Vor fünf Jahren ertrank Alan Kurdi

Ein Bild, das nichts verändert hat

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Das ertrunkene syrische Flüchtlingskind Aylan Kurdi auf einem Graffito der Künstler Justus Becker und Oguz Sen in Frankfurt
Ein Graffito in Frankfurt erinnert an das ertrunkene Flüchtlingskind Alan Kurdi. Das Originalfoto ging um die ganze Welt. © picture-alliance/Arne Dedert/dpa
Karen Fromm im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.09.2020
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Vor fünf Jahren entstand eines der ikonischsten Fotos der vergangenen Jahre: Ein ertrunkenes Kind am Strand, Alan Kurdi aus Syrien. Das Bild schockierte die Welt und blieb politisch doch wirkungslos. Warum, erklärt die Foto-Expertin Karen Fromm.
Im September 2015 entstand ein Foto, das um die Welt ging: das Bild des kleinen Alan Kurdi aus Syrien, ertrunken am Strand von Bodrum. Schnell wuchs die Erwartung, dass dieses Bild, in dem so viel Leid zum Ausdruck kommt, Einfluss auf die Politik haben würde und den weiteren Verlauf der Flüchtlingskrise verändern könnte. Passiert ist allerdings: nichts.
Das sei absehbar gewesen, sagt Karen Fromm, Professorin für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Die Erwartung gebe es an ikonografische Bilder oft, betont Fromm. "Man kann sich an den Vietnam-Krieg, das Bild von Kim Phuc - des sogenannten Vietnam-Mädchens - erinnern. Da ist es ähnlich gewesen, dass man einem einzelnen Bild eine große politische Kraft zugesprochen hat."
Die Erwartung rühre von der Idee der Macht der Bilder her, so Fromm. Bilder würden als eine Art Akteur gedacht, denen man politisches Handlungsvermögen zuschreibe.

Die Emotionalisierung hielt nur kurz an

Natürlich hätten solche Fotos das Potenzial, einen Moment lang stark zu emotionalisieren, sagt Fromm. So gebe es sicher niemanden, der beim Anblick des ertrunkenen Kindes kein Mitleid empfinde. "Aber diese Bilder gehen über diese kurze Emotionalisierung nicht hinaus, weil sie komplexe Zusammenhänge und politische Kontexte letztendlich sogar eher ausblenden." Verschiedene Krisen würden zudem oft in sehr ähnlichen Bildern ausgedrückt - und seien damit ein Stück weit austauschbar.
Das heiße nicht, dass man diese Bilder nicht zeigen sollte, betont die Professorin. Sie seien aber "Teil eines komplexeren Zusammenhangs" und müssten durch viele andere Bilder ergänzt werden. Auch dürfe man nicht vergessen, dass Fotos oft gezielt in Bildpolitiken eingebunden würden. Ein Umgang mit Fotos, "der die Kontexte sichtbar macht und letztlich die Begrenztheit des Bildausschnitts miterzählt", wäre besser, sagt Fromm. Und auch, auf die Dramatisierung und Emotionalisierung von Ereignissen zu verzichten.
(cmk)
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