Vorhang auf für den neuen Schauspielchef
Sven-Eric Bechtolf soll neuer Schauspielchef der Salzburger Festspiele werden. Der 51-jährige Schauspieler, der mit seinem Stück "Steine und Herzen" zuletzt als Dramatiker und Regisseur in Erscheinung trat, steht für eine neue Zeit - den Realismus des 21. Jahrhunderts.
Sven-Eric Bechtolf ist ein Theatermann im umfassenden Sinn: Von Haus aus Schauspieler, führt er auch Regie und hat einen Ausflug ins Fach als Dramatiker gemacht. Der 51-Jährige ist ein brillanter Darsteller, im letzten Jahr glänzte er in Andrea Breths Inszenierung von "Verbrechen und Strafe" in Salzburg. Er verkörperte einen Gutsbesitzer, der durch Heirat zu Geld gekommen ist, eine Spielernatur durch und durch. Es glückte Bechtolf, ohne die Kollegen an die Wand zu spielen, die Figur in all ihren faszinierenden und fragwürdigen Facetten zur Anschauung zu bringen. Der Mime beherrscht gleichermaßen das Solo- wie das Ensemblespiel.
Bechtolfs komplexes künstlerisches Profil wird aber noch klarer umrissen, betrachtet man ihn als Dramatiker und Regisseur, analysiert man sein Stück "Steine und Herzen" und dessen Uraufführung, die er selbst inszenierte. Jürgen Flimm hatte Bechtolf gebeten, ein Stück für die Ruhrtriennale zu schreiben. Bechtolf griff das Leitthema, das Flimm dem neuen Fünfsternefestival im Ruhrpott für 2005 gegeben hatte, auf: Romantik. Bechtolf ist eine sehenswerte Variation des Zauberstücks geglückt. Er de- und rekonstruierte die im 19. Jahrhundert erfolgreiche Form für unsere Epoche.
Für sein Dramatikerdebut hat Bechtolf eine reizvolle Handlung komponiert, lebensnahe Figuren geschaffen, und erwies sich als Kenner des Wiener Volkstheaters. In den Mittelpunkt von "Steine und Herzen" rückt Bechtolf Ambrosius Nektarine und seine Gattin Julie. Ambrosius ist Uhrmacher, er lebt in Genf am Vorabend der Französischen Revolution. Sein Ehrgeiz geht darauf, den Aberglauben zu bekämpfen, der Uhrmacher will die Alpen ihrer Mythen entkleiden. Deshalb will Ambrosius den Tête de Dragon besteigen - der Name "Drachenkopf" ist symbolträchtig, ganz in der Tradition der Zauberstücke. Ambrosius scheitert an seiner Hybris. Als er erfährt, dass seine Frau ihn mit seinem Gesellen betrogen hat, wird er zum Mörder aus Eifersucht an seinem Rivalen und verliert den Verstand. Julie bringt ein Kind zur Welt und stirbt.
Das Schlussbild steht in scharfem Gegensatz zum glücklichen Ende der Wiener Zauberkomödie, in der die Paare zueinanderfinden, die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden. In "Steine und Herzen" hingegen vertraut die sterbende Mutter ihren Säugling einem alten Diener an. Dieses Ende gibt deutliche Hinweise auf Bechtolfs Geschichtsphilosophie: Die pessimistische Wendung entspringt den Erfahrungen des Dramatikers im 20. Jahrhundert. Der Aufbruch der Bürger in und nach der Französischen Revolution brachte nicht nur eine Befreiung von altem Aberglauben, er entfesselt auch Dämonen wie Hab- und Mordgier - die Kriege im 20. und 21. Jahrhundert sind schwer widerlegbare Beweise. Der im Happy End des Altwiener Zauberspiels sich manifestierende Optimismus ist verloren gegangen, er wird ersetzt von der Trostlosigkeit des effektvollen, tragischen Endes, das Bechtolf gefunden hat.
Bechtolf inszenierte selbst die Uraufführung seines Singspiels. Ihm gelang eine überzeugende Umsetzung. Und das war nicht leicht, denn der Spielort war kein Theater, sondern ein altes Industriedenkmal, die Kraftzentrale des Industrieparks Duisburg-Nord. Das Bühnenbild mit gigantischen drei Alpenfelsen kündete von ausschweifender Üppigkeit, nutzte den Raum und bereitete den spektakulären Schlusseffekt vor. Dann fahren die Berge auseinander, geben den Blick des Zuschauers frei für die unendlich scheinende Weite der Kraftzentrale - und der Greis taumelt, das Kind im Arm, in die Endlosigkeit, während das Licht erlischt. Bechtolf setzte den dramatischen Effekt seines Stücks adäquat szenisch um - theatralisch in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Die Musik war integraler Bestandteil des Singspiels und die vielen Nebenhandlungen wurden genau auf den Grundkonflikt hin ausgerichtet. Hier wurde Bechtolfs dramaturgische Kraft der analytischen Durchdringung sichtbar. Darüber hinaus glückte Bechtolf und seinem engagiert spielenden Ensemble, ein ästhetisches Hauptziel der Ruhrtriennale zu erreichen: den Raum ins Spiel einzubeziehen. Gerade das kalte Schlussbild, in dem der Greis und das Kind in der unendlichen Weite drohen, verloren zu gehen, zeigte die Fragwürdigkeit jener Industriewelt, für die die Kraftzentrale in Duisburgs Industriepark Nord steht.
Sven-Erich Bechtolf gelang, die Steine zum Sprechen zu bringen. Viel Besseres kann man von einem Dramatiker und Regisseur kaum sagen.
Bechtolf steht, das ist seiner Arbeit als Schauspieler und als Regisseur stets abzulesen, für einen Realismus des 21. Jahrhunderts, der sich wieder auf narrative Traditionen besinnt und von dem Elfenbeinturm wegbewegt, in den elitäre Stückezertrümmerer das Theater in letzter Zeit mit einigem Erfolg eingeschlossen haben. Bechtolfs Theater wendet sich dem Publikum zu, es strebt ein Theater des Dialogs an. Gute Voraussetzungen für einen Schauspielchef bei den Salzburger Festspielen - die Sterne stehen günstig.
Sven-Erich Bechtolfs Berufung ist vielversprechend!
Bechtolfs komplexes künstlerisches Profil wird aber noch klarer umrissen, betrachtet man ihn als Dramatiker und Regisseur, analysiert man sein Stück "Steine und Herzen" und dessen Uraufführung, die er selbst inszenierte. Jürgen Flimm hatte Bechtolf gebeten, ein Stück für die Ruhrtriennale zu schreiben. Bechtolf griff das Leitthema, das Flimm dem neuen Fünfsternefestival im Ruhrpott für 2005 gegeben hatte, auf: Romantik. Bechtolf ist eine sehenswerte Variation des Zauberstücks geglückt. Er de- und rekonstruierte die im 19. Jahrhundert erfolgreiche Form für unsere Epoche.
Für sein Dramatikerdebut hat Bechtolf eine reizvolle Handlung komponiert, lebensnahe Figuren geschaffen, und erwies sich als Kenner des Wiener Volkstheaters. In den Mittelpunkt von "Steine und Herzen" rückt Bechtolf Ambrosius Nektarine und seine Gattin Julie. Ambrosius ist Uhrmacher, er lebt in Genf am Vorabend der Französischen Revolution. Sein Ehrgeiz geht darauf, den Aberglauben zu bekämpfen, der Uhrmacher will die Alpen ihrer Mythen entkleiden. Deshalb will Ambrosius den Tête de Dragon besteigen - der Name "Drachenkopf" ist symbolträchtig, ganz in der Tradition der Zauberstücke. Ambrosius scheitert an seiner Hybris. Als er erfährt, dass seine Frau ihn mit seinem Gesellen betrogen hat, wird er zum Mörder aus Eifersucht an seinem Rivalen und verliert den Verstand. Julie bringt ein Kind zur Welt und stirbt.
Das Schlussbild steht in scharfem Gegensatz zum glücklichen Ende der Wiener Zauberkomödie, in der die Paare zueinanderfinden, die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden. In "Steine und Herzen" hingegen vertraut die sterbende Mutter ihren Säugling einem alten Diener an. Dieses Ende gibt deutliche Hinweise auf Bechtolfs Geschichtsphilosophie: Die pessimistische Wendung entspringt den Erfahrungen des Dramatikers im 20. Jahrhundert. Der Aufbruch der Bürger in und nach der Französischen Revolution brachte nicht nur eine Befreiung von altem Aberglauben, er entfesselt auch Dämonen wie Hab- und Mordgier - die Kriege im 20. und 21. Jahrhundert sind schwer widerlegbare Beweise. Der im Happy End des Altwiener Zauberspiels sich manifestierende Optimismus ist verloren gegangen, er wird ersetzt von der Trostlosigkeit des effektvollen, tragischen Endes, das Bechtolf gefunden hat.
Bechtolf inszenierte selbst die Uraufführung seines Singspiels. Ihm gelang eine überzeugende Umsetzung. Und das war nicht leicht, denn der Spielort war kein Theater, sondern ein altes Industriedenkmal, die Kraftzentrale des Industrieparks Duisburg-Nord. Das Bühnenbild mit gigantischen drei Alpenfelsen kündete von ausschweifender Üppigkeit, nutzte den Raum und bereitete den spektakulären Schlusseffekt vor. Dann fahren die Berge auseinander, geben den Blick des Zuschauers frei für die unendlich scheinende Weite der Kraftzentrale - und der Greis taumelt, das Kind im Arm, in die Endlosigkeit, während das Licht erlischt. Bechtolf setzte den dramatischen Effekt seines Stücks adäquat szenisch um - theatralisch in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Die Musik war integraler Bestandteil des Singspiels und die vielen Nebenhandlungen wurden genau auf den Grundkonflikt hin ausgerichtet. Hier wurde Bechtolfs dramaturgische Kraft der analytischen Durchdringung sichtbar. Darüber hinaus glückte Bechtolf und seinem engagiert spielenden Ensemble, ein ästhetisches Hauptziel der Ruhrtriennale zu erreichen: den Raum ins Spiel einzubeziehen. Gerade das kalte Schlussbild, in dem der Greis und das Kind in der unendlichen Weite drohen, verloren zu gehen, zeigte die Fragwürdigkeit jener Industriewelt, für die die Kraftzentrale in Duisburgs Industriepark Nord steht.
Sven-Erich Bechtolf gelang, die Steine zum Sprechen zu bringen. Viel Besseres kann man von einem Dramatiker und Regisseur kaum sagen.
Bechtolf steht, das ist seiner Arbeit als Schauspieler und als Regisseur stets abzulesen, für einen Realismus des 21. Jahrhunderts, der sich wieder auf narrative Traditionen besinnt und von dem Elfenbeinturm wegbewegt, in den elitäre Stückezertrümmerer das Theater in letzter Zeit mit einigem Erfolg eingeschlossen haben. Bechtolfs Theater wendet sich dem Publikum zu, es strebt ein Theater des Dialogs an. Gute Voraussetzungen für einen Schauspielchef bei den Salzburger Festspielen - die Sterne stehen günstig.
Sven-Erich Bechtolfs Berufung ist vielversprechend!