Vor 70 Jahren

James F. Byrnes hält seine "Rede der Hoffnung"

Der US-amerikanische Außenminister James B. Byrnes in Stuttgart bei seiner programmatischen Rede, in der er die Abkehr von den Ideen des Morgenthauplans ankündigte und für Deutschland einen demokratischen Wiederaufbau forderte.
James B. Byrnes bei seiner Rede in Stuttgart. © picture-alliance / dpa
Von Bert Oliver Manig · 06.09.2016
US-Außenminister James F. Byrnes hielt 1946 in Stuttgart eine Grundsatzrede zur Deutschlandpolitik. Sie wies den Weg zum ökonomischen Wiederaufbau des zerstörten Landes. Erstmals machte die USA damit ein Zugeständnis für ein langfristiges Engagement in Europa.
Die Lage schien trostlos: Ein Jahr nach Kriegsende war Deutschland geprägt von Wohnungsnot, Hunger und Kohleknappheit – die Menschen fürchteten sich vor dem nächsten Winter. Die Produktion lag darnieder, Industrieanlagen wurden demontiert und ins Ausland geschafft. Handel zwischen den Besatzungszonen gab es kaum, allein der Schwarzmarkt florierte. Und der Alliierte Kontrollrat in Berlin war zerstritten.
In den USA fragten politische Analytiker bereits, ob Deutschland als Nation fortbestehen oder als eine Art Niemandsland zum Spielball fremder Interessen werden würde. Gegen solche düsteren Szenarien richtete sich US-Außenminister James Byrnes, als er am 6. September 1946 im Stuttgarter Opernhaus über die amerikanische Deutschlandpolitik sprach; seine später als "Hoffnungsrede" titulierte Ansprache wurde von allen Rundfunksendern in der amerikanischen und britischen Zone übertragen:
"Der Hauptzweck der militärischen Besetzung war und ist, Deutschland zu entmilitarisieren und entnazifizieren, nicht aber den Bestrebungen des deutschen Volkes hinsichtlich einer Wiederaufnahme seiner Friedenswirtschaft künstliche Schranken zu setzen … Die amerikanische Regierung steht auf dem Standpunkt, dass dem deutschen Volk innerhalb ganz Deutschlands die Hauptverantwortung für die Behandlung seiner eigenen Angelegenheiten bei geeigneten Sicherungen jetzt übertragen werden sollte."

Forderung nach Stabilisierung der Währung

Ein von den Deutschen selbst verwalteter einheitlicher Wirtschaftsraum sollte den ökonomischen und politischen Wiederaufbau des ruinierten Landes einleiten. Byrnes forderte, dass eine Stabilisierung der Währung und der Aufbau einer international konkurrenzfähigen deutschen Industrie folgen müssten. Es war den Amerikanern klar, dass die Briten bei der Bildung eines Vereinigten Wirtschaftsgebietes trotz ihrer Vorbehalte letztlich mitziehen würden, Russen und Franzosen vorerst aber nicht. Ihnen warf Byrnes ziemlich offen Obstruktion vor:
"Die Durchführung der Potsdamer Beschlüsse ist jedoch dadurch behindert worden, dass der Alliierte Kontrollrat nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um es der deutschen Wirtschaft zu ermöglichen, als Wirtschaftseinheit zu arbeiten. Wesentlich notwendige deutsche Zentralverwaltungskörper sind nicht geschaffen worden, obgleich die Potsdamer Beschlüsse sie ausdrücklich verlangten."
In den Augen der US-Regierung bedeutete der Aufbau des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, der bald darauf in den Besatzungszonen der Briten und Amerikaner beginnen sollte, keine Abkehr vom Prinzip der deutschen Einheit - im Gegenteil. Doch die erneute Zurückweisung der russischen Forderung nach höheren Reparationsleistungen durch Byrnes bestärkte Moskau darin, in seiner Besatzungszone eine sozialistische Parteidiktatur zu etablieren.
Auch auf die Wünsche von Franzosen und Briten nahm Byrnes nur wenig Rücksicht: Hoffnungen auf eine Aufspaltung Deutschlands oder die Internationalisierung des Ruhrgebiets erteilte er eine klare Absage. Wirklich neu war aber eine andere Festlegung der US-Regierung:
"Wir wollen uns unseren Verpflichtungen nicht entziehen, wir ziehen uns nicht zurück. Wir bleiben hier und werden unseren Anteil an der Last auf uns nehmen. Solange die Anwesenheit von Besatzungskräften in Deutschland notwendig ist, wird die Armee der Vereinigten Staaten einen Teil dieser Besatzungsmacht bilden."

USA warben um die Mitarbeit des deutschen Volkes

Wer also fürchtete oder hoffte, die USA würden sich unter dem Druck der eigenen Öffentlichkeit bald ganz aus Europa zurückziehen und damit Deutschland letztlich dem russischen Einfluss überlassen, wurde durch Byrnes‘ Rede eines Besseren belehrt.
Es war konsequent, dass auch deutsche Amtsträger nach Stuttgart eingeladen worden waren – die Ministerpräsidenten der US-Zone saßen in den vordersten Zuhörerreihen, der gedruckte Text der Rede wurde anschließend in hunderttausenden Exemplaren verbreitet. Dies entsprach dem Kern der neuen deutschlandpolitischen Linie Washingtons: Die USA warben um die Mitarbeit des deutschen Volkes beim Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft und boten dazu Schutz und Hilfe.
Dem hessischen Ministerpräsidenten Karl Geiler sollen nach Byrnes' Rede die Tränen in den Augen gestanden haben. Der bayrische Wirtschaftsminister Ludwig Erhard schrieb am nächsten Tag:
"Seit dem Zusammenbruch war keine Tat so befreiend empfunden als der durch die Rede des amerikanischen Außenministers proklamierte Wille, dem deutschen Volk die Möglichkeit zu eröffnen, sein eigenes Schicksal zu gestalten."
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