"Er hatte den Mut, er selbst zu sein"
Die Ostberliner Autorin Heike Schneider hat Carl Corino, Egon Günther, Günter Kunert und andere Wegbegleiter Walter Jankas interviewt, um das Leben des Verlegers begreifen zu können. Janka wurde von den Nazis verfolgt und später ein Opfer der DDR-Justiz.
Klaus Pokatzky: Geboren wurde Walter Janka heute vor 100 Jahren, am 29. April 1914 in Chemnitz. Gestorben ist er am 17. März 1994 in Kleinmachnow bei Berlin. Die Nazis sperrten den jungen Kommunisten 1933 ins Konzentrationslager und schoben ihn 1935 in die Tschechoslowakei ab. Es folgten Jahre des Exils als Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg, als Verleger in Mexiko. Es folgte nach dem Krieg die Rückkehr in das Ostdeutschland der SED. Auch da war er Verleger, nämlich des Aufbau Verlages, bis er 1957 wieder nach Bautzen weggesperrt wurde, da, wo er schon unter den Nazis gesessen hatte. Meine Kollegin Heike Schneider hat zum 100. von Walter Janka ein Buch herausgegeben, willkommen im Studio!
Heike Schneider: Danke schön!
Pokatzky: Heike Schneider, neben vielen Beiträgen von alten Weggenossen von Walter Janka ist in dem Buch ein biografischer Essay von Ihnen zu lesen, und da schildern Sie, wie Sie ihn Anfang 1990 zum ersten Mal in seinem Häuschen in Kleinmachnow besucht haben, im bittersten Winter. Und da gibt es so eine Anekdote, die wahrscheinlich mehr über ihn aussagt als lange Artikel. Wie war die?
Schneider: Dann komme ich da hin und fast parallel kommt eine Reporterin vom Berliner Rundfunk mit. Und die kommt im Dienstwagen, ich komme im Trabbi. Und da sagt der Walter Janka zu der: Na, Reporterkollegin, bitte holen Sie doch Ihren Fahrer mit rein, ist ja jämmerlich kalt! Und da hat die ganz arrogant gesagt, nö, nö, ist ja bloß der Fahrer! Und da ist der fast aus dem Anzug gehüpft und hat gesagt: Bei den Jankas gibt es keinen Unterschied zwischen Akademikern und Arbeitern, holen Sie den sofort rein! Das hat mit imponiert!
Pokatzky: Das war Walter Janka.
Schneider: Das war Walter Janka.
Stolz, gepaart mit einer unheimlichen Courage
Pokatzky: Ein Mann, der unglaublich in seinem Leben auch gelitten hat. Es begann ja, er selber ist von den Nazis ins Konzentrationslager gesperrt worden, ich habe es schon gesagt, sein Bruder, der damals der jüngste Reichstagsabgeordnete der Kommunistischen Partei war, ist von den Nazis ermordet worden, da war er gerade 19. Wie ist dieser Mann mit all den weiteren Schicksalsschlägen, die es dann später gegeben hat - also Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg, Exil, dann wieder eingebuchtet in der DDR, in dasselbe Gefängnis, wo er bei den Nazis schon saß -, was hat ihm diese Charakterstärke gegeben, damit fertig zu werden?
Schneider: Das ist wirklich ein Phänomen und dem habe ich auch versucht auf die Spur zu kommen. Also, dieser Trotz, der ihn auszeichnet, und dieser Stolz, gepaart mit einer unheimlichen Courage, der war ihm, glaube ich, schon als Kind gegeben. Es gibt da so eine Episode, der rennt durch die Pfützen, als Sechsjähriger in der Grundschule, da kommt der Pauker und verprügelt ihn. Da sagt er: Herr Lehrer, das war nicht gerecht, ich beschwere mich bei meiner Mutter! Und dann kommt er in eine Reformschule, Humboldtschule, und lernt selbstständig denken. Und da ist er immer sehr ehrgeizig, will immer auch ein bisschen brillieren, und auch bisschen führen will er schon und macht da schon kleine Bücher über Ausflüge nach Wien und ins Erzgebirge. Und da hat er eigentlich schon die ersten verlegerischen Aktivitäten, er macht kleine Bücher und so.
Pokatzky: Als Kind.
Schneider: Als Kind, ja. Und aber Sie fragen ja nach den großen Zäsuren, wie er das ausgehalten hat! Ich glaube, entweder man hat ein Selbstbewusstsein oder man hat es nicht, entweder man hat Courage oder man hat es nicht. Er hatte den Mut, er selbst zu sein, das trifft von A bis Z auf Walter Janka zu, und zwar überall, gegenüber Ulbricht, gegenüber Hitler, gegenüber Mielke. Tja.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Heike Schneider. Walter Janka, der heute vor 100 Jahren geboren wurde, ist unser Thema. Sie haben Erich Mielke angesprochen, Sie haben gesagt, er wollte führen. Er ließ sich aber nicht gerne führen, das war schon so, als er der jüngste Major im spanischen Bürgerkrieg bei den republikanischen Garden war ...
Schneider: Das war bei ihm angelegt, ja.
Der große Thomas Mann wollte einen Nerzmantel
Pokatzky: Also, er hat sich da nichts sagen lassen, er hat das gemacht, was er wollte. Da hat er Mielke auch schon kennengelernt. Dann nach dem Krieg, in der DDR, hat er ihn wieder erlebt. Was hat Walter Janka damals, als Leiter des Aufbau Verlages, für die Literatur geleistet?
Schneider: Also erst mal die Bücher gemacht, die unter Hitler nicht kommen konnten.
Pokatzky: Nennen Sie mal Namen!
Schneider: Also Feuchtwanger, Lion. Heinrich und Thomas Mann. Er war übrigens ... Bei dem Thomas-Mann-Verleger gibt es ja so einen Streit mit dem Bermann, Fischer Verlag, der gesagt hat, wir haben die Rechte. Und das hat er so toll gemanagt, psychologisch und ökonomisch, da ist er also hingeflogen und hat zu dem Thomas Mann gesagt, wir machen eine Gesamtausgabe, in Leder gebunden, und machen ganz tolles Honorarangebot, und hat das auch geschafft. Da war der Bermann sehr sauer.
Pokatzky: Und er hat den "Mephisto" des Thomas-Mann-Sohnes Klaus Mann, den Roman, der in Deutschland ja verboten war, bis dann endlich durch entsprechende Urteile, der dann ... Ich glaube, das war 70er-Jahre erst, dass er dann in Westdeutschland auch gedruckt werden konnte, den hat er auf eine ganz interessante Weise nach Deutschland geholt. Nämlich der große Thomas Mann, der wollte einen Nerzmantel haben, und er hat dann in die Schweiz zu Thomas Mann eine ganz teure Pelzrobe mitten im Sommer geschmuggelt! Das wollte Thomas Mann als Honorar haben und dafür hat er dann den "Mephisto" mitbekommen.
Schneider: Genau, das hat aber die Erika lanciert. Also, Thomas Mann hätte nie darum gebeten, er war zu vornehm ...
Pokatzky: Die Tochter.
Schneider: Die hat gesagt, der würde sich freuen, wenn ihr das Honorar soundso umsetzen würdet, und da hat er wirklich Kopfstände gemacht, in Ostdeutschland, so, wie, Nerz jetzt? Und dann noch den passenden Maßschneider! Und ja, dann hat die Erika gesagt, das ist der schönste Mantel aller Zeiten! Und er war auch, man weiß es ja, er war auch gern geschmeichelt, der große Zauberer. Und er wusste gut zu agieren, psychologisch!
"Er war auch ein großer Charmeur"
Pokatzky: Und der Walter Janka, der ließ sich auch schmeicheln! Janka und die Frauen, Heike Schneider!
Schneider: Das ist auch ein interessantes Kapitel, was vielleicht fast sekundär ist, aber doch eben zum Leben gehört, er war auch ein großer Charmeur. Und es gibt ja ein Foto, ich weiß nicht, ob Sie das im Buch gesehen haben ...
Pokatzky: Er sah brillant aus.
Schneider: Als 23-Jähriger, jüngster Major der Republikaner, also, das könnte ja eine Hollywood-Büste sein! Also, ich hätte mich da auch glatt verknallen können, wenn ich so alt gewesen wäre!
Pokatzky: Nach ganz vielen Frauengeschichten hat er dann Charlotte geheiratet, die ihm auch den Rücken gestärkt hat in diesen schweren Haftjahren. Verhaftung 1956, 1957 der Prozess, wie gesagt, vier Angeklagte insgesamt, die im Aufbau Verlag oder in der Wochenzeitung "Sonntag", die mit dem Aufbau Verlag verknüpft war, gearbeitet haben, und ein Journalist des Rundfunks. Warum gerieten er und seine drei Mitangeklagten überhaupt ins Visier der SED und der Stasi?
Schneider: Das hat er lange auch nicht begriffen und hat selbst noch in Bautzen gehofft, dass es ein Wahnsinnsirrtum sei. Und zwar muss man ja zeithistorisch sehen: Es gab den 20. Parteitag der KPdSU, wo Chruschtschow mit Stalin und seinen Verbrechen abrechnete. Dann gab es 1956 im Herbst diesen Ungarn-Aufstand. Und Janka war schon immer einer, der das debattiert hat: Warum gibt es Schwierigkeiten mit Tito bei der SED, das ist nicht in Ordnung, die machen ganz gute Arbeiterräte, warum reden wir nicht Klartext, was in Ungarn läuft? Er fand nämlich auch nicht schön, dass da die Panzer einrollten. Und machte da sozusagen, gab dem Aufbau Verlag die Kantine, unten den Aufenthaltsraum, als Diskussionsforum und da trafen sich also Verlagsmitarbeiter - und auch unter anderem der Kulturminister Becher - und debattierten da ziemlich offen und kritisch. Und das hat man ihm zum Vorwurf gemacht, weil der überhaupt immer die große Lippe hatte. Er hat ja auch gegen Zensur sich geäußert und so, und er war einigen dann nicht ganz geheuer als Genosse. Das Verrückte ist ja, dass der Ulbricht behauptet hat, in der DDR gibt es keinen Stalinismus, und machte solche Prozesse. Und interessant ist, Klaus Pokatzky, dass er bei den Intellektuellen anfing. Und so waren das auch meistens Genossen. Und dass er aber selbst so philosophische Köpfe wie Bloch und Hans Mayer, die wirklich mit dem Sozialismus eigentlich sympathisieren, nachweislich, die auch vergrault hat. Und er wollte beweisen, also, wir lassen hier uns nicht sagen, wie die Partei zu regieren hätte, und ich zeige euch mal, wer hier die Macht hat. Meiner Meinung nach spielte da auch ein Moment der Eifersucht eine Rolle, weil er dachte, ich kann tausend Reden halten, die sind nicht so gut wie ein gutes Buch vom Aufbau Verlag!
Es gab noch Eliten aus der Nazizeit
Pokatzky: Der große Unterschied zu Ernst Bloch und Hans Mayer ist, die beiden sind in den Westen dann gegangen.
Schneider: Genau.
Pokatzky: Nachdem Walter Janka dann vorzeitig - ein Jahr wurde ihm die Haft entlassen - 1960, kurz vor Weihnachten entlassen wurde, kam für ihn nie infrage, in den Westen zu gehen. Damals hätte er sich noch locker - das stand die Mauer noch nicht - in den Westen absetzen können, warum ist er in dieser DDR geblieben?
Schneider: Weil für Walter Janka ganz garantiert die damalige Bundesrepublik für ihn keine Alternative war. Es gab ja noch alte Eliten aus der Nazizeit, Stichwort Globke, und da kann man ja noch viel erzählen, Außenministerium war voller Diplomaten von damals und so. Das kam für ihn nicht infrage, obwohl er glänzende Arbeitsangebote von Verlagen hatte, Ullstein und so weiter. Er hätte dort können auch viel besser verdienen und so weiter. Es war für ihn keine Alternative. Und dann hat er gesagt, wenn ich jetzt gehe, dann sagt der Ulbricht, na seht ihr es mal, ist doch ein Republikverräter, also, auch eine Trotzportion war dabei!
Pokatzky: Wann wird die erste Straße nach Walter Janka benannt, wann die erste Schule, Heike Schneider?
Schneider: Tja, ich werde da heute mal den Bürgermeister anfragen! Er ist ein Sozialdemokrat, habe ich mir sagen lassen, der müsste eigentlich einen Sinn dafür haben!
Pokatzky: Und das werden Sie heute Abend bei der Buchvorstellung im Bürgersaal im Rathaus in Kleinmachnow tun! Heike Schneider, herzlichen Dank! Das Buch "Zu Kreuze kriechen kann ich nicht. Walter Janka, Erinnerungen und Lebenszeugnisse" ist mit 176 Seiten zu 19,99 Euro erschienen im Verlag Berlin-Brandenburg, vbb.
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