Vor dem Tod sind alle gleich

Von Anette Schneider |
In den 60er- und 70er-Jahren war HAP Grieshaber außerordentlich populär: Mit dem uralten Medium des Holzschnitts mischte er sich in die Debatte um den Vietnamkrieg ein oder engagierte sich gegen Umweltzerstörung.
Die Ausstellung ermöglicht eine beeindruckende Reise durch Grieshabers Themenwelt: Sie zeigt Tier- und Pflanzenbilder, seine Serien zur Carmina Burana und zum Feuervogel, Ausstellungsplakate, vor allem aber präsentiert sie seine wichtigsten politischen Arbeiten, die hauptsächlich in den 60er-Jahren entstanden: eine Serie aus Solidarität für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA. Blätter gegen die Militärdiktatur in Griechenland. Und zwei umfangreiche "Kreuzwege", die - angesichts der Erfahrungen des Faschismus und des aktuellen Vietnamkrieges - von der Erniedrigung des Menschen durch den Menschen erzählen. Kurator Tobias Burg:

"Das war schon eine Kunst, die sich einmischen sollte. Er hat sich auch als Person eingemischt, aber er hat sich eben auch mit seiner Kunst eingemischt, in die verschiedensten Bereich. Er hat zum Beispiel versucht, mit einer Edition eine Sühnekirche in Auschwitz finanziell zu unterstützen.

Es kam dann nie zu dem Bau dieser Kirche, aber er hat eine Edition in einer hohen Auflage gedruckt, 3000 Stück, das ist für einen Holzschnitt viel, und hat das von Vornherein in dieser hohen Auflage gedruckt, um den Bau dieser Kirche mit dem Erlös zu finanzieren."

Solch eine Haltung war in der Bundesrepublik der 60er- und 70er-Jahre nicht selbstverständlich: Die meisten Künstler arbeiteten lieber abstrakt oder widmeten sich der Konzeptkunst. Grieshaber dagegen stellte den Menschen in den Mittelpunkt. Der 1909 geborene und 1981 verstorbene gelernte Buchdrucker, der unter dem Faschismus Arbeits- und Ausstellungsverbot erhielt, nutzte dafür das demokratische Medium des Holzschnitts.

Bereits zu Zeiten des Bauernkriegs hatten Künstler den Holzschnitt zur Verbreitung politischer und künstlerischer Ideen verwendet. In diese Tradition stellte sich Grieshaber, so Mitkurator Rene Grohnert:

"Er war kein elitärer Künstler. Er hat sehr große Auflagen gedruckt, die sehr preisgünstig verkauft. Er stand auf Maifesten, und hat da gedruckt. Die Sachen hingen dann an der Leine, bis sie trocken waren, dann wurden sie verkauft. Er hat damals, zu Zeiten des Kalten Krieges, seinen Totentanz in der DDR drucken lassen, und zum gleichen Preis in Ost und West verkauft. Also, er war immer darauf aus, diesen elitären Punkt da rauszunehmen. Und deswegen war er auch sehr populär in diesen 60er und 70er-Jahren."

Grieshaber brachte den Holzschnitt zu einer neuen Blüte. In ungewöhnlich großem Format und abstrahierter Form erzählt er vom Leben wie es ist - und wie es sein sollte: Er zeigt, wie Menschen einen Menschen ans Kreuz nageln. Ruft anlässlich des griechischen Militärputsches zum Widerstand auf und entwirft dafür ein Blatt mit Demonstranten, die drei riesige Fäuste wie Transparente in die Luft halten. Immer wieder schneidet er auch seine Vision einer friedlichen Welt ins Holz: Liebespaare in einer paradiesähnlichen Natur und in leuchtenden Farben.

Die gleichzeitige Präsentation von Serien und Plakaten zeigt auch, wie Grieshaber einzelne Motive aus seinen Serien herauslöste, und für Plakate verwendete. Tobias Burg:
"In beiden Kreuzwegserien taucht natürlich das Motiv auf, das Christus ans Kreuz genagelt wird. Und man hat dann eine expressiv erhobene Hand, und daneben sitzt ein Scherge, der die andere Hand gerade annagelt. Und dann hat er einige Jahre später ein Plakat für Amnesty International gemacht, und hat genau dieses Motiv herausgegriffen."

Auch das Blatt gegen den Militärputsch in Griechenland wurde auf unterschiedliche Weise verwendet. In der Ausstellung hängt es als Plakat mit einem französischen Text, der die Freilassung aller Gefangenen fordert. Rene Grohnert:

"Er hat sehr uneitel dafür gesorgt, dass seine Bildfindungen zu bestimmten Themen an die politisch gleichgesinnten Gruppen weitergegeben werden. Das heißt: Die konnten diese Dinge benutzen, um eigene Plakate zu machen, zum Beispiel diese Griechenlandsachen: Er hat ein bestimmtes Motiv entworfen. Und viele Gruppen, die haben dieses Motiv genutzt, um eigene Plakate, eigene Flugblätter, eigene Anzeigen zu machen. Das heißt: Mit seinem Motiv hat sich die Verbreitung, der Charakter einer politischen Kampagne gebildet."

Als hätten die Kuratoren nicht ohnehin schon eine Auswahl getroffen, die Grieshaber eindrucksvoll als eingreifenden Künstler vorstellt, warten sie auch noch mit den 40 Blättern seines "Basler Totentanzes" auf. Mit dieser großartigen Serie greift Grieshaber die Idee eines mittelalterlichen Freskenzyklus auf.

Ins Heute transformiert, führt er vor: Vor dem Tod sind alle gleich, Kriege führen, morden und Geld raffen lohnt sich nicht. Ob Papst, König oder Bauer, ob reiche Edelfrau, Krüppel oder Maler - irgendwann erwischt es jeden.

So ungemein elegant und ironisch lässt Grieshaber seinen Sensenmann auftreten, dass man sich glattweg in ihn verlieben könnte: wie er da - einen Zylinder auf seinem Schädel und lässig auf einen Spazierstock gestützt - neben dem Wucherer steht, - einem eitlen, selbstgerechten Anzugträger, - und ihm die Rechnung aufmacht. Die endgültige.