Vor allem eine Arbeiterin am Text

Von Eva Pfister |
Eine Tragödin, eine Heroine, das waren die Etiketten, mit denen Schauspielerin Maria Wimmer versehen wurde. Sie begeisterte Publikum und Kritik als Iphigenie, als Maria Stuart und Medea. Aber als Tragödin wollte sie sich nicht verstanden wissen.
"Der missversteht die Himmlische, der sie blutgierig wähnt. Er dichtet ihr nur die eigenen grausamen Begierden an. Entzog die Göttin mich nicht selbst dem Priester? Ihr war mein Dienst willkommener als mein Tod."

Maria Wimmer als Priesterin Iphigenie: Gefangen auf der Insel Tauris soll sie den himmlischen Göttern Menschenopfer darbringen. Diese Rolle in Goethes Drama begleitete die Schauspielerin über Jahre hinweg. Sie spielte sie in zehn verschiedenen Inszenierungen in Deutschland und 1957 auf einer Tournee durch ganz Europa.

Wie einen Dienst an den Himmlischen, so fasste auch Maria Wimmer ihren Beruf auf, nämlich als Dienst an den Worten der Dichter. Geboren am 27. Januar 1911 in Dresden, spielte sie schon als Kind mit kleinen Holzfiguren große Dramen, aber als sie die Texte der Klassiker kennenlernte, sperrte sie sich ein, um die Luise aus Schillers "Kabale und Liebe" oder das Klärchen aus Goethes "Egmont" zu rezitieren.

"Eine gedichtete Figur ist viel lebendiger, kann viel lebendiger sein als ein wirklich lebender Mensch. Sagen wir eine Lady Macbeth oder ein Lear oder ein Gretchen. All diese Figuren sind doch viel gegenwärtiger als die meisten Menschen."

Nach der Schauspielschule in Leipzig, ersten Engagements in Stettin und Frankfurt am Main, kam Maria Wimmer 1937 an das Schauspielhaus nach Hamburg und spielte dort zehn Jahre lang die großen Rollen. Die politischen Umstände berührten sie nur am Rand:

"Ich spielte meine Klassiker, ich spielte Gretchen und Maria Stuart und spielte alle diese herrlichen Rollen und ich bin da glaub’ ich so wie ein Traumtänzer da durch gegangen. In diese Bewusstheit, da bin ich eigentlich wohl erst gekommen darüber, als es dann alles aus war."

Nach dem Krieg wurde Maria Wimmer für die Rolle der Iphigenie nach München geholt. Dort begegnete sie dem Regisseur und Schauspieler Fritz Kortner, der eben aus der Emigration zurückgekehrt war. Er inszenierte mit ihr 1949 das Stück "Der Vater" von August Strindberg. Die Arbeit mit Kortner wurde für die Schauspielerin zu einem Schlüsselerlebnis.

"Ich war ja doch in einem Korsett, wie das damals war, immer nur in diese Klassiker und immer edel, und ihm verdanke ich eigentlich diesen Übergang in das Charakterfach, in die bösen Frauen, die interessanten Frauen, das waren herrliche Proben – und hab sehr viel gelernt, eigentlich ist mir durch diese Regie, ich habe mehrere Sachen bei ihm gemacht dann, erst so richtig der Knopf aufgegangen übers Theaterspielen."

An den Münchner Kammerspielen trat Maria Wimmer in Stücken von Sartre, Camus, Giraudoux und Tennessee Williams auf, aber auch die klassischen Rollen begleiteten sie weiterhin. Sie gastierte in Hamburg als "Penthesilea" und als "Kameliendame", aber zur ganz großen Tragödin wurde sie mit dieser Rolle:

"Nein, ich bitt euch Kinder, seht mich nicht so an und lacht nicht so, als lachtet ihr zum letzten Mal. Oh Grauen, was soll ich tun, mir schwindet all mein Mut, wenn mir die Kleinen so entgegenlachen, nein, ich vermag es nicht."

Nach der Premiere der "Medea" von Euripides, im September 1962 in Düsseldorf, bezeichnete der Kritiker Albert Schulze Vellinghausen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Wimmer als "eine Callas des Wortes". Das war für die Schauspielerin eine große Auszeichnung, vielleicht noch größer als die Verleihung des Louise-Dumont-Goldtopas im Jahr davor. Nicht weil sie eine Tragödin sein wollte, aber:

" ... dass ich Wert auf die Sprache lege, dass mich die überhaupt ungeheuer interessiert, das ist richtig. Ich hab mich nie verlassen auf das äußere Losgehen, sondern mir ist wirklich der Inhalt immer das Wichtige gewesen, und vielleicht bin ich dadurch dazu gekommen, also zu einem solchen Kompliment, die Callas hat ja auch das Wesen der Sache gesungen."

Mit äußerster Disziplin arbeitete Maria Wimmer an ihrer Sprache und an ihren Rollen. Im Film und im Fernsehen war sie selten zu sehen, sie zog die Bühne und mit dem Älterwerden zunehmend das Lesepodium vor. Hölderlin und Goethe, Ricarda Huch und Marcel Proust gehörten zu ihren liebsten Dichtern. Ihre letzte Bühnenrolle war 1993 die Volumnia in Shakespeares "Coriolan" bei den Salzburger Festspielen.

Maria Wimmer starb am 4. Januar 1996 kurz vor ihrem 85. Geburtstag.