Vorgespult

Sehnsucht, Trauma, Flucht

Colin Firth als Schotte Eric Lomax und Nicole Kidman als Krankenschwester Patti in einer Szene des Kinofilms "Die Liebe seines Lebens - The Railway Man"
Colin Firth als Schotte Eric Lomax und Nicole Kidman als Krankenschwester Patti in einer Szene des Kinofilms "Die Liebe seines Lebens - The Railway Man" © dpa / picture alliance / Jaap Buitendijk/Koch Films GmbH
Von Christian Berndt · 20.06.2015
Ein Brite in japanischer Kriegsgefangenschaft, ein kaum bekanntes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte und ein Marokkaner, der mit dem Surfbrett nach Europa flieht - drei neue Filme in unserer Kino-Rubrik "Vorgespult".
"Also fahre ich mit dem Zug rauf nach Milake, dann mit dem Bus nach Inverness, und auf der anderen Seite wieder runter. Was sagen Sie dazu?"
"Naja, Sie könnten statt mit dem Bus nach Inverness mit dem Zug nach Timbtron und von dort nach Owen fahren. Es ist sehr romantisch."
Die beiden Fremden im Zug unterhalten sich über Fahrtrouten. Aber das eher technische Thema lässt erstaunlich schnell eine beiderseitige Anziehung entstehen, und Eric und Patti – gespielt von Colin Firth und Nicole Kidman – werden ein Paar. Doch schon bald lernt Patti eine düstere Seite Erics kennen, er wird von alptraumhaften Erinnerungen geplagt.
Der britisch-australische Film "Die Liebe seines Lebens" erzählt die Geschichte einer Traumatisierung. In Rückblenden schildert der Film, wie Eric als britischer Soldat im Zweiten Weltkrieg in japanische Gefangenschaft gerät. Es ist der Beginn eines Martyriums, die Soldaten müssen eine Eisenbahnstrecke durch den Dschungel bauen, und Eric wird brutal gefoltert. Die Ereignisse traumatisieren Eric bis in die Gegenwart des Jahres 1980, aber er verschließt sich komplett. Seine Frau wendet sich an einen seiner früheren Kameraden:
"Ich will wissen, was Eric zugestoßen ist."
"Viele Männer haben etwas durchgemacht, was Sie sich nicht ansatzweise vorstellen können. Sie müssen uns einfach weitermachen lassen, so dass wir so gut wie möglich damit fertig werden."
"Mein Mann wird nicht fertig damit, er ist ein Wrack."
"Der Krieg hinterlässt Spuren."
"Aber ich glaube nicht an Ihren Pakt des Schweigens."
Der australische Regisseur Jonathan Teplitzky erzählt in "Die Liebe seines Lebens" - basierend auf einer autobiographischen Vorlage - sowohl die Geschichte einer psychologischen Aufarbeitung als auch den Plot eines klassischen Kriegsfilms.
Aber gelungen ist beides nicht. Die Kriegsgefangenschaft wird auf fast schon museal altmodische Weise als heroische Leidenszeit mit Anleihen an "Die Brücke am Kwai" inszeniert. Und die Bewältigungsarbeit des Paares, dem man die spontane Anziehung kaum abnimmt, ist so schematisch und sentimental geraten, dass sich der starbesetzte Film nur zäh bis zum ausgeprägt pädagogischen Finale hinschleppt.
Die oft verhöhnten Kinder wuchsen ohne Väter auf
Ganz und gar unpädagogisch geraten ist dagegen der deutsche Dokumentarfilm "Verliebt, verlobt, verloren". Auch hier geht es um die Aufarbeitung einer traumatischen Vergangenheit. In den 50er-Jahren schickte Nordkorea Studenten zur Ausbildung in sozialistische Bruderländer, darunter die DDR. Private Kontakte waren verboten, trotzdem entwickelten sich natürlich zu deutschen Frauen Liebesbeziehungen, aus denen auch Kinder hervorgingen. Die Standesämter verweigerten zumeist die Trauung, und Anfang der 60er-Jahre wurden sämtliche nordkoreanischen Studenten aus der DDR zurückbeordert. Die Frauen durften nicht nachreisen, und die oft verhöhnten Kinder wuchsen ohne Väter auf.
"Da ist dann auch dieses Gespräch gelaufen, wo sie mir gesagt hat: Du hast einen Vater, der liebt Dich auch sehr, aber in seinem letzten Brief hat er geschrieben, wir dürfen nicht zu ihm kommen, und es gibt keine Möglichkeit jemals. Wir tun jetzt beide so, als wäre er gestorben, und ich tu auch das Bild weg. Da kann ich mich noch gut dran erinnern."
Die in Südkorea geborene Regisseurin Sung-Hyung Cho hat die früheren Partnerinnen und Kinder aus diesen Beziehungen, für die der Schmerz immer noch präsent ist, mit viel Feingefühl porträtiert. Eine einzige der Frauen hat ihren früheren Freund nach fast 50 Jahren in Nordkorea wiedertreffen können, was der Film ebenso nüchtern wie hinreißend dokumentiert.
Wie in ihrem vielfach prämierten Dokumentarfilm "Full Metal Village" über die Bewohner des Heavy-Metal-Festival-Dorfes Wacken liegt auch bei "Verliebt, verlobt, verloren" eine besondere Stärke in der aufmerksamen Nähe, die Sung-Hyung Cho zu den Protagonisten schafft. Das wirkt nie mitleidig, vielmehr bewundert man den Mut, mit dem die Frauen versuchten, ihren Partnern verbunden zu bleiben. Eine brillante Kombination aus persönlicher und überraschender, zeithistorischer Erzählung.
Von der Sehnsucht nach einer Liebe in der Ferne handelt auch "Atlantic" - der Film des niederländischen Regisseurs Jan-Willem van Ewijk. Der marokkanische Fischer Fettah ist begeisterter Windsurfer - wie die Touristen, die jeden Sommer in sein Heimatdorf kommen. Fettah hat unter ihnen gute Freunde, ihre Abreise hinterlässt jedes Mal einen wehmütigen Schmerz.
Als er sich in eine Holländerin verliebt, wird seine Sehnsucht so stark, dass er auf dem Surfbrett die gefährliche Reise über den Atlantik nach Europa wagt. Es ist eine ganz einfache Geschichte, die der Film unchronologisch in elegischen Tönen erzählt. Aber wie van Ewijk mit kleinen Gesten Fettahs Welt erfasst, die so widersprüchlich zwischen dörflicher Enge und der Weite des Horizonts liegt, entwickelt einen fast rauschhaften Sog. Das Meer als Sehnsuchtsort und Bedrohung ist in "Atlantic" in existenzielle Bilder umgesetzt, die hartnäckig im Gedächtnis bleiben.