Vorliebe für Außenseiter
Am 28. November 1900 notiert der Pariser Schriftsteller Jules Renard in sein Tagebuch: "Schwob. Kein Bauch, keine Wangen, kein Fleisch mehr an den Fingern." Da war Marcel Schwob, der an einer mysteriösen Lungen-Tbc litt, gerade mal 33 Jahre alt. Immerhin hatte er früh angefangen zu leben. Gerade in intellektueller Hinsicht. Mit elf veröffentlichte Marcel seine erste Rezension. Darin warf er Jules Verne gleich vor, bei Edgar Allan Poe zu klauen. Vielleicht hat Schwob, der nur achtunddreißig Jahre alt wurde, einfach etwas schneller gelebt.
Und man darf sagen, dass Marcel Schwob, dessen erste Erzählungssammlung "Das gespaltene Herz" jetzt in einer sehr schönen Ausgabe im Berliner Elfenbein-Verlag erschienen ist, sein Leben in gewisser Hinsicht als Glückskind begann. Sein Vater, dem die Zeitung Phare de la Loire gehörte, in der der Elfjährige schrieb, war ein erfolgloser Schriftsteller gewesen. Anschließend hatte er es in Ägypten als Jude unter dem europafreundlichen Chérif Pascha bis zum Kabinettschef gebracht, war aber voller Verständnis für literarische Ambitionen geblieben.
Zu Jules Verne und Ägypten passte gut, dass Schwob, kurz nach der Rückkehr der Familie aus Ägypten geboren, als Jugendlicher bei seinem Onkel Léon Cahun lebte. Der hatte als Gelehrter und Autor von Abenteuerromanen Karriere gemacht.
Marcel Schwob wurde Cahuns bester Schüler. Die Erzählung "Die Pforten des Opiums" beginnt er:
"Ich war immer ein Feind des geregelten Lebens, wie es alle anderen führen."
Schwobs Helden sind sehr oft Außenseiter; Prostituierte, arme Kinder, ein dicker Mann. Manchmal enden die Erzählungen als Humoresken. Etwa wenn der Opiumesser am Ende der Erzählung schlicht beklaut wird. Ein anderes Mal führen sie in einen schäbigen Tod. In "Die Festung" wird ein heroischer kleiner Soldat, der sich, verletzt, gerade vor einer feindlichen Truppe in Sicherheit gebracht hat, nebenbei erstochen: Ein Landstreicher "hatte den Hals einer Feldflasche blinken sehen und ein herrenloses Bajonett ins Gebüsch gestoßen. Er leerte Palatics Taschen und machte sich bummelnd davon."
Schwob hatte literarisch gar nichts gegen Mörder. Dass er Poe als Junge kannte, merkt man seinen der schwarzen Romantik verpflichteten Texten an. Der ganze zweite Teil von "Das gespaltene Herz" heißt "Das Buch der Gauner". Worin es eine Erzählung gibt, die auf unromantische Weise recht aktuell ist. "Der Terror der Zukunft" beginnt:
"Die Organisatoren dieser Revolution hatten blasse Gesichter und stählerne Augen."
Sie, die erst "Nächstenliebe" wollen, werden zu "Priestern des Massakers", "verklärt von der Idee in ihrem Inneren und dem Brand um sie herum". Sie zerstören die Stadt. Erst ein Kinderlächeln am Wegrand lässt sie, hier zeigt sich Schwob als Romantiker, ein "dem Tod überlegenes Leben" ahnen.
Schwob, dessen Erzählungen von Abenteurern aller Art erzählen, wurde einmal als Prototyp des "passiven Abenteurers" beschrieben und sah den Schriftsteller gern als "Schmarotzer" der Tatmenschen. Kurz vor seinem Tod machte er eine Reise nach Samoa, um das Grab eines großen Vorbilds, Robert Louis Stevenson zu besuchen. Seine Briefe an die Schauspielerin Marguérite Morneo, die er kurz vor der Fahrt geheiratet hatte, bilden eine Art Reisejournal. Schwob erreichte das Grab nicht, musste schwer krank umkehren und starb zuhause an einer simplen Grippe.
Marcel Schwob: Das gespaltene Herz
Erzählungen.
Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Anhang versehen von Gernot Krämer,
Elfenbein Verlag, 255 Seiten, 24 Euro.
Zu Jules Verne und Ägypten passte gut, dass Schwob, kurz nach der Rückkehr der Familie aus Ägypten geboren, als Jugendlicher bei seinem Onkel Léon Cahun lebte. Der hatte als Gelehrter und Autor von Abenteuerromanen Karriere gemacht.
Marcel Schwob wurde Cahuns bester Schüler. Die Erzählung "Die Pforten des Opiums" beginnt er:
"Ich war immer ein Feind des geregelten Lebens, wie es alle anderen führen."
Schwobs Helden sind sehr oft Außenseiter; Prostituierte, arme Kinder, ein dicker Mann. Manchmal enden die Erzählungen als Humoresken. Etwa wenn der Opiumesser am Ende der Erzählung schlicht beklaut wird. Ein anderes Mal führen sie in einen schäbigen Tod. In "Die Festung" wird ein heroischer kleiner Soldat, der sich, verletzt, gerade vor einer feindlichen Truppe in Sicherheit gebracht hat, nebenbei erstochen: Ein Landstreicher "hatte den Hals einer Feldflasche blinken sehen und ein herrenloses Bajonett ins Gebüsch gestoßen. Er leerte Palatics Taschen und machte sich bummelnd davon."
Schwob hatte literarisch gar nichts gegen Mörder. Dass er Poe als Junge kannte, merkt man seinen der schwarzen Romantik verpflichteten Texten an. Der ganze zweite Teil von "Das gespaltene Herz" heißt "Das Buch der Gauner". Worin es eine Erzählung gibt, die auf unromantische Weise recht aktuell ist. "Der Terror der Zukunft" beginnt:
"Die Organisatoren dieser Revolution hatten blasse Gesichter und stählerne Augen."
Sie, die erst "Nächstenliebe" wollen, werden zu "Priestern des Massakers", "verklärt von der Idee in ihrem Inneren und dem Brand um sie herum". Sie zerstören die Stadt. Erst ein Kinderlächeln am Wegrand lässt sie, hier zeigt sich Schwob als Romantiker, ein "dem Tod überlegenes Leben" ahnen.
Schwob, dessen Erzählungen von Abenteurern aller Art erzählen, wurde einmal als Prototyp des "passiven Abenteurers" beschrieben und sah den Schriftsteller gern als "Schmarotzer" der Tatmenschen. Kurz vor seinem Tod machte er eine Reise nach Samoa, um das Grab eines großen Vorbilds, Robert Louis Stevenson zu besuchen. Seine Briefe an die Schauspielerin Marguérite Morneo, die er kurz vor der Fahrt geheiratet hatte, bilden eine Art Reisejournal. Schwob erreichte das Grab nicht, musste schwer krank umkehren und starb zuhause an einer simplen Grippe.
Marcel Schwob: Das gespaltene Herz
Erzählungen.
Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Anhang versehen von Gernot Krämer,
Elfenbein Verlag, 255 Seiten, 24 Euro.