Von Zeiten und verdrehten Uhren

    Von Uwe Springfeld · 09.03.2005
    Zeit. Man kann sie verlieren, vertreiben, verschwenden. Weil die Zeit verrinnt, vergeht, verfliegt. Sie bringt eine chronologische Ordnung in die Ereignisse der Welt. Sie schafft ein Vorher vom Nachher, ein Gleichzeitig. Deshalb haben Menschen begonnen, die Zeit zu messen. Doch als die Phsysik die Zeit zu betrachten begann, wusste niemand mehr, was Zeit eigentlich ist.
    Es war einmal eine Zeit, da meinte man: Diese eine Zeit gelte für alle. Weil jedermann gleichermaßen sah, wie es Tag wurde und dann wieder Nacht. Wie Sand durch die Sanduhr rann, wie das Pendel schwang, wie der Zeiger einer Uhr vorrückte. Es gab auch Zeiten, da wurde die Zeit selbst reformiert. Wintertage schob man ins Frühjahr. Frühjahrsstunden in den Herbst. Doch die Zeit selbst, den Sonnenauf- und den Sonnenuntergang, das Abreißen der Kalenderblätter und das Ticken der Uhren, diese Zeit stellte niemand in Frage. Denn diese Zeit galt für alle Menschen. Sie alterten alle gleichermaßen, Stunde um Stunde, Sekunde um Sekunde. Mit jedem Schlag der Uhr, mit jedem Schritt des Sekundenzeigers. Unaufhaltsam.

    Dann kam ein junger Mann. Ein kecker Angestellter. Ungekämmte Haare, struppiger Schnauzbart. Den Kopf voller Flausen und das Papier voller Formeln.

    Dieser Mann sagte: Es gebe keine einheitliche Zeit für alle Menschen, nicht nur einen Zeitstrom des universellen Werden und Vergehens. Jeder Mensch bewege sich einzeln und frei durch seine persönliche Zeit. Ich, du, wir alle. Je nach Geschwindigkeit, mit der man untereinander verkehre. Und weil jeder Mensch nach seiner eigenen Zeit lebe, könne für das Universum keine einheitliche Weltuhr den Takt angeben. Alle Uhren seien untereinander verdreht, verstellt, voneinander vor- und nachgehend. Denn dies sei der Lauf der Welt. Im Prinzip könne niemand für den anderen sagen, wie spät es sei.

    " Wir haben zu berücksichtigen, dass alle unsere Urteile, in welchen die Zeit eine Rolle spielt, immer Urteile über gleichzeitige Ereignisse sind. Wenn ich zum Beispiel sage: "Jener Zug kommt um 7 Uhr an." So heißt dies etwa: "Das Zeigen des kleinen Zeigers auf sieben und das Ankommen des Zuges sind gleichzeitige Ereignisse." Es könnte scheinen, dass alle die Definition der Zeit betreffenden Schwierigkeiten dadurch überwunden werden könnten, wenn ich an Stelle von "Zeit" die "Stellung des kleinen Zeigers meiner Uhr" setze. Eine solche Definition genügt in der Tat, wenn es sich darum handelt, eine Zeit zu definieren ausschließlich für den Ort, an welchem eben sich die Uhr befindet. Die Definition genügt nicht mehr, sobald es sich darum handelt, an verschiedenen Orten stattfindende Ereignisse miteinander zu verknüpfen, oder - was auf das selbe hinausläuft - Ereignisse zeitlich zu werten, welche in von der Uhr entfernten Orten stattfinden. - Albert Einstein.

    " Da gibt es dieses berühmte Augustinus-Zitat, der einmal gesagt hat: wenn mich niemand fragt danach, was die Zeit ist, dann weiß ich es. Fragt mich jemand danach, weiß ich es nicht. Also muss ich es erklären, weiß ich es nicht. Das heißt: Man hat ein Gefühl, was Zeit ist, aber sozusagen zu definieren, was Zeit ist, das schafft niemand."

    Zeit. Man kann sie verlieren, vertreiben, verschwenden. Weil die Zeit verrinnt, vergeht, verfliegt. Man meint: Sie kehrt nie, nie wieder. Denn mit ihrem Verlauf bringt sie eine chronologische Ordnung in die Dinge und Ereignisse der Welt. Weil sie Sie unterscheidet ein Vorher vom Nachher, schafft ein Gleichzeitig. Deshalb haben Menschen begonnen, die Zeit zu messen.

    "Eine Art den Zeitfluss zu beschreiben ist: Die Vergangenheit ist unveränderlich und die Zukunft offen. Handlungen können nur die Zukunft und nicht die Vergangenheit beeinflussen. Ich möchte wissen, was die theoretische Physik zu solchen Vorstellung sagt.

    Auch in der Physik ordnet die Zeit alle Dinge und Ereignisse. Weiß man beispielsweise, wann sich der Planet Merkur von wo aus mit welcher Geschwindigkeit bewegt, kann man dessen Bahn durch den Nachthimmel ermitteln. Dessen Potential und Energie, und sogar die Kraft, die den Merkur auf seiner Bahn hält. Die Anziehungskraft der Sonne.

    Doch die Zeit der Physik unterscheidet sich von der Zeit der Menschen. Während die Zeit der Menschen aus der Vergangenheit kommend gleichmäßig vorwärts Richtung Zukunft schreitet, kann die Zeit der Physik ihre Richtung umdrehen. Sie kann aus der Zukunft kommend in die Vergangenheit zurückkehren, sagt Professor Anton Zeilinger, Physiker an der Technischen Universität in Wien.

    "Die fundamentalen Gesetze sowohl der klassischen Physik als auch der Quantenphysik sind zeitsymmetrisch. Das heißt: Sie machen keinen Unterschied, ob ein Vorgang nach vor oder nach zurück abläuft - was für einfache Vorgänge durchaus verständlich ist."

    Man kennt exakt das Jahr, in dem sich die Zeit der Physik von der Zeit der Menschen schied. 1665, als es noch keine Technik gab, bei der es auf Geschwindigkeit ankam und sich in der englischen Sprache gerade erst der Begriff "Knoten" als Maßeinheit für die Geschwindigkeit einbürgerte. In diesem Jahr kreierte Isaac Newton eine Mathematik, die den Lauf der Welt veränderte. Weil diese Mathematik sagte: Die Bewegung, die Geschwindigkeit, also die zurückgelegte Entfernung pro Stunde oder Sekunde, sei der natürliche Zustand von Körpern. Und: Die Zeit kann ihre Richtung umkehren.

    Nur mit dieser umkehrbaren Zeit sind Newtons Gleichungen exakt und nahezu universell einsetzbar. Mit ihnen kann man beispielsweise Flugbahnen von Satelliten berechnen, Kräfteverhältnisse in Automatikgetrieben und Standfestigkeiten von Wolkenkratzern. Doch es gibt Fälle, in denen Newtons Gleichungen versagen.

    "Offensichtlich leben wir entlang einer Zeitachse, die ganz gerade nach oben führt. Am Ausgangspunkt unten ist Gestern, in der Mitte ist Heute und oben auf der Zeitachse ist Morgen. Das ist die Zeitachse der Welt, der entlang jeder von uns lebt."

    Der Alltag rhythmisiert die Zeit der Menschen, teilt sie ein. In Jahre, Tage, Minuten. Geburts- und Hochzeitstagetage, Samstag-Sonntage, warten auf die U-Bahn. Man wacht auf, schaut aus dem Fenster und erkennt am Tageslicht die Uhrzeit. Später sieht man direkt auf die Uhr und weiß, man ist schon wieder zu früh, zu spät zur Verabredung, zum Termin. Der Kalender sagt, 12. Kalenderwoche, 58. Tag des Jahres.

    Auch die Zeit der Physik folgt ihrem Takt. Gemessen in Schwingungen einer Lichtwelle, die aus einem Cäsium-Atom kommt. Wenn diese Welle etwa neun Milliarden mal hin und her geschwungen ist, sagt die Definition, ist exakt eine Sekunde vergangen. In diesem Rhythmus gleicht die Zeit der Physik der Zeit der Menschen. Der Takt ist gleich.

    Man kann auf den Tag genau sagen, wann die Physik die Zeit aus dem Rhythmus brachte. Freitag, den 30. Juni 1905. An diesem Tag lag bei der renommierten Zeitschrift "Annalen der Physik" ein großer, brauner Umschlag im Briefkasten. Darin dreißig Seiten eines Manuskripts für die Herbstausgabe, das sich mit dem Taktschlag der Zeit befasste. Der Titel: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. Absender: Ein technischer Experte der dritten Klasse des Schweizer Patentamtes, Bern. Sein Name: Albert Einstein.

    "An zwei voneinander weit entfernten Stellen hat ein Blitz eingeschlagen. Was meinen wir, wenn wir sagen: Die Einschläge seien gleichzeitig erfolgt? Nimmt ein Beobachter in der Mitte zwischen beiden Einschlagstellen beide Blitze gleichzeitig wahr, wird er sagen: sie sind gleichzeitig eingeschlagen. Sitzt er jedoch im Zug, der in diesem Augenblick genau über den Mittelpunkt dem einen Blitz entgegen fährt, erreicht ihn das Licht dieses Blitzes zuerst und er wird sagen: dieser Blitzschlag habe früher stattgefunden als der zweite. - Albert Einstein."

    In dieser Welt ohne Gleichzeitigkeit und ohne jeden festen Bezugspunkt sollte einzig die Lichtgeschwindigkeit unveränderlich, konstant, und beständig gleich bleibend sein. Unabhängig davon, ob man sich vom Licht entfernt oder sich darauf zu bewegt. Die Messgeräte sollten im Vakuum immer 300.000 Meter in der Sekunde anzeigen. Ob sich ein Fahrgast vorwärts durch den Zug laufend auf die Lichter einer Stadt zubewegt, oder ob der Lokführer ruhig auf dem Fahrstand sitzt. Oder ob jemand am Bahndamm sitzend den Zug mit Fahrgast und Lokführer der Stadt entgegen flitzen sieht oder ob Fahrgäste eines entgegenkommenden Zuges von der Stadt wegfahren. Für sie alle würden Messgeräte dieselbe Geschwindigkeit des Lichtes anzeigen.

    "Licht ist sonderbar. Es ist egal, ob du dich einem Lichtstrahl entgegen bewegst oder von ihm weg. Das Licht hat immer exakt dieselbe Geschwindigkeit. Wie das sein kann? Einstein sagte: wenn sich die Lichtgeschwindigkeit nicht ändert, muss sich etwas anderes ändern. Und dieses andere ist die Zeit. Die Zeit ändert sich anstelle der Lichtgeschwindigkeit. Das bedeutet exakt dasselbe."

    Wenn sich das Licht unabhängig von der Geschwindigkeit eines Beobachters immer gleich schnell bewegt, muss sich etwas anderes verändern, sagt Professor Ronald Mallett, Physiker an der University of Connecticut, Storrs. Was sich ändert, ist der Taktschlag der Zeit, die Sekunde, mit der man die Geschwindigkeit misst. Je schneller man sich bewegt, desto langsamer wird eine Sekunde.

    Die Welt ist aus dem Rhythmus. Der Universum hat keinen einheitlichen Herzschlag. Alle Uhren laufen untereinander verdreht. Niemand kann für das Universum sagen, was die Stunde geschlagen hat.

    Eine Konsequenz aus seiner Theorie sah Einstein sofort. Sollte es möglich sein, individuell den Takt der Zeit zu ändern, musste man die Zeit selbst steuern, ihren Ablauf technisch beeinflussen können. Mit anderen Worten: Die Zeitmaschine rückte in den Bereich technischer Überlegungen. Auch wenn nur eine Art von Reisen möglich sein sollte. Die Reise ohne Rückkehr, Richtung Zukunft.

    "Wenn wir zum Beispiel einen lebendigen Organismus in eine Schachtel hineinbrächten, so könnte man es erreichen, dass dieser Organismus nach einem beliebig langen Flug wenig geändert wieder an seinen ursprünglichen Ort zurückkehrt, während ganz entsprechende Organismen, welche am ursprünglichen Ort ruhig geblieben sind, bereits längst neuen Generationen Platz gemacht haben. Für den bewegten Organismus war die lange Zeit der Reise nur ein Augenblick, falls die Bewegung annähernd mit Lichtgeschwindigkeit erfolgte. - Albert Einstein."

    Der vierte Oktober 1971 fiel auf einen Montag. Zu Beginn ihrer Arbeitswoche schleppten die Physiker Josef Hafele von der University of New York und Richard Keating vom US Naval Observatory eine sechzig Kilo schwere Atomuhr in ein gewöhnliches Verkehrsflugzeug. Die Route führte von Washington DC nach London und von dort über Frankfurt, Istanbul, Beirut, Teheran, Delhi, Bangkok, Hongkong, Tokio, Honolulu, Los Angeles und Dallas wieder nach Washington. Und vier Tage später in entgegengesetzte Richtung, erzählt Physiker, Professor Richard Gott von der Princeton University.

    "Wir beobachteten: Wenn man eine Atomuhr in ein Verkehrsflugzeug zu einer Reise um die Erde setzt, so dass sich die Geschwindigkeit mit der der Erdrotation überlagert, wird die Uhr bei ihrer Rückkehr 59 Milliardstel Sekunden langsamer nach gehen. Wie von Einstein vorhergesagt."

    Die in östlicher Richtung mit der Erdrotation geflogene Uhr ging 59 Milliardstel Sekunden nach gegenüber einer Schwester-Uhr, die in Washington geblieben war. Die im zweiten Experiment gegen die Erdrotation Richtung Westen geflogene Uhr ging um 273 Milliardstel Sekunden vor. Dass sich einmal die Zeit dehnte, das andere mal jedoch stauchte, war allein der Erdrotation geschuldet, mit der sich auch die scheinbar ruhende Washingtoner Uhr bewegte.

    Nicht nur die Atomuhren tickten anders. Nicht nur die Zeit der Physik änderte in den Flugzeugen ihren Takt. Auch die Zeit der Menschen schlug anders. Die Physiker Hafele und Keating alterten auf dem einen Flug weniger schnell als ihre Mitmenschen, auf dem anderen jedoch schneller. Weil sich auch das Ticken ihrer biologischen Uhren im Körper verlangsamte, sagt Ronald Mallett.

    " Das gilt auch für Menschen. Der Stoffwechsel, der Herzschlag - das sind alles Uhren. Konsequenterweise verlangsamen sich bei großen Geschwindigkeiten auch Stoffwechsel und Herzschlag. Also wird man selbst jünger als die Person, die zurück bleibt. Wenn man eben schnell genug reist."

    Das Zwillingsparadox. Einer wird Astronaut, der andere Techniker im Kontrollzentrum. Der Astronaut fliegt mit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Erst bleibt der Kontakt zum Zwillingsbruder bestehen. Doch dann meldet er sich nicht mehr. Nach und Nach verschwinden alle bekannten Stimmen aus dem Kontrollzentrum. Als er nach zehn Jahren zur Erde wieder zurückkehrt, erfährt er den Grund.

    " Wenn man die Erde in 1000 Jahren besuchen will, setzt man sich in eine Rakete, fliegt mit 99,999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, weil dann wegen der hohen Geschwindigkeit alle Uhren an Bord langsamer laufen. Wenn man zurückkommt, ist die Erde 1000 Jahre älter, man selbst ist aber nur um 10 Jahre gealtert."

    "Da dachte eine Frau ganz schlicht
    Ich reise mal schneller als Licht.
    Es war tageshell,
    sie flog relativ schnell
    sie kehrte wieder, doch später war es nicht."

    Will der Zwilling in seine Ursprungszeit zurück, müsste er schneller als Licht reisen, sagt Richard Gott. In einem Wettrennen zwischen Astronauten und Lichtstrahl steht der Gewinner jedoch von vorn herein fest. Nichts, was einmal langsamer war, kann schneller als das Licht werden. In diesem Wettrennen muss der Astronaut mogeln. Er muss eine Abkürzung nehmen.

    Solche Abkürzungen beschrieb Albert Einstein in mehreren Abhandlungen an die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften vom November 1915, in denen er die spezielle Relativitätstheorie verallgemeinerte. Die Zeit, sagte er, sei nur eine vierte Dimension des Raumes.

    Mit der Idee, die Zeit als zusätzliche Dimension des Raumes zu betrachten, trug Einstein eine damals schon 20 Jahre alte Idee der Science Fiktion-Literatur in die Wissenschaft. Ganz zu Anfang des 1895 erschienenen Debütromans "Die Zeitmaschine" von H.G. Wells erklärt ein Zeitreisender seinen viktorianischen Freunden ebenfalls, die Zeit sei eine vierte Dimension. Man könne sich in ihr ebenso frei bewegen wie im Raum. Doch als er vor ihren Augen ein kleines Modell seiner Zeitmaschine verschwinden lässt, erntet er nur Hohn und Spott.

    " Es gibt keinen Unterschied zwischen der Zeit und jeder anderen der drei Raumdimensionen, außer dass sich unser Bewusstsein sich an ihr entlang bewegt. - Herbert Georges Wells."

    Doch Einstein war der erste, der diese Sichtweise auf wissenschaftliche Füße stellte. Er beschrieb, wie Zeit und Raum von den Massen großer Galaxien und schwarzer Löcher geknetet und verbogen, verzerrt, gestaucht und gedehnt würden, als ob sie aus Gummi seien. Saust die Galaxie allerdings auf einer Kreisbahn durch die Unendlichkeit, sagt Ronals Mallett, entstehen Zeitwirbel.

    " Eine Tasse Kaffee zum Beispiel. Stellen sie sich vor, der Kaffee in der Tasse ist der leere Raum. Nun nehmen sie einen Löffel und stecken ihn in ihren Kaffee. Dann rühren ihren Kaffee um. Der Löffel ist wie ein zirkulierender Lichtstrahl und der leere Raum wie der Kaffee. Zirkulierendes Licht rührt den Raum um wie der drehende Löffel den Kaffee."

    Dieser Wirbel machte den Einstein-Freund und Mathematiker Kurt Gödel schwindelig, als er im Jahr 1949 die Möglichkeiten darin entdeckte, sagt Ronald Mallett.

    "Er sagte ganz deutlich in einem Essay aus einer Festschrift zu Einsteins Geburtstag: In einem rotierenden Modelluniversum kann man Richtungen einschlagen, die Zeitreisen erlauben. Einsteins Kommentar ist interessant. Er kommentierte tatsächlich diesen Essay und stellte fest: Gödel hätte einen interessanten Einblick in die Natur der Zeit gegeben."

    Das größte rotierende Ding, das man sich vorstellen kann, ist das Universum selbst. Gödels Idee war nun: Wechselt ein Astronaut mit geeignetem Raumschiff von einer langsamen Zeitbahn außen auf eine schnellere Zeitbahn innen, kann er sich auf den Raumbahnen selbst überholen. Allerdings gibt es ein technisches Problem zu lösen: Er müsste dabei das gesamte Universum umrunden, also nach heutigen Erkenntnissen etwa 100 Milliarden Lichtjahre zurücklegen. Schwerwiegender jedoch ist ein prinzipieller Einwand gegen diese Art der Zeitmaschine. Letzten astronomischen Erkenntnissen zur Folge dehnt sich das Universum bis in alle Ewigkeiten aus. Es rotiert nicht.

    Deshalb geht Ronals Mallett einen anderen Weg. Er glaubt, dass schon kreiselndes Licht Raum und Zeit verwirbeln kann. In seinem Labor an der University of Connecticut in Storrs experimentiert er mit Ringlasern. In fünf Jahren, so hofft er, kann er die Raumwirbel experimentell nachweisen. Dann wird es mindestens weitere zehn weitere Jahre dauern, bis er kleine Elementarteilchen in die Vergangenheit schicken kann. Wann sich seiner Meinung nach die ersten Menschen auf den Weg zurück machen, will er nicht sagen.

    Das Großvaterparadoxon. Ein Zeitreisender, schwer deprimiert, denkt sich: Am besten wäre er gar nicht geboren worden. Daher beschließt er, die direkte Linie seiner Abstammung zu durchtrennen. Er reist in der Zeit zurück zum Mittwoch, den 10. April 1912, nach Southampton. Dort ergattert er gerade noch ein Ticket für die Titanic, das er seinem noch jugendlichen Großvater schenkt. Mittags um 12.00 Uhr sieht der Zeitreisende dann, wie der Ozeanriese beim Auslaufen fast mit der "New York" kollidiert.

    Der Zeitreisende ist zufrieden. Der Großvater wird mit dem Schiff untergehen, und nie die Großmutter kennenlernen. Der Zeitreisende selbst wird also nie geboren werden. Doch dann erschrickt er. Wenn er selbst nie geboren werden wird, wer hat dann dem Großvater das Ticket für die Titanic spendiert?

    Philosophisch steht ein Zeitreisender immer vor einem einfachen Problem, das man nennen könnte: Hinterher ist man immer schlauer. Also reist man, wie in der Fernsehserie "Seven Days - Das Tor zur Zeit" per Ufo-Technik sieben Tage zurück in die Vergangenheit und korrigiert. Dadurch bekommt der Held der Serie, Frank Parker, Züge eines Schutzengels, der aus dem nirgendwo auftauchend Kriege, Anschläge und Unfälle verhindert.

    Paradoxa wie: Die Zeitmaschine reist vor den Augenblick ihrer Erfindung zurück, oder: Der Zeitreisende trifft auf sich selbst, werden diskret umgangen. In anderen Filmen wie zum Beispiel "Zurück in die Zukunft" verlangt die Vermeidung solcher Paradoxa, dass komplizierte Verhaltensregeln eingehalten werden. Der Protagonist Marty McFly darf nicht mit der Frau flirten, die ihm schöne Auge macht. Sie wird nur dann seine Mutter werden und Marty McFly kann es laut Filmlogik nur dann geben, wenn die Frau sich in McFlys Vater verliebt. Und so besteht das Happy End des Films wiederum darin, dass sich der Zeitreisende eine Vergangenheit geschaffen hat, die ihm ein Leben in der Gegenwart ermöglicht.

    " Falls jemand - tock tock - an ihre Tür klopft und behauptet, sie sei ihre Ur- Ur- Ur- Ur- Urenkelin, die sie besuchen will, schmeißen sie dir Tür nicht zu. Vielleicht gibt es in der Zukunft genug Energie für Zeitmaschinen, sie sie in die Vergangenheit bringen, in der wir heute leben."

    Mit einer Zeitmaschine im Hintergrund wird die Frage "Würde ich vom jetzigen Wissensstand her mein Leben noch einmal genau so leben?" nicht zum Einstieg in die depressive Gedankenwelt langer Winterabende. Sie eröffnet echte Handlungsalternativen. Denn mit dieser Technik steht einem alle Zeit der Welt zur Verfügung. Und damit unendlich viele Versuche, sein Leben einzurichten.

    Dank Zeitreise ist niemand mehr gefangen in seiner Biographie. Das Leben wird zu mehr als einer Folge verpasster Chancen. Zurück in die Vergangenheit gereist, lassen sich Lebensumstände revidieren, gesellschaftliche Rollen neu aushandeln. Reichtum, Ruhm, Ehre scheinen greifbar nahe. Und die Welt erhält das Potenzial, sich in ein Paradies zu verwandeln.

    Obwohl die grundlegenden Zeitparadoxa Probleme der Philosophie und nicht der Physik sind, haben sich Physiker Gedanken darüber gemacht, wie ein Universum ohne solche Widersprüche aussehen muss. Der Vorschlag: Eine besondere Kraft würde den Zeitreisenden davon abhalten, seinen Großvater auf die Titanic zu schicken, sagt der Physiker Professor Michio Kaku von der State University of New York.

    " Wenn man in die Zeit zurückreist, bewahrt einen eine unbekannte Kraft, seine Eltern vor der eigenen Geburt zu töten. Genau so wie einen eine unbekannte Kraft davon abhält, Wände hochzugehen. Gibt es diese unbekannte Kraft, die einen am Boden hält? Ja. Gravitation. Wenn einen die Gravitation davon abhält, Wände hochzugehen, hält einen eine andere Kraft davon ab, Adam und Eva umzubringen."

    Heute sind solche Überlegungen zu Zeitmaschinen, einem in sich konsistenten Universum und einer Kraft, die alle Ereignisse des Universums in ihrer einzigen Form festhalten, noch Spekulation. Für ein Experiment müsste man einen Chrononauten durch die Zeit schicken. Doch wenn er den Lauf der Zeit tatsächlich verändern könnte: Wer sollte das Ergebnis überprüfen? Und wie sollte die Überprüfung geschehen?

    Experiment zur Überprüfung, ob das Universum in sich konsistent ist, ob man also die Vergangenheit ändern kann. Genannt: Das "Springfeld-Experiment". Man schickt ein Elementarteilchen auf eine Kreisbahn in die Vergangenheit. Dort trifft es auf sich selbst und zerstört sich zu einem Zeitpunkt, bevor das Experiment gestartet wurde.

    Sollte man die Vergangenheit tatsächlich ändern können, beobachtet der Experimentator folgendes. Er präpariert die Versuchsanordnung, legt das Elementarteilchen auf seine Startrampe. Doch bevor er auf den Startknopf drücken kann, kommt von irgendwo ein anderes Elementarteilchen an und kollidiert mit seinem, dass beide in tausend Stücke fliegen. Weil er, der Experimentator, in Zukunft den Startknopf drücken wird. Und weil bei diesem Ergebnis das Universum nicht konsistent sein kann.

    " Viele Sachen sind per physikalischem Gesetz verboten. Zum Beispiel: Wenn ich eine Tomate haben möchte, die größer als das Universum ist, kriege ich das nie hin. Egal, wie stark ich es versuche. Das stört natürlich meinen freien Willen. Eine Beschränkung wird man also immer in den Naturgesetzen finden. Wenn man das Universum berechnet, muss das Ergebnis bestimmten Bedingungen gehorchen. Im Kleinen müssen die Gesetze der Physik gelten und im Ganzen muss es in sich konsistent sein."

    Es war einmal eine Zeit, da meinte man: Diese eine Zeit gelte für alle. Weil jedermann gleichermaßen sah, wie es Tag wurde und dann wieder Nacht. Jedermann wusste, was das war: Die Zeit. Doch dann begann man darüber zu sprechen. Sie in die Physik zu betrachten und in Gleichungen zu beschreiben. In diesem Moment, als man sich fragte, was das sei, die Zeit, wusste es plötzlich niemand mehr.

    Zeitreisen
    9.3.2005
    19.30 Uhr