Vor 15 Jahren Katrina, heute Corona

New Orleans kämpft weiter

10:14 Minuten
Die Bewohner/innen von New Orleans bereiten sich auf Hurrikan Laura vor. Sandsäcke werden gefüllt und verteilt. New Orleans, Lousiana, 25. August 2020.
Neben Corona droht jetzt auch noch ein Wirbelsturm. Die Menschen in New Orleans bereiten sich auf den Hurrikan Laura vor, der am Mittwochabend die Küste erreichen soll. © Getty / Sean Gardner
Von Franz Michael Rohm |
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Vor 15 Jahren zerstörte Hurrikan Katrina große Teile von New Orleans, Tausende mussten ihre Häuser verlassen, vor allem Afroamerikaner. Seit Monaten kämpft die Stadt nun mit Corona und wieder ist vor allem die schwarze Bevölkerung betroffen.
Alvin Lee Johnson Junior kennen die meisten Menschen in New Orleans nur als "Carnival-Al". Der 81-jährige, afroamerikanische Pianist hat in den 60er-Jahren den Song "Carnival-Time" geschrieben, bis heute ein Klassiker beim weltberühmten Karneval von New Orleans, dem Mardi Gras. Nach Katrina komponierte der Pianist noch einen bekannten Song: Der "Lower 9Ninth Ward Blues" handelt vom Verlust seines Hauses.
Wie viele andere Häuser in der schwarzen Nachbarschaft, musste das Haus des Musikers in den Wochen nach Katrina abgerissen werden. Aber Al Johnson hatte Glück im Unglück und erhielt ein neues Zuhause im Musicians Village, einige Blocks weiter.
Es sind vor allem die Armenviertel von New Orleans, Gegenden, die besonders tief unter dem Meeresspiegel oder an Schifffahrtskanälen liegen, und die deshalb von Hurrikane Katrina am massivsten verwüstet wurden. Bis heute leben dort überwiegend Afroamerikaner, Menschen wie Ruth Creecea.
"In dem Haus hier gegenüber sind drei Menschen gestorben. Mutter, Vater und Tochter. Alle tot. George war in den 70ern, seine Frau auch. Die Tochter war 40. Alle tot. Sie hatten ihm das Bein amputiert, die Frau hatte Alzheimer, und die Tochter war geistig behindert. Sie kamen nicht raus. Sie ertranken."

Dreiviertel der Stadt stand unter Wasser

Schätzungsweise 1800 Menschen verloren am 29. August 2005 und in den folgenden Tagen ihr Leben. Dreiviertel von New Orleans stand wochenlang unter Wasser, mehr als ein Drittel aller Häuser wurde zerstört.
Einige republikanische Abgeordnete stellten danach im Repräsentantenhaus in Washington die Frage, ob New Orleans überhaupt wieder aufgebaut werden sollte. Die Frage, die sich dagegen die Menschen aus New Orleans nach der Katastrophe stellten, war: Wie konnte das geschehen? Warum brachen die Dämme der großen innerstädtischen Kanäle?


Jed Horne war 2005 Lokalredakteur der Tageszeitung Times Picayune in New Orleans. In seinem Buch "Breeches of Faith" beschrieb der Journalist die Folgen von Katrina. Darin dokumentiert er minutiös das Versagen der Behörden, insbesondere des für die Sicherheit der Deichanlagen zuständigen staatlichen Army Corps of Engineers.

"Anfangs leugnete das Army Corps of Engineers jede Verantwortung. Sie sagten, die Stadt wurde überflutet, weil die Wassermassen so hoch waren. Aber das stimmte nicht. Dann gab es umfangreiche Untersuchungen der Amerikanischen Gesellschaft der Bauingenieure. Neun Monate später musste das Army Corps zugeben, dass die Konstruktionen des Deichsystems unzulänglich gewesen waren. Im Mai 2006 übernahm es öffentlich die Verantwortung für die Dammbrüche, bat um Verzeihung und gelobte Besserung."

Es wurde in Deiche, Schleusen und Wehre investiert

Seit der Katastrophe von Hurricane Katrina hat sich viel getan. Mehr als 15 Milliarden Dollar wurden in das rund 160 Kilometer lange Flutschutzsystem aus Deichen, Schleusen, Wehren und Pumpstationen investiert und zahlreiche Wohnungsbauprogramme umgesetzt. Eine der heute noch tätigen Organisationen ist Common Ground Relief.

"Common Ground ist eine Graswurzel-Organisation, ohne staatliche Unterstützung. Zehntausende haben seither bei unseren Projekten geholfen. Als wir Mitte 2006 im Lower Ninth Ward begannen, gab es hier kein Trinkwasser, selten Strom, keine Straßenbeleuchtung und kaum Polizei. Unsere Freiwilligen kochten 11.000 Mahlzeiten die Woche auf Propangaskochern, und säuberten Häuser."
Trotz des Engagements – Hurrikane Katrina hat New Orleans stark verändert. Von ehemals rund 480.000 ist die Einwohnerzahl auf heute rund 390.000 gesunken. Viele der schwarzen Bewohner sind nach ihrer Evakuierung nicht zurückgekehrt. Manche fürchteten sich vor einer neuen Flut, einige haben in anderen Städten bessere Bedingungen gefunden. Geblieben sind viele weiße Jugendliche, die beim Wiederaufbau geholfen haben.

Die Stadt, die als erste Großstadt der USA einen schwarzen Bürgermeister hatte, ist deutlich weißer geworden. Lag der Anteil der schwarzen Bevölkerung vor Katrina bei über 65 Prozent, sind es heute rund 55 Prozent. Vor drei Jahren erst erreichte die Stadt wieder die Wirtschaftskraft der Vor-Katrina-Zeit. Rund zehn Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr nach New Orleans. Die Besucher machen Party, vor allem im historischen und nicht von Katrina überfluteten Viertel French Quarter.
Hunderte Menschen drängen sich in einer kleinen Straße in New Orleans entlang.
Am 25. Februar wurde noch der Faschingsumzug Mardi Gras in New Orleans gefeiert, vier Wochen später waren zahlreiche Menschen mit Corona infiziert.© imago images/ZUMA Wire/Dan Anderson

Bürgermeisterin vertraute den Gesundheitsbehörden

Größtes Spektakel in New Orleans ist der weltberühmte Mardi Gras. Höhepunkt ist der Fette Dienstag, zu dem rund eine Million Menschen kommen. Dieses Jahr fiel Mardi Gras auf den 16. Februar. Zu diesem Zeitpunkt zögerte die Weltgesundheitsorganisation noch, den Ausbruch des Virus COVID-19 zur Pandemie zu erklären.
La Toya Cantrell, die schwarze Bürgermeisterin von New Orleans, vertraute den Gesundheitsbehörden des weißen US-Präsidenten Donald Trump und erlaubte die Umzüge. Vier Wochen später wurde die Stadt am Mississippi zum Hotspot von Coronainfektionen in den USA, erzählt Journalist Jed Horne, der noch immer in der Stadt lebt.
"Die unterbezahlten Arbeiter, viele davon Afroamerikaner, konnten beim Lockdown kein Homeoffice machen. Sie arbeiten oft im Supermarkt, in Krankenhäusern, bei der Müllabfuhr, auch bei der Polizei. Nach der Arbeit mit vielen Sozialkontakten kehren sie in kleine Wohnungen zurück, in denen sie mit zahlreichen Familienmitgliedern leben. Viele haben sich infiziert, wie die Zahlen zeigen."

Wieder sind mehr Afroamerikaner betroffen

Am 1. April starb Ellis Marsalis, der bekannteste Musiker der Stadt, an Corona. In der Metropolenregion wurden bis heute mehr als 40.000 Infizierte gezählt und mehr als 1300 Tote. Ähnlich wie bei Katrina sind überproportional mehr Afroamerikaner von der Pandemie betroffen als Weiße. Viermal mehr Afro-Amerikaner als Weiße sterben.


Die Selbsthilfeorganisation Thrive, was so viel wie "Gedeihen" bedeutet, unterstützt in Not geratene Afroamerikaner in New Orleans. Direktor Chuck Morse sieht als Hauptgrund für die massiven Auswirkungen von Corona auf die schwarze Gemeinde:
"Wir wissen, dieses Virus befällt überproportional viele arme Menschen, und viele Farbige sind arm. Vor unserem Büro ist ein Beerdigungsinstitut. Seit Corona nehmen die Beerdigungen zu, Tag für Tag. Farbige leiden häufiger an Diabetes, Übergewicht, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungenproblemen. Die hohe Infektionszahl liegt auch an schlechter Ernährung. Wir erleben es hier jeden Tag."
Menschen in New Orleans stehen Ende April an einer Essensausgabe an.
Menschen in New Orleans stehen Ende April an einer Essensausgabe an.© picture alliance/dpa/AP Photo/Gerald Herbert

"Viele wissen nicht, wie sie Unterstützung beantragen können"

Bislang ist Chuck Morse im Gegensatz zu Katrina zufrieden mit der Hilfe der Stadt, des Staates und des Bundes. Dessen Cares Act soll mehr als eine Billion Dollar in den gesamten USA an Arbeiter, Angestellte und Unternehmen verteilen. Aber es reicht nicht:
"Wir müssen Hilfe für unsere Gemeinden selbst organisieren, denn wir kennen sie am besten. Wir führen kostenlose Corona-Tests durch, wir verteilen Masken und Desinfektionsmittel und wir versorgen Alte und Kranke mit Essen. Viele wissen gar nicht, wie sie Unterstützung beantragen können. Auch darin besteht die Hilfe unserer Organisation."

Die Lage in der Stadt am Mississippi ist fatal. Nachdem man die Folgen von Katrina halbwegs überwunden hat, folgt mit Corona der nächste Schlag. Die Bewohner hoffen jetzt vor allem auf eines: einen Impfstoff gegen das todbringende Virus.
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