr. Er muss auch stark in der Observierung sein, muss einen potentiellen Täter möglichst lückenlos ausspähen können. Das ist nicht nur ein mühseliges, sondern vor allem auch ein personalintensives Geschäft, bei dem die Stuttgarter noch Schwächen haben. Doch das soll sich jetzt ändern.
"Nach den versuchten Anschlägen auf die Regionalzüge hat die Landesregierung angekündigt, dass wir eine Stärkung in diesem operativen Bereich bekommen, dass wir einen weiteren Observationstrupp bekommen. Das ist auch notwendig, wenn wir unseren Anspruch aufrechterhalten wollen, dass wir nach Möglichkeit die Anschlagsgefahr in diesem Land minimieren wollen. Das ist aufgrund der neuesten Erkenntnisse der islamistischen Bedrohung schier unmöglich, aber wir wollen dieses Unmögliche versuchen."
Zu den neuen Erkenntnissen, die Schmalzl anspricht, gehören mannigfache Veränderungen innerhalb der islamistischen Szene, die zeigen, welchen gewachsenen Schwierigkeiten sich die Nachrichtendienste gegenwärtig gegenübersehen.
"Der Islamismus in heutiger Gestalt ist oftmals ein Inländerproblem. Sie haben in vielen Organisationen deutsche Staatsangehörige, die überzeugt sind, dass sie dieses Land umgestalten müssen im Sinn der islamistischen Ideologie."
Im solchermaßen erweiterten Gefahrenfeld stecken noch andere Probleme. Galt eine gewisse Zeit der Hassprediger als der Rattenfänger schlechthin, der junge Muslime in der Moschee zum Terrorismus verführt, so ist dieses Bild vom Buhmann unterm Turban inzwischen überholt. Der Islamspezialist Herbert Landolin Müller weiß warum.
"Diese Vorstellung trägt nicht mehr, weil auch durch die Eingriffe der Staatsbehörden in Deutschland nach dem 11.09. sich die Szene immer wieder umgewandelt hat. In den entsprechenden Organisationen und deren Moscheen ist man sehr vorsichtig geworden. Da sind eindeutige Aussagen gegen Israel oder gegen Juden oder gegen den Westen oder gegen die verkommenen individualistischen westlichen Menschen nicht mehr so festzustellen gewesen, weil es den Verantwortlichen klar wurde, dass das Folgen haben könnte. Also hat sich das zum Teil in kleine Zirkel, in Privatwohnungen, auch Cafés, Internetcafés, verlagert."
Die Moschee als islamistische Ideologiefabrik und Lautsprecher einschlägiger Propaganda ist längst abgelöst durch das Internet, das den, der es will, mit allem versorgt, was er braucht, um als Mudjahedin, als Glaubenskrieger, gegen die westlichen "Kreuzzügler" zu Felde zu ziehen. Vom weltanschaulichen Rüstzeug - Gewaltvideo, Märtyrertestament und antisemitischer Hetzschrift - bis zur Anleitung zum Bombenbau und zum Sprengstoffgürtelbasteln liegt da alles abrufbereit parat. Der Mausklick ersetzt die ideologische wie die militärische Schulung in einem Ausbildungslager in Nah- oder Mittelost und stellt den Kontakt zu terroristischen Netzwerken her. Jeder sein eigener Osama bin Laden. Müller bestätigt die herausragende Rolle des Internet als Propagandamedium und konstatiert zunehmende Nutzungstendenz.
"Für uns ist es schon besorgniserregend zu sehen, dass gerade über das Internet beispiellose Schriften, die Gewalt begründen, in den vergangenen Jahren verstärkt verteilt wurden. Das war durch die Aktionen der Polizei festzustellen, durch die eine oder andere Hausdurchsuchung, dass entsprechende Portale besucht wurden, dass da Inhalte heruntergeladen wurden auf CDs, sogar noch zur Weiterverbreitung vorbereitet; und die Eigenrecherche in den entsprechenden Milieus zeigen uns, dass im Verlauf und im Nachlauf zum Irakkrieg und nicht zuletzt jetzt im Libanonkrieg die entsprechenden politischen Themen hier ankommen und umgesetzt werden, dass dann auch durch die Sympathisanten der Hisbollah diverse extreme Haltungen hier verstärkt werden und einen Schub bekommen."
Wer sich nicht die Mühe machen will, auf islamistischen Spuren im Internet zu surfen, muss nur einen Blick in den jüngsten baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht werfen, um Müllers Besorgnis zu teilen. Die dort abgedruckten "Kostproben" geben Einblick in eine Propaganda des Hasses und der Unversöhnlichkeit, die schaudern macht. Da wird nicht nur zum bewaffneten Kampf gegen westliche "Ungläubige" wie vom Islam abgefallene Muslime aufgefordert mit dem Ziel, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Da wird auch der Demokratie und ihren Spielregeln pauschal der Krieg erklärt. In einem deutschsprachigen Internetforum war einen Tag vor der letzten Bundestagswahl, am 18. September 2005, zu lesen:
"Schaut Euch die Ungläubigen an, wie sie morgen wählen gehen und somit ihre fehlerhaften Gesetze über diejenigen von Allah stellen. Sie alle haben nichts (!) anderes als den Tot (!) und die ewige Qual im Höllenfeuer verdient."
Wer freie Wahlen mit einer solchen Begründung ablehnt, outet sich als Anhänger eines religiösen Totalitarismus, der mit einem auf Pluralismus gegründeten demokratischen Rechtsstaat unvereinbar ist. Glaubenseiferer dieser Couleur in unsere Gesellschaft zu integrieren, kann erst dann gelingen, wenn sie ihre Extremposition aufgeben. Gleichwohl warnt Baden-Württembergs Verfassungsschutzpräsident Schmalzl davor, hier lebende Muslime unter Generalverdacht zu stellen.
"Wir haben mit 99 Prozent der Muslime keine Probleme. Wir reden über eine Minderheit - in Baden-Württemberg beispielsweise 4300 Menschen, die wir als Mitglieder islamistischer Organisationen, als Islamisten, bezeichnen würden, die eine andere Gesellschaftsordnung anstreben."
Angesichts der Bedrohungen, die von dieser Minderheit ausgehen, stellt sich den Stuttgarter Verfassungsschützern eine doppelte Aufgabe, die Müller so beschreibt:
"Einerseits die Aufklärung der djihadistischer Strukturen, der Versuch, Anschläge zu verhindern, und dann Aufklärung in die muslimische Szene hinein, um die Pflichten aufzuzeigen, die Bürger muslimischen Glaubens in diesem Land haben, dass wir sie einbinden können in die Verteidigung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen und des Rechtstaats. Wir stehen also vor einer sehr weit gefassten Aufgabe, bei der wir auch die Muslime brauchen, die sehr distanziert zu den Islamisten stehen, denn wenn es hier eine Veränderung geben soll, dann muss sie von den Muslimen selbst kommen, weil sie erkennen müssen, dass es mit solchen extremen Auffassungen nicht zu einem friedlichen Zusammenleben kommen kann."
Aus Sicht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes ist diese Erkenntnis unter den im Südwesten lebenden Muslimen, die Gewalt, erst recht islamistisch motivierte Gewalt, ablehnen, noch nicht sonderlich ausgeprägt. Wenn überhaupt, dann beschränkt sie sich nur allzu oft auf Lippenbekenntnisse, lässt aber Taten vermissen. Was darunter zu verstehen ist, erklärt Präsident Schmalzl:
"Konkrete Taten heißt für uns beispielsweise auch, dass wir aus dem Bereich der islamischen Vereinigungen frühzeitig Hinweise bekommen auf Extremisten. Das ist in der Vergangenheit recht sparsam geschehen. Wir beobachten ja auch nicht den Fundamentalismus. Wir beobachten nur den Extremismus, aber die Grenzen sind fließend, und hier würde man sich den Hinweis auf die eine oder andere Biographie wünschen, damit die Sicherheitsbehörden auch frühzeitig Gefahren für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land analysieren können."
Im Licht dieser Erfahrungen begrüßen die Verfassungsschützer zwar die kürzlich von Bundesinnenminister Schäuble einberufene Islamkonferenz, ihre Begeisterung für den von nun an auf höchster Ebene geführten Dialog hält sich freilich in Grenzen. Nochmals Schmalzl:
"Dieser politische Dialog ist per se erst einmal sinnvoll und auch notwendig. Die Sicherheitsbehörden messen solche Gespräche, die sie auch selbst führen, nicht an Worten, sondern an Taten, die am Ende herauskommen. Deswegen darf man es uns auch nicht verübeln, dass wir vielleicht kritischer eingestellt sind als andere, was den Erfolg eines solchen Gespräches angeht."
Wie immer sich dieser Dialog entwickelt, für die baden-württembergischen Verfassungsschützer ist eines gewiss: die islamistische Gefahr wird uns noch lange erhalten bleiben, weshalb man denn auch in Stuttgart weiterhin alles tut, um die Abwehr gegen diese Gefahr zu stärken.
"Es wird Sie auch nicht überraschen, dass wir ausgehend von der Erkenntnis, dass uns die Bedrohung durch den Islamismus noch über Jahrzehnte beschäftigen wird, dass wir aus dieser ‚Kompetenzgruppe Islamismus’ zum Ende des Jahres eine eigenständige, dauerhafte Abteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz machen, die wir weiter stärken werden. Es ist die zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, und der wollen wir uns stellen."