Vorgespult

Filme der Extreme

Szene aus dem Film "Victoria" von Sebastian Schipper mit Frederick Lau, Franz Rogowski und Laia Costa.
Szene aus dem Film "Victoria" von Sebastian Schipper mit Frederick Lau, Franz Rogowski und Laia Costa. © Senator Film
Von Christian Berndt · 06.06.2015
Drei Kinostarts: Ein US-Biopic erzählt von der Lebenskrise eines der größten Pop-Genies. Eine spanische Komödie spießt respektlos Nationalitätenkonflikte auf. Und ein Thriller aus Berlin gilt als der längste, in einer einzigen Einstellung gedrehte Spielfilm der Kinogeschichte.
"Love & Mercy"
Mitte der Sechzigerjahre sind sie im Pop-Olymp angekommen: Die "Beach Boys". Mit ihren Hits über Surfen und Fun, fun, fun bringen sie weltweit die Teenager zum Kreischen. Aber der Mastermind der Band, Brian Wilson, der die Songs mit ihren komplexen, unorthodoxen Harmonien komponiert, will mehr – besser sein als die Beatles. Akribisch tüftelt der Perfektionist im Studio:
Filmausschnitt: "Brian? – Ja? – Ich glaub, Du hast hier Mist gebaut. – Echt? – Du lässt Lyle in D spielen, und der Rest von uns spielt in A-Dur. Das kann doch nicht funktionieren, zwei Basslinien in verschiedenen Tonarten? – In meinem Kopf funktioniert es."
Der amerikanische Regisseur Bill Pohlad hat sein Biopic "Love & Mercy" über den genialen Kopf der Beach Boys geschickt begonnen. Dass die Geschichte erst mit dem Karrierehöhepunkt einsetzt, macht klar, dass keine konventionelle Entwicklungsgeschichte erzählt werden soll. Paul Deno spielt Brian Wilson als pummeliges und gehemmtes Genie, das die Band mit exzessivem Perfektionismus und avantgardistischen Ideen zur Weisglut treibt. Für das Album "Pet Sounds" von 1966 verwendet Wilson zum Beispiel Hupen und Hundegebell:
Filmausschnitt: (Musik) "Zweimal drauf drücken. (Hupen, Hundebellen)
Das Album wird zum Meilenstein der Popgeschichte, aber damit beginnt auch Wilsons Abstieg, es folgen psychische Zusammenbrüche und Drogenexzesse. Schaffensprozess und Lebenskrise schildert "Love & Mercy" mit einer spielerischen und ästhetischen Intensität, nicht zuletzt auch tollen Probenszenen, die – ganz ohne Spektakel – fesseln.
Konventioneller geraten ist dagegen die Parallelgeschichte um den von John Cusack gespielten, ältern Wilson, der von einer mitfühlenden Frau aus den Fängen seines dubiosen Therapeuten gerettet wird. Aber auch das ist gut genug gespielt, um die originelle Künstlergeschichte nicht ins Klischee rutschen zu lassen.
"8 Namen für die Liebe"
Geradezu lustvoll ausgebreitet werden dagegen die Klischees in der spanischen Komödie "8 Namen für die Liebe". Der andalusische Macho Rafa gerät in Sevilla mit der feurigen Baskin Amaia aneinander:
Filmausschnitt: "Glotzt Du mir auf den Arsch? – Ich wüsste nicht, warum ich das machen sollte. – Ich hab genau gesehen, wo Du hingeguckt hast. – Natürlich daneben, hättest Du wohl gerne. – Pass mal auf, wer auf mich steht, das bestimm immer noch ich."
Trotz baskisch-andalusischer Feindschaft landen die beiden im Bett. Und als Amaia am nächsten Morgen wieder in ihre Heimat zurückkehrt, reist Rafa ihr nach ins Baskenland. Natürlich gibt es zahlreiche Verwicklungen, aber am Schluss siegt die Liebe.
Regisseur Emilio Martinez Lazaro hat mit "8 Namen für die Liebe" genussvoll die innerspanischen Nationalitätenkonflikte aufs Korn genommen und sogar ETA-Terror und Terror-Paranoia gnadenlos veralbert. Dass sich dabei Unwahrscheinlichkeiten sehr erwartungsgemäß aneinanderreihen, macht die Komödie arg leicht konsumierbar. Aber in Spanien hat das einen Nerv getroffen – ähnlich phänomenal wie "Willkommen bei den Sch’tis" in Frankreich. Der Film hat sich zum erfolgreichsten spanischen Film aller Zeiten entwickelt. Vielleicht haben im unübersichtlich gewordenen Europa folkloristische Regionalkonflikte ja irgendeine Art therapeutischer Wirkung.
"Victoria"
Auch im deutschen Film "Victoria" treffen kulturelle Welten aufeinander. Es beginnt mit einer Nacht im Techno-Club. Victoria, eine junge Frau aus Spanien, die für drei Monate nach Berlin gekommen ist, tanzt ausgelassen. Zu kennen scheint sie niemanden, und als sie allein aufbricht, ohne eigentlich nach Hause zu wollen, begegnet sie auf der Straße einer Gruppe aufgedrehter Jungs:
Filmausschnitt: "You want a ride with us, with my car? – At your car?- Auf einmal is Dein Auto oder was? – My car, my car. – Mann, lass mich doch mal quatschen. What’s your name? – Victoria. – Victoria, my name is Sonne. Nice to meet you. That’s Fuß. – And I’m Blinka. – That’s like real names? – Yes, we have different mothers, of course.”
Die vier Berliner sind zwar großmäulig, aber in Ordnung. Victoria geht mit, es wird auch ziemlich lustig. Aber die Tour nimmt eine dramatische Wendung, die Jungs haben einen gefährlichen Plan, und Victoria lässt sich darauf ein. Es folgt eine atemlose Nacht, die Regisseur Sebastian Schipper in einer einzigen Einstellung am Stück, ohne Schnitt gedreht hat.
Die Dialoge sind improvisiert, das Experimentelle ist "Victoria", der auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die furiose Kamera von Sturla Brandth Grøvlen erhielt, anzusehen – die zweite Hälfte des Films dehnt sich. Aber das Improvisierte gelingt mitreißend, das Durchdienachtstreifen der Clique hat Witz und einen so rauen wie zarten Charme, und wirkt wie im Leben völlig unberechenbar. Was so oft im deutschen Film scheitert, jugendliches Lebens- und Gemeinschaftsgefühl glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen, gelingt Schipper und seinen tollen Darstellern hier grandios.
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