Vor 50 Jahren

Türkei und EWG schließen Assoziierungsabkommen

Die türkische Flagge über dem Haupteingangstor zum Topkapi-Serail in Istanbul
Um die türkische Wirtschaft anzukurbeln, sah der Vertrag Darlehen in dreistelliger Millionenhöhe für die Türkei vor. © dpa / picture alliance / Matthias Tödt
Von Matthias Bertsch · 01.12.2014
Soll die Türkei zur EU gehören oder nicht? Mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei begann eine Diskussion, die bis heute anhält. Ein Beitritt zur EU war dem Land bereits damals in Aussicht gestellt worden.
Zwischen dem türkischen Volk und den in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinten Völkern solle eine immer engere Bande entstehen, so hieß es in der Einleitung des Assoziierungsabkommens, das am 1. Dezember 1964 in Kraft trat. Zu den Unterzeichnern gehörten neben der Türkei die sechs EWG-Mitgliedsstaaten Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland. Das wichtigste Ziel des "Ankara-Abkommens", wie der Vertrag auch genannt wurde, war in Artikel 2 festgehalten:
"Ziel des Abkommens ist es, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, dass hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden."
Deutschland hatte sich für den Vertrag stark gemacht
Um die türkische Wirtschaft anzukurbeln, sah der Vertrag Darlehen in dreistelliger Millionenhöhe für die Türkei vor. Außerdem sollten Ein- und Ausfuhrzölle schrittweise beseitigt und eine Zollunion zwischen der EWG und der Türkei eingerichtet werden. Der erhoffte Aufschwung allerdings blieb aus. Die Türkei konnte zwar mehr exportieren, doch musste sie gleichzeitig Produkte aus den EWG-Staaten zollfrei ins Land lassen. Auf europäischer Seite war es vor allem die Bundesrepublik, die sich für den Vertrag stark gemacht hatte: Sie hatte bereits im Oktober 1961 ein Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen und wollte das Land durch das Ankara-Abkommen enger an den Westen binden. Auf türkischer Seite gab es verschiedene Motive für das Unterzeichnen des Abkommens, so der Migrations- und Türkeiforscher Yasar Aydın.
"Die türkischen Industriellen hatten großes Interesse, Zugang zum europäischen Markt zu bekommen und auch natürlich die Handelsbeziehungen, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa zu intensivieren. Und man war auch daran interessiert, dadurch die Türkei zu stabilisieren, also den Bestand der Republik zu sichern vor inneren und auch vor äußeren Kräften."
Türkisches Militär verurteilt "Vater" des Abkommens zu Tode
Zu den destabilisierenden inneren Kräften gehörte das Militär, das im Mai 1960 geputscht und den damaligen Ministerpräsidenten - und "Vater" des Assoziierungsabkommens - Adnan Menderes zum Tode verurteilt hatte, zu den äußeren Kräften gehörte die Sowjetunion, die nach wie vor territoriale Forderungen gegenüber der Türkei erhob. Gut 30 Jahre vergingen, bis die Türkei 1996 schließlich Teil der Europäischen Zollunion wurde, aber die von ihr angestrebte und im Ankara-Abkommen bereits in Aussicht gestellte Mitgliedschaft in der EU war damit noch nicht erreicht. Erst weitere neun Jahre später erhielt sie den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten, doch die Vorbehalte gegen ihre Mitgliedschaft waren damit nicht ausgeräumt.
Hans-Gert Pöttering: "Meine große Sorge ist, wenn die Türkei Mitglied wird, dass die Europäerinnen und Europäer das Bewusstsein, Europäer zu sein, die sich der Einigung Europas verschreiben, verlieren. Das heißt, das identitätsstiftende Band könnte verloren gehen."
Der Fraktionsversitzende der Konservativen im Europäischen Parlament, Hans-Gert Pöttering, formulierte im Dezember 2004, was viele in Europa dachten.
Diskussion über Beitritt ist für viele Türken ein Schlag ins Gesicht
Yasar Aydın: "Es klingt sehr paradox, aber die Türkei bekam 2005 den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten, aber dann folgten kulturalistische Diskurse, dann folgten ausgrenzende Diskurse in Europa, die eine Grundsatzdebatte angestoßen haben über die Kompatibilität der Kultur, der türkischen Kultur, mit der Europäischen Union aber auch des Islams mit der Europäischen Union, das war für viele in der Türkei ein Schlag ins Gesicht."
An dieser Situation hat sich bis heute wenig geändert. Vor allem das Problem Zypern blockiert die Beitrittsverhandlungen. Solange die Insel faktisch in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilt und nur die griechische Republik Zypern Mitglied der EU ist, weigert sich die Türkei, zyprischen Schiffen oder Lastwagen freien Zugang zu türkischem Hoheitsgebiet zu gewähren, wozu sie im Rahmen der Zollunion verpflichtet ist. Daneben kritisiert die EU, dass es unter der islamisch-konservativen Regierung von Tayyip Erdogan große Defizite im Hinblick auf die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz gibt. Das stimmt, räumt Yasar Aydın ein, doch es gebe auch eine wachsende Zivilgesellschaft, die gegen die repressive Politik der Regierung auf die Straße gehe.
"Das sollte auch mit berücksichtigt werden, weil das auch zeigt, dass es dort Menschen gibt, die für europäische Werte, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, die dafür kämpfen, die dafür auf die Straße gehen. Und das sollte man mit berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, gehört die Türkei in die Europäische Union oder nicht."
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