Vor 60 Jahren

Deutsche Fußball-Nationalelf reist nach Moskau

Szene aus dem Fußball-Länderspiel Sowjetunion gegen Deutschland am 21. August 1955: Der sowjetische Torwart Lew Jaschin (l) pariert einen Schuss.
Am 21. August 1955 stehen sich in einem Fußball-Länderspiel die Sowjetunion und Deutschland gegenüber. Die Sowjets gewannen 3:2 © picture alliance / dpa / Schirner Sportfoto
Von Eduard Hoffmann · 21.08.2015
Im Sommer 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, sorgte in der jungen Bundesrepublik eine Sportbegegnung für große Aufregung. Die Fußball-Nationalmannschaft reiste am 21. August zu einem Freundschaftsspiel nach Moskau. Ein sportpolitisch brisantes Ereignis im feindlich-frostigen Klima des Kalten Krieges.
"Kampf im Mittelfeld, Maxl Morlock aus Nürnberg springt hoch, spielt zum Kölner Röhrich, der zu seinem Clubkameraden Schäfer, dazwischen springt wieder Mas, wie heißt er denn nun, Maslonkin heißt er, und der spielt ab zu Tatuschin, Tatuschin alleine durch, führt den Ball beinah wie ein Stanley Matthews aus England am Ball, in den Strafraum eingedrungen, fintiert immer noch nur acht Meter vom Tor entfernt, Schuss Toor."
Es ist das 1:0 für die Sowjetunion, von dem Reporter Herbert Zimmermann am 21. August 1955 aus dem Moskauer Dynamo-Stadion berichtet. Gegen die deutsche Weltmeister-Elf von 1954 unter Trainer Sepp Herberger.
"Unhaltbar schlug der Ball unter dem rechten Lattenkreuz ein, nicht zu halten für Torwächter Herkenrath und so steht es nach genau 16 Spielminuten im Dynamo-Stadion in Moskau 1:0 für Russland, das jetzt sogar bei einem neuen Angriff wieder eine Chance bekommt."
Heftige Auseinandersetzungen im Vorfeld
Es ist das erste Spiel einer deutschen Elf in der Sowjetunion. Zehn Jahre sind nach Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen, aber es herrscht weiterhin Krieg, "Kalter Krieg". Tausende deutsche Kriegsgefangene werden immer noch in russischen Lagern festgehalten.
Im Vorfeld hatte die Einladung der bundesdeutschen Fußball-Nationalelf nach Moskau für heftige Auseinandersetzungen gesorgt. In der noch jungen Bundesrepublik lehnten viele das Freundschaftsspiel ab und witterten unlautere politische Absichten der Sowjetführer. Im Auswärtigen Amt löste die Nachricht "helles Entsetzen" aus, und RIAS-Berlin, der Rundfunk im amerikanischen Sektor, weigerte sich, das Spiel zu übertragen.
Schließlich aber erkannten Politiker und Sportfunktionäre die große Chance des Freundschaftsspiels als Wegbereiter für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Und so reisten 1.500 deutsche Schlachtenbummler aus der Bundesrepublik und der DDR im August 1955 mit der Nationalelf nach Moskau.
"Und da erklingt unsere Nationalhymne. 80.000 Menschen setzen sich hin und erleben jetzt wie von den beiden Mittelkreisen her die beiden Mannschaften aufeinanderzulaufen und sich gegenseitig Blumen übergeben."
Ein Moment, bei dem sich viele deutsche Gefangene, die in den Lagern die russische Reportage verfolgen konnten, nach Hause sehnten und von Emotionen überwältigt wurden, wie sie später erzählten.
"Wir brauchen nicht traurig sein"
80.000 Zuschauer im Dynamo Stadion applaudierten den deutschen Spielern, die aber an diesem schwül-heißen Sommertag gegen die bestens trainierten Sowjet-Fußballer keine Chance hatten.
"2:2 ist der Spielstand, und die Russen greifen jetzt endlich wieder einmal auf der rechten Sturmseite an. Der Halblinke Salnikow dringt in den Strafraum ein. Kopfball! Vom Pfosten abgeprallt, Nachschuss - Tor."
Fritz Herkenrath: "Als unsere Puste ausging, und die drückende Übermacht dann auch zum 2:2 kam, und wir jetzt nur noch in der Abwehr hingen und ich Kopf und Kragen riskieren musste, um eventuell das Unentschieden über die Runden zu bringen und dann kam das 3:2. Aber wenn ich dann wieder noch an Fritz Walters Worte denke in der Kabine: Männer wir brauchen nicht traurig zu sein, wir haben besser gespielt als im Endspiel in der Schweiz. Und ja, ein besseres Lob gibt es eigentlich nicht, wenn man vom Kapitän so etwas hört - nicht?"
Gastfreundschaft wichtiger als sportlicher Erfolg
Wichtiger als der sportliche Erfolg waren für Fritz Herkenrath und seine Mitspieler die große Gastfreundschaft und die friedliche Stimmung rund um das Fußballspiel. Schon am Flughafen war die bundesdeutsche Elf herzlich empfangen worden. Der zugeteilte Dolmetscher kannte das deutsche Liedgut besser als die Fußballer selber, und diese konnten sich größtenteils frei bewegen in der Millionenstadt. Beim gemütlichen Bankett nach dem Spiel, so erinnerte sich Herkenrath, wurden sogar freundschaftliche Bande geknüpft.
"Man stand auch so mehr an Büffets und konnte direkt von den russischen Spielern ein Glas Wodka in Empfang nehmen und man hat mit Händen und Füßen versucht, sich zu unterhalten und das hat auch weitgehend geklappt, es war immer jemand an Dolmetschern da, der das dann weiter übersetzen konnte, und da hatte man also wirklich den Eindruck, von Kriegsgegner oder Hass gegen Deutschland ist also in dem Umfeld der Nationalmannschaft überhaupt nichts zu spüren gewesen."
Drei Wochen später reiste Konrad Adenauer in die Sowjetunion. Im Zuge der Verhandlungen des Bundeskanzlers kamen dann auch die letzten 10.000 Kriegsgefangenen aus russischen Lagern frei.
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