Vor 100 Jahren: Kaiser Franz Joseph I. gestorben

Tod eines Monarchen und seines Vielvölkerstaats

Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, Gemälde von E. Laszor, 1899
Ein Künstler des Durchwurschtelns: Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn © dpa/picture alliance/MTI
Von Bernd Ulrich · 21.11.2016
Heute vor 100 Jahren starb Franz Joseph I., Kaiser von Österrreich-Ungarn - und mit ihm auch sein riesiger Vielvölkerstaat. Das Ende des Ersten Weltkriegs, den der greise Monarch mitverschuldet hatte, erlebte er nicht mehr.
"Vor- und Zuname: S. M. Kaiser Franz Joseph I. Berufszweig und Berufsstellung: Kaiser von Österreich, König von Ungarn etcetera. Glaubensbekenntnis: römisch-katholisch. Stand: Verwitwet. Unmittelbare Todesursache: Herzschwäche nach Lungen- und Rippenfellentzündung. Gestorben: 21. 11, 1916 um 9:05 Uhr abends."
So lautete der offizielle Totenschein eines Kaisers, ausgestellt noch am Abend seines Todes im 87. Lebensjahr. Neun Tage später, am 30. November 1916, zog der Trauerzug durch die Wiener Innenstadt. Der spätere Bundeskanzler der österreichischen Republik, Bruno Kreisky, hatte als Fünfjähriger Knabe den "Trauerkondukt" erlebt, wie man in Österreich einen Trauerzug nennt:
"Als der Trauerkondukt endlich herankam, schien es mir, als fülle sich die ganze Welt mit Schwarz. Es war eine einzige Demonstration der Schwärze und in den Gesichtern der Menschen waren Schmerz und Sorge zu lesen; was mochte jetzt werden?"
Der Schriftsteller Joseph Roth, der sich in seinen Romanen intensiv mit dem Kaiser auseinandersetzen sollte, stand als Soldat ebenfalls am Rand des Zuges. Für die "Wiener Sonntags- und Montagszeitung" schilderte er 1935 seine Gefühle: "Wem weinte ich damals nach? — Gewiß dem Kaiser Franz Joseph: aber auch meiner eigenen Kindheit, meiner eigenen Jugend. Und obwohl ich damals noch so jung war, schien es mir, daß es beinahe unschicklich sei, später zu sterben als der Kaiser, dessen Glanz meine Jugend erleuchtet und dessen Leid meine Jugend verdüstert hatten. Damals fühlte ich, daß ich ein Österreicher bin."

Der gütige, besorgte Herrscher - ein Bild mit Kratzern

Das Leben von Franz Joseph war nicht arm an persönlicher Tragik. Sein Bruder Maximilian etwa, kurzzeitig Kaiser von Mexiko, wurde 1867 von Revolutionären erschossen. Die unglückliche Ehe mit Kaiserin Elisabeth, der Selbstmord ihres Sohnes Rudolf Anfang 1889 und schließlich die Ermordung Elisabeths durch einen italienischen Anarchisten neuneinhalb Jahre später – es waren solche Ereignisse, die den Nimbus des einsamen aber gütigen, um seine Untertanen besorgten Herrschers prägten. Hörbar auch in einer Tonaufnahme, auf der Franz Joseph Ende 1915 mit sanfter Stimme den Militär-, Witwen- und Waisenfonds lobt:
"Ich begleite das Wirken des österreichischen Militär-, Witwen- und Waisenfonds mit meinen herzlichsten Wünschen. Möge seinen edlen Bestrebungen zum Wohle der Hinterbliebenen meiner braven Krieger voller Erfolg beschieden werden."
Kurz nach der bürgerlich-demokratischen Revolutionsbewegung des Jahres 1848, die auch Österreich ergriffen hatte, bestieg der erst 18-jährige Franz Joseph aus dem Hause Habsburg-Lothringen den Kaiserthron. Zugleich war er König von Böhmen und Apostolischer König von Ungarn – und damit Herrscher über ein riesiges, zentraleuropäisches Reich, in seiner Größe und komplexen Vielfalt kaum regierbar.
Dennoch folgte eine unvorstellbar lang anhaltende Regierungszeit von 68 Jahren.

"Kunst des Fort- und Durchwurstelns"

Möglich war sie letztlich nur, weil dem frühen autokratischen Führungsstil des jungen Franz Joseph – dem verhassten "Säbelregiment" – nach den ersten verlorenen Kriegen ab den späten 1850er-Jahren eine Politik des Ausgleichs und der Zugeständnisse folgte. Kritiker nannten diesen Stil bald abfällig die "Kunst des Fort- und Durchwurstelns", ohne Visionen und schlecht ergänzt durch eine für jede Einflüsterung offene und schließlich in die Isolation führende Außenpolitik.
Und doch war mit dem Hinscheiden des greisen Monarchen gleichsam das letzte Band gerissen, das den Vielvölkerstaat zusammenhielt. In seinem Roman "Radetzkymarsch" lässt Joseph Roth den alten Alchimisten und Freund der Familie Trotha, Graf Wojciech Chojnicki, die bittere Wahrheit aussprechen:
"Die Völker gehn nicht mehr in die Kirchen. Sie gehn in nationale Vereine. Keine andere Majestät in Europa aber ist so abhängig von der Gnade Gottes. Der deutsche Kaiser regiert, wenn Gott ihn verläßt, immer noch; eventuell von der Gnade der Nation. Der Kaiser von Österreich-Ungarn darf nicht von Gott verlassen werden. Nun aber hat ihn Gott verlassen!"
Gemünzt waren diese Worte auf den Beginn des Weltkrieges – an dessen Auslösung der alte Kaiser großen Anteil hatte. Und vielleicht war es das größte Glück seines Lebens, dass er dessen Ende nicht mehr erleben musste.
Mehr zum Thema