Gekipptes Vorkaufsrecht

Bayern sorgt sich um die Vermieter

07:13 Minuten
Blick auf ein Münchener Neubaugebiet.
Der Freistaat Bayern will als einziges Bundesland nicht das Bundesbaugesetz ändern - zumindest vorerst nicht. Mögliche Folge: Statt der Mieter profitieren die Investoren. © picture alliance / Robert Schlesinger
Von Tobias Krone · 14.12.2021
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Mit dem Vorkaufsrecht versuchten Kommunen, Mieten zu begrenzen - bis die Praxis gerichtlich gekippt wurde. Nun wollen die Länder Bundesrecht ändern, nur Bayern nicht. Dort verweist man auf das ausstehende schriftliche Urteil und Vermieter-Sorgen.
Zum Schutz von Mietern vor zu hohen Mieten haben Kommunen in der Vergangenheit auch das Instrument des Vorkaufsrechts angewandt. Vor wenigen Tagen nun hat das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, eine Stadt dürfe nicht ohne Weiteres ihr Vorkaufsrecht bei Immobilien ausüben. Dieses Urteil schlägt Wellen in ganz Deutschland – und natürlich in der Stadt mit den teuersten Mieten: in München.
Die Mieter in der dortigen Oberländerstraße 5 haben es geschafft: Die Stadt nutzte ihr Vorkaufsrecht, als der Besitzer, ein Investor, das Haus weiterverkaufen wollte. Damit blieben die für Münchner Verhältnisse sehr humanen Mieten erhalten – und die Wohnung für eine Rentnerin und junge Familien bezahlbar, die sich teilweise seit der Schulzeit kennen. Die Mietergemeinschaft hatte Glück: Die Stadt kaufte das Haus noch kurz vor dem Urteil.

Große rechtliche Unsicherheit

Glück, dass die Mietergemeinschaften in derzeit fünf anderen Miethäusern, die kurz vor der städtischen Übernahme stehen, wohl nicht mehr haben werden – meint zumindest die „Süddeutsche Zeitung“. Noch liegt das schriftliche Urteil nicht vor. Doch weil das Kommunalreferat befürchtet, der Stadtrat könne sich mit dem Kauf der „Untreue“ schuldig machen, wird München vorsichtshalber erst einmal die Finger vom Vorkaufsrecht lassen.
Es herrsche eine sehr große Unsicherheit: „Wann darf eine Stadt ein Vorkaufsrecht ausüben und wann nicht?“, fragt Simone Burger vom Münchner Mieterverein. Sie begrüßt, dass die Bundesländer nach dem mündlichen Urteil schnell klargestellt haben: Sie werden sich dafür einsetzen, dass das Gesetz nachgeschärft wird, um das Vorkaufsrecht zu erhalten.
Nur der Freistaat Bayern nicht: Dessen Bauministerium stimmte dagegen, eine schnelle Initiative zu ergreifen. „Wir halten diese Aktion für unglaublich schwierig“, so Burger. „Weil sie gerade denen nutzt – Investoren –, die massiven Gewinn rausschlagen wollen, die jetzt vielleicht auch Vorkaufsrechte umgehen wollen.“ Schwierig auch, weil es keine Linie gebe, keine klare Ansage, auch vonseiten des Bundesrates.

Schreyer will die Urteilsbegründung abwarten

Doch warum hat das CSU-geführte bayerische Bauministerium gegen eine schnelle Gesetzes-Initiative der Länder gestimmt?
Bauministerin Kerstin Schreyer sagt: „Es gibt einen einzigen Fall, in dem ein Gericht jetzt ein Urteil gefällt hat.“ Seriöse politische Arbeit sei, dass man sich das Urteil mit der Begründung anschaue. Das werde im Januar möglich sein. Dann müsse politisch entschieden werden: „War es hier eine Einzelfallsituation, die auf nichts anderes eine Auswirkung hat, oder hat es eine Auswirkung – und wenn ja, dann muss man entsprechend an den Bundesgesetzgeber herantreten.“
Kerstin Schreyer steht in einer orangefarbenen Warnweste auf einer Baustelle.
Die bayrische Bauministerin Kerstin Schreyer will das schriftliche Gerichtsurteil im kommenden Januar einer genauen Überprüfung unterziehen.© picture alliance / zumapress.com / Sachelle Babbar
Kerstin Schreyer will nicht falsch verstanden werden. Auch sie halte das städtische Vorkaufsrecht für ein kluges Mittel. „Aber für Gerichtsurteile, die einen Einzelfall betreffen, sofort ein Bundesgesetz zu ändern ohne zu wissen, was es betrifft, das wäre schon schwierig.“ Deshalb müsse die Urteilsbegründung abgewartet werden.

Münchens OB regt sich auf

Während Schreyer zu Gelassenheit mahnt, regt sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD über die bayerische Gegenstimme beim Ländertreffen gehörig auf. Dass Schreyer in einer Konferenz aller Bauminister aus ganz Deutschland – auch natürlich der konservativen – als einziges Land dagegenspreche, die Mieter künftig besser zu schützen, sei „eigentlich ein Skandal, ganz ehrlich“. Sie gehe offenbar in München mit geschlossenen Augen durch die Stadt oder erkenne einfach nicht, was deren Problemlage sei.
Die Ministerin kontert: Dieter Reiter wolle nur ablenken. „Ich gehe davon aus, dass der Herr Oberbürgermeister in Sorge ist, weil er merkt, dass er nicht genügend Wohnraum schafft. Und dass er deswegen versuchen muss, dass wer anders als er selbst schuld ist.“ Jeder müsse seinen Job machen, so Schreyer. „Der Herr Oberbürgermeister muss mit seinem Stadtrat Wohnraum schaffen, wir als Freistaat ergänzen, wir versuchen unseren Teil beizutragen und sind da auch gar nicht so schlecht.“
Nun ja, diese Bilanz ist Ansichtssache. Der Freistaat baut zwar Wohnungen im Münchner Stadtgebiet, etwa für Staatsbedienstete, allerdings ist die Zahl in den vergangenen drei Jahren überschaubar. 350 neue Wohnungen schuf der Freistaat, wohingegen allein 2020 fast 9000 Wohnungen in München fertig geworden sind, meist aus privater Hand. Und die gelte es auch zu schützen, so die Bauministerin.

Private Vermieter in Sorge?

„Ich glaube, dass die Sorge im Moment eher bei den Privaten ist, die Wohnungen bauen.“ Sie wüssten nicht, was jetzt alles in Berlin passiere. „Die sind im Moment sehr zurückhaltend, weil sie zunehmend erleben, dass ihnen als Vermieter Dinge aufgebrummt werden, wo sie nicht sicher wissen, ob sie das auf Dauer leisten wollen", sagt Kerstin Schreyer.
Also lieber erstmal kein novelliertes Gesetz denen aufbrummen, die Wohnungen besitzen oder kaufen wollen. Das ist ganz im Sinne der Immobilien-Eigentümerinnen und -Eigentümer, die sich im Verband Haus und Grund Bayern organisiert haben. Dessen Justiziar Roman Sostin freut sich über das Urteil gegen das Vorkaufsrecht. Denn so ein Wohnungsinvestment sei eben auch für Investoren nicht ganz einfach:
„Ein privater Käufer, der kann das Geld nicht einfach hinlegen, um sich die Immobilie zu kaufen. Und wenn ich dann noch im Hinterkopf habe, ich muss noch warten, ob vielleicht die Gemeinde das Vorkaufsrecht ausübt, dann nervt das natürlich schon. Das ist klar.“
Vorerst entfällt also dieses „nervige“ Vorkaufsrecht. Die fünf Mietshäuser, die München kaufen wollte, gehen dann wohl an meistbietende Investoren.

Die Berliner Bürger wünschen sich eher mehr als weniger Staat auf dem überhitzten Wohnungsmarkt: Das hat im September der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ gezeigt. Damals gab es eine klare Mehrheit dafür, große Wohnungskonzerne zu vergesellschaften. Ebenso beliebt – zumindest bei den betroffenen Mietern: das Vorkaufsrecht. In Berliner Kiezen, die besonders stark gentrifiziert sind, können die Bezirke ein Vorkaufsrecht ausüben, wenn Wohnungen auf den Markt kommen. Oder besser gesagt: Sie konnten – bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das die in der Hauptstadt übliche Vorkaufsrechtspraxis für gesetzwidrig erklärt hat. Wie geht die Berliner Politik damit um? Manfred Götzke über die Pläne, Bundesrecht zu ändern.

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