Vorgeblicher Gedächtnisverlust
Rezensiert von Ursula März · 11.07.2006
Der 1969 geborene Schweizer Autor Markus Bundi unternimmt in der Erzählung "Ausgezogen" ein riskantes literarisches Experiment. Er erzählt aus der Sicht eines Mannes, der nichts weiß, der die Welt um sich herum nicht erkennt, da er offen-sichtlich das Gedächtnis verloren hat. Aber noch nicht einmal das ist sicher.
Er wacht eines Tages auf, schaut um sich, hört Geräusche, bei denen es sich um menschliche Stimmen handelt, sieht einen Raum, bei dem es sich um den Ausstellungsraum einer Galerie handeln könnte, sieht eine Frau, die seine Ehefrau sein könnte, aber das alles sind Vermutungen ohne Wissen, ohne Hinweis auf die Vergangenheit und seine Lebenserfahrung.
Vielleicht ist er auch gar nicht aufgewacht, sondern befindet sich im Koma, oder in einem Traum, vielleicht träumt er nur, ein Mann zu sein, der das Gedächtnis verloren hat. Immerhin, eines ist sicher: Er fühlt in seinem Gesicht einen Drei-Tage-Bart und er trägt eine Hose, in deren Tasche sich Zigaretten, ein Feuerzeug, Schlüssel, Taschentuch, Geldbeutel und ein Brillenetui befinden. Er sagt sich: "Du bist ausgeknipst worden, du lebst erst seit heute, alles andere ist Einbildung".
Markus Bundi erzählt in diesem experimentellen Prosatext eine humorvolle zeitgenössische Kaspar-Hauser-Geschichte. Er erzählt von der Stunde Null der Wahrnehmung und einer Wiedergeburt des Bewusstseins. Ein Text voller ernster und ko-mischer Fragen an die Welt, der beim Leser eine Frage offen lässt: Ob es sich bei dem Mann ohne Gedächtnis ganz einfach um einen Schwindler handelt, der so tut, als wisse er nichts, weil er einen Fehltritt, eine Seitensprung beispielsweise, in einer Gedächtnislücke verschwinden lassen möchte.
Vielleicht gehört der Erzähler folglich zu den berühmten unzuverlässigen Erzählern der modernen Literaturgeschichte, die dem Leser einen Bären aufbinden. "Ausgezogen" ist eine kurze, verschmitzte und hintergründige Erzählung aus dem Geist der philosophisch-literarischen Spielerei.
Markus Bundi: "Ausgezogen"
Erzählung. Edition Epoca, 2006.
111 Seiten. 19.80 Euro
Vielleicht ist er auch gar nicht aufgewacht, sondern befindet sich im Koma, oder in einem Traum, vielleicht träumt er nur, ein Mann zu sein, der das Gedächtnis verloren hat. Immerhin, eines ist sicher: Er fühlt in seinem Gesicht einen Drei-Tage-Bart und er trägt eine Hose, in deren Tasche sich Zigaretten, ein Feuerzeug, Schlüssel, Taschentuch, Geldbeutel und ein Brillenetui befinden. Er sagt sich: "Du bist ausgeknipst worden, du lebst erst seit heute, alles andere ist Einbildung".
Markus Bundi erzählt in diesem experimentellen Prosatext eine humorvolle zeitgenössische Kaspar-Hauser-Geschichte. Er erzählt von der Stunde Null der Wahrnehmung und einer Wiedergeburt des Bewusstseins. Ein Text voller ernster und ko-mischer Fragen an die Welt, der beim Leser eine Frage offen lässt: Ob es sich bei dem Mann ohne Gedächtnis ganz einfach um einen Schwindler handelt, der so tut, als wisse er nichts, weil er einen Fehltritt, eine Seitensprung beispielsweise, in einer Gedächtnislücke verschwinden lassen möchte.
Vielleicht gehört der Erzähler folglich zu den berühmten unzuverlässigen Erzählern der modernen Literaturgeschichte, die dem Leser einen Bären aufbinden. "Ausgezogen" ist eine kurze, verschmitzte und hintergründige Erzählung aus dem Geist der philosophisch-literarischen Spielerei.
Markus Bundi: "Ausgezogen"
Erzählung. Edition Epoca, 2006.
111 Seiten. 19.80 Euro