Vor der Bundestagswahl

FDP - Renaissance ohne Aufbruch

Türschild mit der Aufschrift "Frei"
"Frei" - Einfach nur noch ein Label aber ohne Inhalt? © imago stock&people
Von Klaus Englert · 23.08.2017
Im Mai erreichte die FDP bei der NRW-Landtagswahl 12,6 Prozent. Manche prophezeien bereits eine Merkel/Lindner-Regierung nach der Bundestagswahl. Eine echte Renaissance des Liberalismus und der FDP kann der Architekturkritiker Klaus Englert jedoch nicht erkennen.
War die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bei der die FDP wie ein Phönix aus der Asche emporstieg, eine Testwahl für den Bund, ein Zeichen für einen Aufbruch? - Man könnte an den Sozialdemokraten Heinz Kühn denken, der 1966 in NRW mit seinem sozialliberalen Bündnis die Weichen stellte für das Ende der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger. Ihr Scheitern war der Anfang der Regierung von Willy Brandt, der 1969, inmitten der Studentenunruhen, die erste sozialliberale Regierung zimmerte. Viele Bürger witterten, nach Jahrzehnten der Erstarrung, Morgenluft.

Denken in Kategorien der Bewegung

Als Brandt im Bundestag den Slogan "Mehr Demokratie wagen!" ausrief, sekundierte der Liberale Ralf Dahrendorf, der wenig später Staatssekretär im Auswärtigen Amt wurde: "Wagen wir den Wandel, damit wir morgen eine Gesellschaft haben, in der zu leben sich lohnt. Das Wagnis des Wandels verlangt von uns ein neues Denken, ein Denken in Kategorien der Bewegung, der Bereitschaft zur Mündigkeit."
Dieser gedankliche Humus beeinflusste wenig später den Freiburger FDP-Parteitag, der ein bis heute wegweisendes Parteiprogramm verabschiedete. Das Programm war ein Aufbruchssignal, geprägt durch liberale und soziale Ideen, geprägt durch das Freiheitsversprechen des Aufklärers Kant und den Gerechtigkeitsimpuls eines John Stuart Mill. Die "Freiburger Thesen" stellen die Bezüge offen heraus, wenn sie die "Befreiung der Person aus Unmündigkeit und Abhängigkeit" anmahnen. Und wenn sie außerdem betonen, ein politisches Programm dürfe nicht einfach die Freiheit des autonomen, sondern eben auch des sozialen Individuums im Blick haben.

Dreischritt "Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Naturschutz"

Mehr noch: Als erste Partei orientierte sich die FDP an den Erkenntnissen des Club of Rome, dessen legendärer Bericht "Grenzen des Wachstums" im selben Jahr wie die Freiburger Thesen erschien. Tatsächlich findet sich im Programm die Forderung nach einem aufgeklärten contrat social, ergänzt durch einen vom Grundgesetz geschützten contrat naturel.
Das Freiburger Programm mit dem Dreischritt "Freiheit des Individuums, soziale Gerechtigkeit und Naturschutz" geht über den propagierten "sozialen Liberalismus" hinaus und stellt einen enormen Fortschritt im Ausgleich von Individuum, Staat und Natur dar.
Und der "neue Liberalismus"? Er hat einen Namen und der ist gleichzeitig das Programm: Christian Lindner! Sein Liberalismus verheißt alles andere als Aufbruch. Er ist ausgedünnt auf ein dürres Thesenkonstrukt, das sich einzig individualistischen Interessen anbietet. Damit werden die drei Säulen des "sozialen Liberalismus" auf eine einzige Krücke zurechtgestutzt.

Der Schiedsrichterstaat gestaltet nicht

Allen Ernstes fordert er, der Staat solle sich auf seine Rolle als "Schiedsrichter" im Spiel der Marktkräfte beschränken. Gleichzeitig beklagt er die wirtschaftliche Monopolbildung, die in den letzten Jahren diesseits und jenseits des Atlantiks tatsächlich unüberschaubare Ausmaße angenommen hat. Und welche Gegenmaßnahmen schlägt er vor, um das modellkonforme freie Spiel der Kräfte zu retten? Der Schiedsrichter-Staat solle die Marktakteure vom Spielfeld-Rand aus beobachten, ohne selbst zu gestalten.
Auch in der Klimapolitik - so der liberale Frontmann - müsse sich der Staat zurücknehmen und auf die marktwirtschaftlichen Instrumente des Emissionsrechtehandels vertrauen. Nun, zumindest ist der Glauben an das grüne Gewissen von Managern und deren Bereitschaft, Emissionen zu senken, derzeit etwas erschüttert und der Klimaschutz ist um keinen Deut vorangekommen. Im Gegenteil. Von "gezielten Gegenmaßnahmen des Staates", vor 45 Jahren eine liberale Kernforderung angesichts von Monopolbildung und Klimawandel, keine Spur. Die FDP-Linie scheint unerschütterlich. Dabei sprachen die Altliberalen – ganz aufgeklärt – vom "Ringen um größere Wahrheit und Gerechtigkeit". Genau das ist gegenwärtig in der Politik unerlässlich.

Klaus Englert, schreibt für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien" und schrieb die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".

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