Vor dem Anfang
Der Urknall gilt als Beginn unseres Universums. - Doch was war davor? Dem jungen deutschen Physiker Martin Bojowald ist es mit seinen Forschungen gelungen, sich dieser Frage anzunähern. Seine Erkenntnisse hat er in dem Buch "Zurück vor den Urknall" zusammengefasst.
Stephan Karkowsky: Ich denke, Chuzpe ist das richtige Wort für die Denkleistung eines jungen deutschen Physikers namens Martin Bojowald. Professor an einer Uni in Pennsylvania, die man nicht unbedingt kennen musste, bis Bojowald kam und mal eben die Geschichte vom Urknall erst neu dachte und dann völlig umschrieb. "Zurück vor den Urknall", so heißt auch Ihr Buch, Herr Bojowald. Wie viele Menschen kennen Sie denn eigentlich, die Ihre Theorie komplett verstehen und mit Ihnen auf Augenhöhe darüber diskutieren können?
Martin Bojowald: Wahrscheinlich verstehe ich sie selbst noch nicht komplett. Wir arbeiten ja auch noch an allen möglichen Details. Aber es ist so etwa eine Gemeinde von knapp 100 Physikern weltweit, die sich mit den Details befassen und das auch nachvollziehen können.
Karkowsky: Sie zitieren ja Goethes "Faust" in Ihrem Buch, "Du gleichst dem Geist, den du begreifst." Demnach sind Sie in der Unimensa ziemlich einsam, oder?
Bojowald: Nein, an der Uni ist es dann doch eher, dass man Gleichgesinnte findet. Was ich aber auch andeuten wollte, ist, dass die Gewohnheiten und allein die evolutive Entstehung des Gehirns natürlich auch andeutet, was wir überhaupt begreifen können. Und das muss man gerade bei solchen Grenzfragen beachtet, wie sie die Wissenschaft derzeit behandelt.
Karkowsky: Mal angenommen, es stimmt, und es gibt tatsächlich 100 Fachkollegen, die Sie verstehen und auf Augenhöhe mit Ihnen diskutieren können. Trotzdem haben Sie nun ein Buch geschrieben mit einem durchaus populärwissenschaftlichen Anspruch. Warum?
Bojowald: Man merkt immer das Interesse. Es ging schon seit Jahren, als ich eigentlich nur Fachartikel veröffentlicht hatte, da kamen schon oft E-Mails, Leute, die dann auch diese Artikel lesen, sicher nicht alles verstehen können, weil sie auch nicht die Ausbildung haben, aber doch das Interesse da ist. Und über diese Frage lernt man natürlich selbst auch, auf andere Weise zu kommunizieren. Es freut einen natürlich auch, das Interesse zu sehen. Und so ging’s dann weiter. Es kamen dann auch einige allgemeinverständlichere Artikel in anderen Zeitschriften und dann schließlich zu diesem Buch.
Karkowsky: Sind Sie denn sicher, dass Ihre Leser Sie verstehen werden?
Bojowald: Ich glaube gar nicht, dass man alles verstehen muss. Mir ist es wichtig, dass man auch einfach einen Eindruck erhält von dem, was Wissenschaft ausmacht, was derzeit aktuell ist. Ein Verständnis, ein grundlegendes Verständnis ist wahrscheinlich nur möglich in diesen Bereichen, wenn man sich auch auf die Mathematik einlässt. Man kann es aber zumindest anschaulich machen, denke ich, und zumindest auch zeigen, was die Probleme sind derzeit und was man schon geschafft hat.
Karkowsky: Ich habe beim Lesen die Erfahrung gemacht, wer Sie verstehen will, sollte zunächst Newtons Gravitationsgesetze und Einsteins Relativitätstheorie ansatzweise durchschauen, dann aber auch Schrödingers Quantenmechanik und die Kosmologie. In alle diese Themen führen Sie ja knapp ein in Ihrem Buch. Dennoch muss man doch eigentlich alles gleichzeitig denken können, um Ihnen zum Kern Ihrer These folgen zu können, dass der Urknall eben nicht der Anfang des Universums war. Sind Sie eigentlich der Erste, der das gedacht hat?
Bojowald: Es gab schon Ansätze seit Längerem, also diese Anfangsinterpretation des Urknalls hat den meisten Physikern, die sich mit der Relativitätstheorie beschäftigen, eigentlich nie gefallen. Es fing schon in den 30ern an, da war Richard Holman der Erste, der sich Gedanken gemacht hat über sogenannte zyklische Universen, wo es also nicht nur dieses lineare Wachsen vom Urknall bis zu einem riesigen Universum gibt, sondern ein Auf und Ab im Volumen. Er kam nicht wirklich durch den Urknall hindurch, da gibt’s diese Singularität, die halt einem verbietet, in der Relativitätstheorie die Rechnung weiterzuführen. Er hat stattdessen Annahmen getroffen, was da hätte passieren können und daraus Konsequenzen gezogen. Es wurde dann immer wieder aktuell, auch später, aber es stellte sich als sehr schwierig heraus, die Singularität wirklich komplett zu verhindern und Gleichungen zu erhalten, die man weiterhin benutzen kann.
Karkowsky: Singularität ist ein Punkt, an den die Mathematik geführt wird und nicht weiterkommt, oder wie würden Sie das definieren?
Bojowald: Das ist das Hauptcharakteristikum, also die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie sind üblicherweise sehr erfolgreich. Man kann sie sehr gut mit Beobachtungen vergleichen in der Kosmologie und Astrophysik. Aber wenn man die Entwicklung des Universums zurückzuverfolgen sucht, dann gibt es in der Vergangenheit einen Punkt, wo die Dichte der ganzen Materie unendlich war, das ganze Universum war zu einem Punkt zusammenkollabiert, die Temperatur war unendlich. Und das ist nicht nur physikalisches Extrem, es ist auch mathematisch ein Punkt, wo die Gleichungen dann gar nicht mehr benutzt werden können.
Karkowsky: Herr Bojowald, Sie stoßen damit das bisherige Denkgebilde von einem Anfang des Universums um und sagen quasi – ich sag das mal in meinen Worten: Das Universum atmet, es atmet derzeit aus, es dehnt sich aus, und es hat vorher aber schon eingeatmet und sich dann auf einen Punkt komprimiert. Was würden Sie sagen, ist nun das radikal Neue an Ihrer Theorie, sodass es sich von anderen Modellen unterscheidet?
Bojowald: Das Neue an dieser Theorie ist, dass man wirklich konkret die Eigenschaften der Quantentheorien mit einbezieht. Das ist nicht nur für das Buch wichtig für den Aufbau, es ist auch für das wichtig, was wir überhaupt durchführen. Wir versuchen, mathematisch die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie zu kombinieren, die bisher als nicht kombinierbar gehalten und auch noch nicht vollkommen kombiniert sind. Wir arbeiten immer noch daran. Wir haben noch keine vollständige Theorie dafür, aber wir haben zumindest in Jahrzehnten mittlerweile einige Indizien gefunden, Eigenschaften, die man erwartet für ein Universum, das so geschrieben sein sollte. Und da gab es zunächst mal überraschende Konsequenzen, schon in den 90ern, dass zum Beispiel das Atombild, das man hier von der Materie kennt, auch auf Raum und Zeit bezogen werden sollte. Also der Raum zum Beispiel wäre nicht kontinuierlich, es gäbe kleinste Bausteine. Das hat dann wiederum Auswirkungen am Urknall. Also wenn man dann die Gleichungen benutzt, die Entwicklung des Universums ändert sich leicht ab, und bei heutigen Volumen, bei dieser riesigen Größe, merkt man davon nichts. Aber als das Universum selbst so klein war, wie es ja im Urknall hätte gewesen sein sollen, da ist die Mathematik auf einmal ganz anders und es tritt keine Singularität mehr auf, zumindest in den Modellen, wie wir bisher untersucht haben. Das heißt, man kann sie dann wiederum benutzen, um mit den Gleichungen zurückzurechnen, was am Urknall oder sogar davor hätte passiert sein können.
Karkowsky: Nun könnten Skeptiker Ihnen vorwerfen, sich mit der Erfindung von kleineren als Elementarteilchen aus der Affäre zu ziehen, denn Sie reden ja von Raum-Zeit-Atomen in Ihrem Buch, die kein Mikroskop mehr sehen, kein Teilchenbeschleuniger beschleunigen kann. Die existieren ja dann nur noch gedacht, Also entweder denke ich mit Ihnen oder ich glaube es nicht. Und da kommt dann die Frage, was unterschiedet das von Esoterik?
Bojowald: Also der wichtige Punkt in der Physik ist immer die Möglichkeit von Beobachtungen. Das gilt für alle Fragen. Das Atombild der Materie wurde ja auch für lange Zeit nicht wirklich akzeptiert. Es war schon von den alten Griechen aufgebracht worden. Selbst im 19. Jahrhundert gab’s noch viele Zweifler, als die Chemie schon begann, die Atome als Eselsbrücke für Molekülbindungen zu benutzen, glaubte noch niemand wirklich an die Realität. Es waren dann erst indirekte Indizien, die auch von Einstein kamen, wo er die Brownsche Molekularbewegung untersuchte, was er auf Stöße von Atomen in der Flüssigkeit zurückführte. Die Atome oder Moleküle stoßen an Pollenkörner an. Die Pollenkörner kann man lichtmikroskopisch sehen, die Atome selbst natürlich. Aber dadurch, dass so viele Atome stoßen, gibt es eine sichtbare Bewegung. Und die Rate dieses Zitterns, das daraus resultiert, kann man berechnen aus der zugrunde liegenden Atomannahme und mit Beobachtungen vergleichen. Damit gab’s die ersten indirekten Indizien, die ja auch die meisten Physiker überzeugten. Das spielte natürlich in der Quantentheorie keine große Rolle, die Theorie, die diese Atome erklärt. Und erst 50 Jahre danach gab es dann direkte Bilder durch Erwin Müller, der hier in Berlin die Feldionenmikroskopie entwickelt hatte. So ähnlich hoffen wir das auch. Das ist utopisch, zumindest mit den bisherigen Methoden, zu erwarten, dass man direkte Bilder erhalten könnte. Aber indirekt sollte es auf jeden Fall Möglichkeiten geben. Es kann Auswirkungen geben in der Kosmologie, also der Strahlung, die man aus diesem sehr frühen Universum nah am Urknall sieht, da sollte es leichte Abänderungen geben, wenn der Raum atomar aufgebaut ist statt kontinuierlich.
Karkowsky: Gibt es denn bereits Experimente, die in Zukunft ermöglichen werden, Ihre Theorie zu beweisen?
Bojowald: Es gibt viele Missionen, das ist nicht wirklich geplant, um diese Theorie zu beweisen oder zu widerlegen. Das sind allgemeine kosmologische Missionen, wie zum Beispiel der Planck-Satellit, der hoffentlich bald starten wird. Das wird die Beobachtung dieser Strahlung noch sehr stark verbessern, als es derzeit möglich ist, obwohl die Datenlage schon sehr gut ist. Ja, mit etwas Glück werden wir dann sehen können, ob an dieser Theorie etwas dran ist oder ob’s vielleicht Korrekturbedarf gibt.
Karkowsky: Kommen wir am Ende noch mal auf den Kern Ihrer These zurück. Sie wollen also nicht den Urknall als Anfang des Universums sehen, sondern eher als ein zyklisches Universum, das sich mal ausweitet und wieder zusammenzieht. Vielleicht hängen die Menschen ja so an dieser Urknalltheorie, weil sie einen Anfang brauchen von etwas, vielleicht weil das dem menschlichen Denken eher entspricht. Kann das sein?
Bojowald: Das hängt, glaube ich, auch vom Kulturkreis ab. In Europa ist man sicher mittlerweile an diese Gedanken gewöhnt. Wir sind natürlich auch nicht wirklich vollkommen zufriedenstellend mit diesen physikalischen Modellen. Man kann sagen, wir verschieben den Anfang nur zurück in der Zeit, zu einfach weiteren Zyklen vor dem Urknall, aber vielleicht auch unendlich weit. Den Anfang selbst kann man wahrscheinlich nicht physikalisch modellieren. Es ist für mich unvorstellbar, wie aus nichts etwas entstehen könnte innerhalb physikalischer Theorien. Das ist eine ganz andere Frage, wo es zurzeit noch keine Indizien gibt, wie man die lösen könnte physikalisch.
Karkowsky: Martin Bojowald, der deutsche Physiker von der State University Pennsylvania stellt diese Woche auch in Deutschland sein neues Buch vor. "Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums", erschienen im Verlag S. Fischer. Herr Bojowald, vielen Dank!
Bojowald: Vielen Dank!
Martin Bojowald: Wahrscheinlich verstehe ich sie selbst noch nicht komplett. Wir arbeiten ja auch noch an allen möglichen Details. Aber es ist so etwa eine Gemeinde von knapp 100 Physikern weltweit, die sich mit den Details befassen und das auch nachvollziehen können.
Karkowsky: Sie zitieren ja Goethes "Faust" in Ihrem Buch, "Du gleichst dem Geist, den du begreifst." Demnach sind Sie in der Unimensa ziemlich einsam, oder?
Bojowald: Nein, an der Uni ist es dann doch eher, dass man Gleichgesinnte findet. Was ich aber auch andeuten wollte, ist, dass die Gewohnheiten und allein die evolutive Entstehung des Gehirns natürlich auch andeutet, was wir überhaupt begreifen können. Und das muss man gerade bei solchen Grenzfragen beachtet, wie sie die Wissenschaft derzeit behandelt.
Karkowsky: Mal angenommen, es stimmt, und es gibt tatsächlich 100 Fachkollegen, die Sie verstehen und auf Augenhöhe mit Ihnen diskutieren können. Trotzdem haben Sie nun ein Buch geschrieben mit einem durchaus populärwissenschaftlichen Anspruch. Warum?
Bojowald: Man merkt immer das Interesse. Es ging schon seit Jahren, als ich eigentlich nur Fachartikel veröffentlicht hatte, da kamen schon oft E-Mails, Leute, die dann auch diese Artikel lesen, sicher nicht alles verstehen können, weil sie auch nicht die Ausbildung haben, aber doch das Interesse da ist. Und über diese Frage lernt man natürlich selbst auch, auf andere Weise zu kommunizieren. Es freut einen natürlich auch, das Interesse zu sehen. Und so ging’s dann weiter. Es kamen dann auch einige allgemeinverständlichere Artikel in anderen Zeitschriften und dann schließlich zu diesem Buch.
Karkowsky: Sind Sie denn sicher, dass Ihre Leser Sie verstehen werden?
Bojowald: Ich glaube gar nicht, dass man alles verstehen muss. Mir ist es wichtig, dass man auch einfach einen Eindruck erhält von dem, was Wissenschaft ausmacht, was derzeit aktuell ist. Ein Verständnis, ein grundlegendes Verständnis ist wahrscheinlich nur möglich in diesen Bereichen, wenn man sich auch auf die Mathematik einlässt. Man kann es aber zumindest anschaulich machen, denke ich, und zumindest auch zeigen, was die Probleme sind derzeit und was man schon geschafft hat.
Karkowsky: Ich habe beim Lesen die Erfahrung gemacht, wer Sie verstehen will, sollte zunächst Newtons Gravitationsgesetze und Einsteins Relativitätstheorie ansatzweise durchschauen, dann aber auch Schrödingers Quantenmechanik und die Kosmologie. In alle diese Themen führen Sie ja knapp ein in Ihrem Buch. Dennoch muss man doch eigentlich alles gleichzeitig denken können, um Ihnen zum Kern Ihrer These folgen zu können, dass der Urknall eben nicht der Anfang des Universums war. Sind Sie eigentlich der Erste, der das gedacht hat?
Bojowald: Es gab schon Ansätze seit Längerem, also diese Anfangsinterpretation des Urknalls hat den meisten Physikern, die sich mit der Relativitätstheorie beschäftigen, eigentlich nie gefallen. Es fing schon in den 30ern an, da war Richard Holman der Erste, der sich Gedanken gemacht hat über sogenannte zyklische Universen, wo es also nicht nur dieses lineare Wachsen vom Urknall bis zu einem riesigen Universum gibt, sondern ein Auf und Ab im Volumen. Er kam nicht wirklich durch den Urknall hindurch, da gibt’s diese Singularität, die halt einem verbietet, in der Relativitätstheorie die Rechnung weiterzuführen. Er hat stattdessen Annahmen getroffen, was da hätte passieren können und daraus Konsequenzen gezogen. Es wurde dann immer wieder aktuell, auch später, aber es stellte sich als sehr schwierig heraus, die Singularität wirklich komplett zu verhindern und Gleichungen zu erhalten, die man weiterhin benutzen kann.
Karkowsky: Singularität ist ein Punkt, an den die Mathematik geführt wird und nicht weiterkommt, oder wie würden Sie das definieren?
Bojowald: Das ist das Hauptcharakteristikum, also die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie sind üblicherweise sehr erfolgreich. Man kann sie sehr gut mit Beobachtungen vergleichen in der Kosmologie und Astrophysik. Aber wenn man die Entwicklung des Universums zurückzuverfolgen sucht, dann gibt es in der Vergangenheit einen Punkt, wo die Dichte der ganzen Materie unendlich war, das ganze Universum war zu einem Punkt zusammenkollabiert, die Temperatur war unendlich. Und das ist nicht nur physikalisches Extrem, es ist auch mathematisch ein Punkt, wo die Gleichungen dann gar nicht mehr benutzt werden können.
Karkowsky: Herr Bojowald, Sie stoßen damit das bisherige Denkgebilde von einem Anfang des Universums um und sagen quasi – ich sag das mal in meinen Worten: Das Universum atmet, es atmet derzeit aus, es dehnt sich aus, und es hat vorher aber schon eingeatmet und sich dann auf einen Punkt komprimiert. Was würden Sie sagen, ist nun das radikal Neue an Ihrer Theorie, sodass es sich von anderen Modellen unterscheidet?
Bojowald: Das Neue an dieser Theorie ist, dass man wirklich konkret die Eigenschaften der Quantentheorien mit einbezieht. Das ist nicht nur für das Buch wichtig für den Aufbau, es ist auch für das wichtig, was wir überhaupt durchführen. Wir versuchen, mathematisch die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie zu kombinieren, die bisher als nicht kombinierbar gehalten und auch noch nicht vollkommen kombiniert sind. Wir arbeiten immer noch daran. Wir haben noch keine vollständige Theorie dafür, aber wir haben zumindest in Jahrzehnten mittlerweile einige Indizien gefunden, Eigenschaften, die man erwartet für ein Universum, das so geschrieben sein sollte. Und da gab es zunächst mal überraschende Konsequenzen, schon in den 90ern, dass zum Beispiel das Atombild, das man hier von der Materie kennt, auch auf Raum und Zeit bezogen werden sollte. Also der Raum zum Beispiel wäre nicht kontinuierlich, es gäbe kleinste Bausteine. Das hat dann wiederum Auswirkungen am Urknall. Also wenn man dann die Gleichungen benutzt, die Entwicklung des Universums ändert sich leicht ab, und bei heutigen Volumen, bei dieser riesigen Größe, merkt man davon nichts. Aber als das Universum selbst so klein war, wie es ja im Urknall hätte gewesen sein sollen, da ist die Mathematik auf einmal ganz anders und es tritt keine Singularität mehr auf, zumindest in den Modellen, wie wir bisher untersucht haben. Das heißt, man kann sie dann wiederum benutzen, um mit den Gleichungen zurückzurechnen, was am Urknall oder sogar davor hätte passiert sein können.
Karkowsky: Nun könnten Skeptiker Ihnen vorwerfen, sich mit der Erfindung von kleineren als Elementarteilchen aus der Affäre zu ziehen, denn Sie reden ja von Raum-Zeit-Atomen in Ihrem Buch, die kein Mikroskop mehr sehen, kein Teilchenbeschleuniger beschleunigen kann. Die existieren ja dann nur noch gedacht, Also entweder denke ich mit Ihnen oder ich glaube es nicht. Und da kommt dann die Frage, was unterschiedet das von Esoterik?
Bojowald: Also der wichtige Punkt in der Physik ist immer die Möglichkeit von Beobachtungen. Das gilt für alle Fragen. Das Atombild der Materie wurde ja auch für lange Zeit nicht wirklich akzeptiert. Es war schon von den alten Griechen aufgebracht worden. Selbst im 19. Jahrhundert gab’s noch viele Zweifler, als die Chemie schon begann, die Atome als Eselsbrücke für Molekülbindungen zu benutzen, glaubte noch niemand wirklich an die Realität. Es waren dann erst indirekte Indizien, die auch von Einstein kamen, wo er die Brownsche Molekularbewegung untersuchte, was er auf Stöße von Atomen in der Flüssigkeit zurückführte. Die Atome oder Moleküle stoßen an Pollenkörner an. Die Pollenkörner kann man lichtmikroskopisch sehen, die Atome selbst natürlich. Aber dadurch, dass so viele Atome stoßen, gibt es eine sichtbare Bewegung. Und die Rate dieses Zitterns, das daraus resultiert, kann man berechnen aus der zugrunde liegenden Atomannahme und mit Beobachtungen vergleichen. Damit gab’s die ersten indirekten Indizien, die ja auch die meisten Physiker überzeugten. Das spielte natürlich in der Quantentheorie keine große Rolle, die Theorie, die diese Atome erklärt. Und erst 50 Jahre danach gab es dann direkte Bilder durch Erwin Müller, der hier in Berlin die Feldionenmikroskopie entwickelt hatte. So ähnlich hoffen wir das auch. Das ist utopisch, zumindest mit den bisherigen Methoden, zu erwarten, dass man direkte Bilder erhalten könnte. Aber indirekt sollte es auf jeden Fall Möglichkeiten geben. Es kann Auswirkungen geben in der Kosmologie, also der Strahlung, die man aus diesem sehr frühen Universum nah am Urknall sieht, da sollte es leichte Abänderungen geben, wenn der Raum atomar aufgebaut ist statt kontinuierlich.
Karkowsky: Gibt es denn bereits Experimente, die in Zukunft ermöglichen werden, Ihre Theorie zu beweisen?
Bojowald: Es gibt viele Missionen, das ist nicht wirklich geplant, um diese Theorie zu beweisen oder zu widerlegen. Das sind allgemeine kosmologische Missionen, wie zum Beispiel der Planck-Satellit, der hoffentlich bald starten wird. Das wird die Beobachtung dieser Strahlung noch sehr stark verbessern, als es derzeit möglich ist, obwohl die Datenlage schon sehr gut ist. Ja, mit etwas Glück werden wir dann sehen können, ob an dieser Theorie etwas dran ist oder ob’s vielleicht Korrekturbedarf gibt.
Karkowsky: Kommen wir am Ende noch mal auf den Kern Ihrer These zurück. Sie wollen also nicht den Urknall als Anfang des Universums sehen, sondern eher als ein zyklisches Universum, das sich mal ausweitet und wieder zusammenzieht. Vielleicht hängen die Menschen ja so an dieser Urknalltheorie, weil sie einen Anfang brauchen von etwas, vielleicht weil das dem menschlichen Denken eher entspricht. Kann das sein?
Bojowald: Das hängt, glaube ich, auch vom Kulturkreis ab. In Europa ist man sicher mittlerweile an diese Gedanken gewöhnt. Wir sind natürlich auch nicht wirklich vollkommen zufriedenstellend mit diesen physikalischen Modellen. Man kann sagen, wir verschieben den Anfang nur zurück in der Zeit, zu einfach weiteren Zyklen vor dem Urknall, aber vielleicht auch unendlich weit. Den Anfang selbst kann man wahrscheinlich nicht physikalisch modellieren. Es ist für mich unvorstellbar, wie aus nichts etwas entstehen könnte innerhalb physikalischer Theorien. Das ist eine ganz andere Frage, wo es zurzeit noch keine Indizien gibt, wie man die lösen könnte physikalisch.
Karkowsky: Martin Bojowald, der deutsche Physiker von der State University Pennsylvania stellt diese Woche auch in Deutschland sein neues Buch vor. "Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums", erschienen im Verlag S. Fischer. Herr Bojowald, vielen Dank!
Bojowald: Vielen Dank!