Rückwärts in die Zukunft - Katholizismus in Polen
Papst Franziskus kommt nach Polen, um am 26. Juli den Weltjugendtag in Krakau zu eröffnen. Doch es ist kein Besuch unter Freunden, zu gespalten ist das Verhältnis zur polnischen Amtskirche.
Die Ränge des Stadions in Posen sind gut gefüllt. Die Menschen feiern den Jahrestag der Taufe Polens. 1050 Jahre ist es her, dass der damalige Herzog Mieszko I. das Christentum annahm.
Die Stimmung ist ausgelassen, auf der Tribüne strecken Nonnen die Arme hoch und drehen sich im Takt der Musik, auf dem Rasen tanzt ein Priester.
Auch Halina Tabiszewska klatscht und dreht sich im Rhythmus der Musik. Die 61-Jährige ist in einen weiß-roten Schal gehüllt - die polnischen Nationalfarben.
Tabiszewska: "Das ist ein großer Tag für uns Polen, die Taufe war das wichtigste Ereignis in unserer Geschichte. Dank des katholischen Glaubens haben wir unsere Nation über so viele Jahre erhalten. Als wir Polen keinen Staat hatten, als wir aufgeteilt waren, hat unsere Kultur nur durch den Glauben überhaupt überlebt. Unser wunderbarer Präsident hat es heute gesagt: Unser Land würde es ohne Christus nicht geben."
Wenig später geht eine Prozession über den Rasen im Stadion: Die Reliquien polnischer Heiliger werden vorgeführt.
Gehören Katholizismus und Nationalismus zusammen?
Auch Halinas Zwillingsschwester Zofia ist gerührt. Sie findet nichts dabei, dass nationale und kirchliche Symbole nebeneinander stehen, im Gegenteil: Katholizismus und nationale Identität gehören für sie zusammen:
Jawien: "Wir wollen, dass wir wieder eine Gemeinschaft werden, eine Gemeinschaft in Weiß und Rot. Weiß symbolisiert die Reinheit des Herzens, Rot unsere Opferbereitschaft, die Liebe zu anderen und die Liebe zu unserem Land. Auch unseren Heldenmut. Schließlich war Polen das heldenhafteste Land. Dank Gott haben wir 1920 die Bolschewiken in der Schlacht bei Warschau besiegt und die Moslems in der Schlacht bei Wien, das war 1683."
Die beiden Zwillingsschwestern haben sich gefreut über den Regierungswechsel in Polen im vergangenen Jahr. Erst gewann Andrzej Duda die Präsidentenwahl. Dann die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit", aus der Duda stammt, die Parlamentswahl. Sie errang sogar die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament.
Gerade rechtzeitig zum Jubiläumsjahr: Die Partei PiS, so ihr Kürzel, gibt sich erzkatholisch. Präsident Duda erklärte, die 1050-Jahr-Feier sei das wichtigste Ereignis in Polen in diesem Jahr. Bei einer feierlichen Versammlung der beiden Parlamentskammern erklärte er:
Duda: "Das ist eine große Feier unseres Polentums, die für uns Quelle von Stolz und Freude sein wird. Sie wird einige Monate lang im ganzen Land dauern. Ihr Höhepunkt wird der Besuch von Papst Franziskus in Polen sein und der Weltjugendtag. Ich erweise unseren fernen Vorgängern vor 1050 Jahren die Ehre und sage mit voller Überzeugung: Polen ist und bleibt seinem christlichen Erbe treu. In ihm haben wir ein erprobtes und starkes Fundament für die Zukunft."
Die allermeisten Polen sind der Meinung, dass ihr Land und der katholische Glaube eng miteinander verbunden sind. Über 90 Prozent der Menschen sind getauft und bezeichnen sich als Katholiken.
Doch es gibt auch andere Statistiken, die diese Zahlen relativieren. Nur etwa 40 Prozent der erklärten Katholiken gehen auch regelmäßig in die Sonntagsmesse, die Tendenz ist seit Jahren leicht fallend.
Vor allem junge Menschen bleiben dem Gottesdienst fern - und Gläubige, die sich eine liberale, weniger nationale Kirche wünschen.
Wie die Warschauerin Joanna Diduszko. Sie ist früher jeden Sonntag zur Messe gegangen. Heute geht sie kaum mehr. Denn zwei Dinge stören sie: dass die Kirche politischen Einfluss möchte und dass sie nach materiellem Reichtum strebt. Letzteres konnte sie in ihrer eigenen Gemeinde beobachten. Als sie in die Siedlung zog, machte der Gemeindepfarrer erst einen guten Eindruck auf sie. Er organisierte Fußballtraining für Jugendliche.
Joanna: "Aber dann hat er angefangen, eine riesige Kirche zu bauen, das hat uns schon weniger gefallen. Das ist dieser typisch polnische Pomp, seine Pläne mit den Jugendlichen hat der Pfarrer darüber erst einmal liegen gelassen."
Je größer, desto besser, so die Devise der katholischen Kirche. In Swiebodzin hat ein Pfarrer die größte Christusstatue der Welt aufgestellt. Und der "Tempel der göttlichen Vorsehung" ist seit 14 Jahren im Bau, er soll die größte Kirche Warschaus werden - gebaut auch mit öffentlichen Geldern.
Wo soll Christus seinen Platz haben?
Auch bei einer fünfeinhalb Meter hohen Bronzestatue des Erlösers, die im Mai nach Posen kam, arbeiten Staat und Kirche zusammen. Die Stadt hatte das Denkmal noch nicht genehmigt und protestierte. Da half die Armee: Sie brachte den Koloss mit einem Tieflader aus ihrem Fuhrpark. Ein Kran setzte ihn vor der Florianskirche ab, "Jesus - König Polens" skandierten einige Gläubige.
Bürgermeister Jacek Jaskowiak war gar nicht erfreut: "Die Figur steht dort einstweilen illegal. Der Boden dort ist für so eine schwere Figur nicht vorgesehen. Wir wissen nicht, ob er das aushält."
Nun streiten Kirche und Posen darum, wo der Christus seinen Platz finden soll. Aber dass er in der Stadt bleiben soll, wird nicht infrage gestellt.
Besonders deutlich wurde die immer engere Verbindung von Kirche und Regierung im April. Die Bischofskonferenz veröffentlichte einen Hirtenbrief, der bei allen Messen verlesen werden sollte. Seine Botschaft: Abtreibung sollte in Polen verboten werden.
Damit unterstützten die Bischöfe eine Bürgerinitiative, die 450.000 Unterschriften für ein Abtreibungsverbot sammelte.
Der Druck auf die rechtskonservative Regierungspartei PiS wuchs. Der Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, der mächtige Mann hinter der Regierung, sagte:
"Ich bin Katholik, deshalb ist meine Haltung hier völlig klar. In solchen Fragen gibt es bei uns keinen Koalitionszwang. Aber ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit, vielleicht sogar alle Abgeordneten, das Projekt unterstützen wird."
Geistliche verbünden sich mit Politikern
Angenehm ist die Abtreibungsdebatte nicht für die PiS. Denn die meisten Polen wollen die bisherige, ohnehin restriktive Gesetzgebung beibehalten. Aber umgekehrt erhält ja auch die Regierung Unterstützung von der Kirche. Der Erzbischof von Przemysl, Jozef Michalik, sagte bei einer Predigt über die Oppositionsparteien:
Michalik: "Sie klagen Polen an. Sie mobilisieren fremde Nationen gegen Polen, auf internationalem Parkett schüren sie Hass gegen Polen. Unsere Nation ist erschöpft. Sie erwartet, dass die Parteien zusammenarbeiten und gute, positive Vorschläge voranbringen. Dass sie eine Rechtsordnung schaffen, die mit dem moralischen und dem göttlichen Recht übereinstimmt."
Zumindest einige Geistliche sehen dieses enge Bündnis zwischen Regierung und Amtskirche kritisch, so der Priester Andrzej Luter, der mit dem Warschauer Verlag "Wiez" verbunden ist:
Luter: "Die Kirche begeht hier leider sehr schwere Fehler. Mich erinnert das an die Fehler der Kirche in Spanien und Portugal, als dort die Diktatoren Franco beziehungsweise Salazar herrschten - das Bündnis von Thron und Altar. Das wird uns noch teuer zu stehen kommen. Die Regierenden werden ja nicht ewig am Ruder bleiben. Viele der Hierarchen scheinen zu triumphieren, weil sie meinen, endlich seien Katholiken an der Macht. Ich weiß nicht, inwiefern das wirklich Katholiken sind."
Bisweilen verbünden sich manche Geistliche mit politischen Strömungen, die noch viel weiter rechts stehen. Eine verstörende Szene vom vergangenen November: Ein junger Priester in einer schwarzen Soutane steht auf der Bühne, in der rechten Hand hält er die Bibel. Er ruft der Menge zu:
Miedlar: "Gelobt sei Jesus Christus und sein heiliges Evangelium. Meine Lieben, die Feinde der Kirche und die Feinde des Vaterlands schäumen heute. Denn sie sehen hier eine große Armee von Patrioten, die Gott, Ehre und Vaterland im Herzen tragen. Sie sind bereit, dafür ihr Leben zu geben. Die linke Propaganda will uns vernichten, will die Kirche und die polnische Nation vernichten. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir sind eine kämpfende Kirche, wir sind Kämpfer für ein großes Polen. Je größer die Attacke, desto stärker wächst unser Nationalstolz."
"Gott, Ehre, Vaterland", skandieren seine Zuhörer.
Katholiken sollen sich nicht wie Kaninchen vermehren
Zehn Minuten dauerte die Rede, die Priester Jacek Miedlar beim sogenannten Unabhängigkeitsmarsch hielt, einer jährlichen Veranstaltung radikaler Nationalisten in Warschau. Erst einige Monate später verboten ihm seine kirchlichen Vorgesetzten, weiterhin öffentlich aufzutreten.
Zu dieser polnischen Kirche kommt nun Papst Franziskus. Das Oberhaupt wirbt ganz deutlich für eine offene Kirche. Jeder soll sich angenommen fühlen, auch diejenigen, die - aus katholischer Sicht - in der Sünde leben, Homosexuelle etwa oder Wiederverheiratete.
Die liberalen Katholiken in Polen jubeln dem Heiligen Vater zu. Auch Priester Andrzej Luter:
"Er tritt deutlich dafür ein, dass sich die Kirche für die Schicksale der Menschen öffnet. Er will weg von einem Dogmatismus. Moralische Prinzipien lassen sich für ihn nicht immer unmittelbar anwenden, er will den Menschen in seiner Komplexität sehen, nicht nur schwarz und weiß."
Die konservativen Vertreter der katholischen Kirche in Polen blicken immer wieder skeptisch zum Heiligen Vater. Besonders missfiel ihnen seine Aussage, dass Katholiken sich nicht wie Kaninchen vermehren müssen. Der einflussreiche katholische Publizist Tomasz Terlikowski schrieb:"Ich bin stolz darauf, dass ich wie ein Kaninchen bin."
Mit Spannung erwarten Politiker und Geistliche, was der Papst zum Flüchtlingsproblem sagen wird. Die Regierung in Warschau weigert sich, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen - und weiß sich dabei einig mit der großen Mehrheit der Polen.
Christen in die Pflicht nehmen
Der Papst dagegen will die christlichen Länder in die Pflicht nehmen - ein Missverständnis, meint der konservative Publizist Tomasz Terlikowski:
Terlikowski: "Wenn der Heilige Vater auf diese Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten blickt, dann denkt er an die Südamerikaner, die sich in die USA durchschlagen wollen. Das ist die Erfahrung eines Lateinamerikaners mit Flüchtlingen - und durch dieses Prisma schaut er auf Europa. Es war eine schöne Geste, dass er Flüchtlinge mit an Bord seines Flugzeugs genommen hat. Aber ich habe schon ein Problem damit, dass unter ihnen nicht auch christliche Flüchtlinge waren."
Die Bischofskonferenz indes bemühte sich schon, den hohen Besuch vor dem Weltjugendtag milde zu stimmen. Sie sprach sich dafür aus, dass die Caritas direkt Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Polen bringt, wenn auch nur einige kleine Gruppen.
Priester Andrzej Luter schließt nicht aus, dass Franziskus auch die Nähe der polnischen Kirche zur Regierung anprangern wird:
"Er hat Pier Giorgio Frassati zum Patron des Weltjugendtags erklärt. Aber wer war dieser Frassati aus Turin, der von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurde? Er trat aus vielen katholischen Organisationen aus - aus Protest dagegen, dass diese mit dem damaligen italienischen Diktator Mussolini zusammenarbeiteten. Wenn Franziskus heute sagt: Seid wie Frassati, dann sagt er auch: Ein Bündnis von Thron und Altar ist falsch. Aber ob wir Polen das verstehen werden?"