Vor 200 Jahren

Die Brüder Grimm veröffentlichen "Die Bremer Stadtmusikanten"

Die Bremer Stadtmusikanten auf dem Marktplatz in Bremen, fotografiert 2015.
Die Bremer Stadtmusikanten auf dem Marktplatz in Bremen: Die Statue wurde 1953 zu Ehren des Märchens der Gebrüder Grimm aufgestellt. © dpa / Hauke-Christian Dittrich
Von Günter Beyer · 03.07.2019
Vier abgearbeitete Tiere, die dem Tod durch eine Flucht nach Bremen entgehen - das gibt´s nur im Märchen. Am 3. Juli 1819 nahmen die Brüder Grimm die Geschichte in ihre Haus- und Kindermärchen auf. Darin verbergen sich ungeahnte satirische Anspielungen.
"Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja ein Stadtmusikant werden."
Wie das Märchen der Brüder Grimm weitergeht, ist bekannt: Der Esel trifft einen alten Hund, den sein Herr totschlagen will, eine altersschwache Katze, die von ihrer Herrschaft ersäuft werden soll, und schließlich einen Hahn, der in der Suppe zu enden droht. Die totgeweihten Tiere beschließen zu fliehen und sich in Bremen eine Existenz als Stadtmusikanten aufzubauen. Der Esel macht seinen Gefährten Mut: "Wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall!"

Der freisinnigen Stadt eins auswischen

Dass in einem Märchen eine bestimmte Stadt erwähnt wird, ist eher ungewöhnlich. "Das Märchen ist eigentlich zeitlos und ortlos", sagt Konrad Elmshäuser, der Leiter des Bremer Staatsarchivs. Doch die Brüder Grimm hatten die Erzählung "aus dem Paderbörnischen", wie sie vermerkten. Damit war der fürstentreue, katholische Adelige August von Haxhausen gemeint, der Bremen als Ort einfügte.
Er wollte der freisinnigen, protestantischen Stadt eins auswischen, so der Märchenforscher Heinz Rölleke: "Indem er die Bremer Stadtmusik - zumindest indirekt – mit dem Entsetzen erregenden gemeinsamen Geschrei von Esel, Hund, Katze und Hahn gleichsetzte, beziehungsweise indem er - noch infamer - andeutete, in dieser Bremer Stadtkapelle fänden selbst die als elementar unmusikalisch geltenden und in ihren gesanglichen Äußerungen als ausgesprochen kakophon empfundenen Tiere ohne Weiteres Aufnahme und Anstellung."

Auch die Bremer Ratsmusik wird verspottet

Die Brüder Grimm nahmen die Geschichte von den "Bremer Stadtmusikanten" in die zweite Auflage ihrer "Haus- und Kindermärchen" auf, zu der sie am 3. Juli 1819 ihre "Vorrede" verfassten.
Höhepunkt des Grimm‘schen Märchens ist der Überfall der hungrigen Truppe auf ein einsames Haus, in dem Räuber es sich an einem reich gedeckten Tisch gutgehen lassen. Die Vier stellen sich vor dem Fenster übereinander als Pyramide auf und stimmen eine durchdringende "Musik" an - im Widerschein der Kerzen wirken sie wie ein wahres Ungeheuer mit acht Augen und vierzehn Beinen. Die zu Tode erschrockenen Räuber nehmen Reißaus.
Dass die Vier bei der Attacke ein jämmerliches Geschrei veranstalten, hat mancher Bremer Bürger beim Erscheinen des Märchens tatsächlich als Spott auf die musikalische Tradition der Stadt verstanden, erklärt Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Stadtarchivs: "Da hat man das eigentlich als gar nicht so schön empfunden, dass diese Katzenmusik mit der Ratsmusik in Bremen verglichen wird."

Die "Ausgemusterten" erobern ihr Recht zurück

Städtische Ratsmusikanten gab es in der Hansestadt tatsächlich. Sie bestanden aus vier Bläsern, waren gutbezahlt, hochangesehen und spielten bei offiziellen Anlässen, Senatsempfängen oder Hochzeiten. Doch ihre Ära war damals bereits längst vorbei. "1806 können wir den letzten Mann namhaft machen, der Stadtmusikant war, und dann gibt es die nicht mehr, weil die Musikpflege geht über von der Ratshand in die bürgerlichen Hände." So steht es im Staatsarchiv von Konrad Elmshäuser.
Dahergelaufene "Musikanten" wären wohl chancenlos geblieben. Auf Esel, Hund, Katze und Hahn hätte nur ein prekäres Leben gewartet: abhängig von Almosen und ständig von Ausweisung bedroht. Im Märchen erobern sich die "Ausgemusterten" ihr Recht zurück und richten sich auf Dauer in dem Haus im Wald ein. "Den vier Bremer Musikanten gefiel´s aber so wohl darin, dass sie nicht wieder heraus wollten."
Stadtarchivar Konrad Elmshäuser dazu: "Sie bleiben ja zufrieden, wo sie sind, weil sie wissen: Wir müssen unser eigentliches Ziel gar nicht mehr erreichen, also Bremen, weil das, was wir im Kern wollen, haben wir jetzt: Du kannst noch so weit am Boden liegen - du musst nur versuchen, für dich eine neue Perspektive zu eröffnen."
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