Von Webern und Spinnern
Die Stadt Krefeld am Niederrhein hat 240.000 Einwohner. Hauptwirtschaftszweig ist die Chemieindustrie. Und so verwundert viele Besucher, die zum ersten Mal hierher kommen, der ungewöhnliche Werbespruch, der überall in Krefeld zu finden ist: "Stadt wie Samt und Seide". Er erinnert an die wirtschaftliche Blütezeit im 18. Jahrhundert. Damals hatten einige wenige Krefelder Familien vom Preußischen König das Monopol zur Seidenherstellung bekommen. Die "Seidenbarone" gehörten zur Gemeinde der Mennoniten, die es bis heute gibt.
Rund 50 Gläubige sind es, die sich in der kleinen, hell getünchten Mennoniten-Kirche in der Krefelder Königstraße zum Gottesdienst versammelt haben. Die Pfarrerin, Gabriele Harder-Thieme, steht in schwarzem Talar am Eingang, begrüßt die Gemeindemitglieder. Dann geht sie an den Stuhlreihen entlang, stellt sich hinter den schlichten hölzernen Altar.
"Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht. Mit diesem Wort aus Lukas 21, Vers 28 beginnen wir unseren Gottesdienst. Wir feiern ihn im Namen Gottes. Jesus wurde Mensch in dieser Welt und Gottes Geist hält den Traum wach von einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden blühen. Amen."
In der Kirche hängt kein Kreuz, die Fenster sind nicht bemalt – den einzigen Wandschmuck bilden die goldenen Wandleuchter, die an stilisierte Bibeln erinnern. Es ist die Reduzierung auf das Wesentliche, die typisch für die evangelische Freikirche der Mennoniten ist. Sie geht zurück auf die Täuferbewegung, die 1525 in der Schweiz entstand und sich rasch ausbreitete. Die Täufer sahen, ähnlich wie Martin Luther, die Bibel als zentrales Element des christlichen Glaubens, tauften ihre Mitglieder jedoch nur als Erwachsene – daher der Name. Von Anfang an eckten sie mit ihren radikalen Forderungen nach einer Trennung von Staat und Kirche an, wurden verfolgt und hingerichtet. Einer ihrer Anhänger war der vormals katholische Priester Menno Simons aus Friesland. Mit seiner Begeisterung für die ursprünglichen Lehren der Bibel und der Ablehnung jeder Form von Gewalt scharte er bald schon eine große Zahl Gleichgesinnter um sich.
"Darum ermahnen wir euch mit Christo Jesu, glaubt an das Evangelium. Lasst ab von Sünden, beweiset Reue über euer vergangenes Leben. Seid untertänig des Herrn Wort und Willen, so werdet ihr Mitgenossen, Bürger, Kinder und Erben des neuen himmlischen Jerusalems sein. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben."
Menno Simons wurde schnell zur Identifikationsfigur für die Täufer in den Niederlanden und im Rheinland. Bald schon bezeichneten sich seine Anhänger als "Mennoniten". Erstmals urkundlich erwähnt wurden sie 1544. Heute bekennen sich in Deutschland rund 5.000 Menschen zu dieser Glaubensgemeinschaft, weltweit sind es mehr als eine Million. Die Gemeinden, die sich ausschließlich aus Spenden und nicht über Kirchensteuern finanzieren, sind durch die Mennonitische Weltkonferenz miteinander verbunden. Es gibt jedoch, wie auch bei anderen Freikirchen, keine Synode und keinen Bischof, erzählt Reingard Hertzler, die sich im Kleinen Konsistorium, einem gewählten Rat der Krefelder Gemeinde, engagiert:
"Mir gefällt, dass jede Gemeinde für sich handelt und ihren eigenen Weg beschreitet. Natürlich gibt es überregionale Verbände, aber letzten Endes kann jedes Mitglied den Weg für seine Gemeinde mit bestimmen. Jeder kann sich zur Wahl stellen, wählen lassen und dann in den Gremien und auch durch einfache Mitarbeit den Weg mitbestimmen. Das finde ich toll."
Bis heute spielt die Auseinandersetzung mit der Bibel auch bei der Krefelder Gemeinde eine zentrale Rolle im Gottesdienst. Jeden Sonntag trägt ein junges Mitglied selbst ausgewählte Texte vor, die sich mit Altem und Neuem Testament beschäftigen.
"Ich lese Worte von Hans-Dieter Hüsch zu Jesaja 40: Es ruft eine Stimme durch die dunklen Zeiten, durch die Wüsten unserer Tage, durch die Trauer unserer Seelen. Es ruft eine Stimme, in unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie ruft: Bereitet Gott den Weg!"
Die 18-jährige Annika Köffler kommt fast jeden Sonntag zum Gottesdienst. Ihre Mutter hatte sie zunächst katholisch erzogen. Über die mennonitische Familie ihres Vaters kam sie jedoch schon als Kind in Kontakt mit der Freikirche. Als Jugendliche besuchte sie mehr als ein Jahr lang den Taufunterricht und lies sich schließlich vor rund einem Jahr taufen – zusammen mit anderen jungen Erwachsenen, denn die Kindstaufe lehnen die Mennoniten bis heute ab.
"Es ist vor allem die Gemeinde und die Gemeinschaft, die das hier ausmacht. Vor allem im Taufunterricht, die Leute, die man kennen lernt, mit denen man jedes Jahr auf Freizeit fährt, meine ganze Seite auch von meinem Vater her mennonitisch ist, was mich dann auch dazu bewogen hat, die Konfession zu wechseln."
Etwa 900 Mitglieder hat die Krefelder Gemeinde heute insgesamt. Ihr Einzugsgebiet umfasst halb Nordrhein-Westfalen: Von Arnsberg im Sauerland bis nach Aachen, von Bonn im Süden bis nach Hagen im Norden. Deshalb verbringt Pfarrer Christoph Wiebe einen nicht unerheblichen Teil seiner Arbeitszeit auf der Autobahn. Schließlich müssen er und seine Kollegin dafür sorgen, die Gemeinschaft zusammen zu halten.
"Mit Telefon, Briefen, Besuchen – also viele Fahrten durchs Land. Seit ein paar Jahren ist auch E-mail ein wichtiges Kontaktmittel. Die Arbeit der zwei Pfarrer besteht zu einem guten Teil eben darin, die Verbindung unter den Gemeindemitgliedern aufrecht zu erhalten und das Gemeindeleben zu organisieren. Aber auch wenn die Gemeinde sehr zerstreut ist: Krefeld mit der Kirche und dem Gemeindehaus ist das Zentrum. Und viele, die verstreut im Land leben, fühlen sich diesem Zentrum und der Gemeinde sehr verbunden."
Und das seit mehr als 400 Jahren.
Es war im Jahr 1607, als die erste mennonitische Familie in Krefeld einwanderte. Wie viele andere Gleichgesinnte waren Grietgen und Hermann op den Graeff Glaubensflüchtlinge. Die "Reformierten", die Anhänger Zwinglis und Calvins, nannten sie wegen der Erwachsenentaufe gehässig "Wiederteufer". Das "Krähenfeld", wie die Ansiedlung am Niederrhein damals hieß, war nicht mehr als ein Marktflecken. Einige Jahre zuvor war die Ansiedlung bei einem Brand fast vollständig zerstört worden, viele Einwohner zogen weg. Nur mühsam hatten die restlichen Bauern ihre Häuser wieder aufgebaut. Krefeld gehörte als Enklave zur Grafschaft Moers – und damit nach der Vertreibung spanischer Besatzer zum Haus der Oranier. Diese zählten sich zu den Reformierten. Die Krefelder waren damals mehrheitlich katholisch und durften es auch weiterhin bleiben. Eine außergewöhnliche Geste, schließlich galt damals das Prinzip "cuius regio, eius religio" – die Untertanen hatten die Religion ihres Herrschers anzunehmen. Und auch den Mennoniten wurden Religionsfreiheit und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, was sich in der Region bald herumsprach, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe.
"Die Oranier hatten in anderen Teilen des Landes gute Erfahrungen mit Mennoniten als Untertanen gemacht. Krefeld war ein kleiner Außenposten, gehörte zur Grafschaft Moers, war aber in den Jahrzehnten vor 1607 ziemlich herunter gekommen, in einem Krieg auch fast völlig zerstört worden. Die Oranier setzten alles daran, diesen Vorposten wirtschaftlich wieder hoch zu bringen. Die Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen war dann einfach von Vorteil."
Doch begeistert aufgenommen wurden sie auch in Krefeld nicht. Schon bald beschwerte sich der Pfarrer der Reformierten Gemeinde:
"Dass zu Kreyfeldt Wiederteuffler einreisen, auch sich undterstehen nicht allein zu halten ihre Versamblungen, sondern auch andere Einfältigen zu sich zu ziehen."
20 Jahre später hatten sich die op den Graeffs dennoch etabliert. Dies zeigt die Inschrift eines Glasfensters an ihrem Haus, deren Text überliefert ist.
"Gott fruchtigh from und gut von seden
Luistigh frundtlich und war von reden
Ist christlich und gefalt den herren
Bringt gunst und setzet menneger zu großer ehren
Hermen of den Graff und Greitgen, sein hosfrow."
Selbstbewusst bezeichnet sich die Familie als gottesfürchtig und wohltätig. Ein Zeichen für ihre herausragende Stellung in Krefeld. Bei Spendensammlungen der Reformierten gaben die op den Graeffs mehr als die gesamte reformierte Gemeinde zusammen. So kam es, dass Hermann in deren Protokollbuch schließlich gar als "der hiesigen Mennisten Herr Beschoff" bezeichnet wurde, eine deutliche Ehrerbietung in der damaligen Zeit.
"Diese zugewanderte Gemeinschaft hat immer das Bedürfnis gehabt, nicht nur die moralische Qualität ihres Lebens zu verteidigen und zu demonstrieren, sondern auch die Qualität ihrer Produkte als hoch qualifiziertes Ergebnis eines musterhaft-christlichen Lebenswandels darzustellen. In ihrem ständigen Kampf um religiöse Toleranz und gesellschaftliche Anerkennung in einer feindseligen Umwelt, haben die Mennoniten niemals nachgelassen, Wettbewerb und Innovation, an den Tag zu legen."
So erklärt der Amsterdamer Theologe Piet Visser in einem Aufsatz über die Geschichte der Krefelder Gemeinde den raschen gesellschaftlichen Aufstieg der Glaubensflüchtlinge. Um 1654 kamen aus dem benachbarten Rheydt dann noch einmal rund 70 Familien hinzu. Damit stellten die Mennoniten schon bald die Mehrheit der Einwohner, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe, der sich seit Jahren mit der Geschichte seiner Gemeinde beschäftigt.
"Das hat unglaubliche Probleme mit sich gebracht. Die Häuser waren zum Teil doppelt und dreifach belegt. Es trat Seuchengefahr auf. Die Mennoniten, die aus Gladbach kamen, waren überwiegend wohlhabend, das trieb die Preise für Häuser und Grundstücke hoch. Das war nicht ohne Probleme, sondern erzeugte erhebliche soziale Spannungen. Die einheimischen Krefelder haben sich mit Händen und Füßen gegen die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen gewehrt, besonders die reformierte Geistlichkeit, aber es war eben so, dass die Oranischen Herrscher immer wieder gesagt haben: Ihr müsst die Mennoniten aufnehmen. Die viel gerühmte Toleranz der Krefelder, ist, jedenfalls damals, eine von oben aufgezwungene gewesen."
So durften die Mennoniten trotz der Anfeindungen bleiben und bekamen bald von den Oraniern die Zusage, eine eigene Kirche an der heutigen Königstraße errichten zu dürfen. Die Jahreszahl 1693 steht noch heute über der Eingangstür, die erste Nutzung ist allerdings erst für 1696 belegt. Betreten wurde das Grundstück vom alten Stadtkern im Westen, der Mennoniten-Kirch-Straße, an der bis heute das alte Tor steht. Pfarrer Christoph Wiebe schließt es auf, tritt hinaus auf das Kopfsteinpflaster der verkehrsberuhigten Straße.
"Dieses Tor und die Mauer, die sehr hoch ist, so drei, vier Meter hoch, ließ die Kirche fast komplett den Blicken entzogen sein. Darin drückt sich der Status der Mennoniten aus. Sie durften zwar damals eine Kirche bauen, waren aber nur geduldet. Auflage für den Bau war, dass die Kirche nicht gut sichtbar hinter einer Mauer sein musste. Auf der anderen Seite, der Königstraße hinter Hausbebauung den Blicken entzogen ist."
Als verfolgte Minderheit vermieden es die Mennoniten, Land zu erwerben und versuchten stattdessen, einem Gewerbe nachzugehen, das notfalls auch einen Ortswechsel erlaubte. Und so spezialisierten sich die Mitglieder der Krefelder Gemeinde bald auf die Textilbranche, erzählt Eduard Loers, dessen Familie seit dem 17. Jahrhundert in Krefeld ansässig ist.
"Krefeld und Gladbach waren Ackerdörfer. Was machten die Bauern? Im Sommer wurden die Felder bebaut, im Winter kam das Vieh in die Scheune. Und sie hatten große Ländereien. Da wurde Flachs, Leinen, angebaut. Das wurde im Winter aufbereitet und die Mennoniten hatten Verbindungen nach Holland und kauften das, brachten das nach Holland. Und es kam als Garn zurück. Daher kam ihr Reichtum."
Die Mennoniten waren "Verleger", sie finanzierten durch ihre guten Kontakte den gesamten Handelsweg bis hin zur Fertigung des Tuchs. Doch bald schon kam es zu einer großen Krise der Leinenindustrie. Es war um 1680, als holländische Textilhändler den Krefeldern Konkurrenz machten – mit billiger und leicht zu verarbeitender Baumwolle, die aus den Kolonien importiert wurde. Viele Betriebe gingen Bankrott. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlich schweren Zeit war es wenig verwunderlich, dass eine zugezogene Gruppe von Quäkern, die bei den Mennoniten Unterschlupf gefunden hatte, bald mehr und mehr Zulauf bekam, sagt Pfarrer Wiebe.
"Die Quäker waren eine christliche Glaubensgemeinschaft, in England entstanden, die gekennzeichnet war durch ihren egalitären Charakter – alle Menschen sind gleich, alle Menschen sind in gleicher Weise begabt. Dieser ausgesprochene Egalitarismus führte dazu, dass sie es ablehnten, den Stadtoberen, wie es sich gebührt, den Gruß mit Abheben des Hutes zu erweisen."
Die Quäker sahen sich Schikanen ausgesetzt, einige wurden auf offener Straße von reformierten Mitbürgern zusammengeschlagen. 13 Familien zogen die Konsequenzen, wanderten 1683 nach Pennsylvania aus und gründeten dort "Germantown". An diese erste Gruppenemigration von Deutschen nach Nordamerika erinnert ein Gedenkstein in der Krefelder Innenstadt. Bis heute bestehen Kontakte der Mennoniten zu den Nachfahren dieser Familien, erzählt Eduard Loers.
"Die kommen auch sehr oft hierhin und wollen auch sehr viel wissen. Da sie mich jetzt in Deutschland kennen, darf ich jetzt überall nachrecherchieren. Die wollen wissen, was war früher, wer ist der, was für Unterlagen gibt es im Landesstaatsarchiv. Das ist sehr interessant."
Die übrigen Familien, die nicht konvertierten, blieben in Krefeld. Vor dem wirtschaftlichen Niedergang durch die billige holländische Baumwolle rettete sie die kluge Geschäftsindustrie einer mennonitischen Einwandererfamilie – der von der Leyens, erzählt Aurel von Beckerath, der ebenfalls aus einer Familie von Textilfabrikanten stammt.
"Die von der Leyens haben Seide hierher gebracht. Sie haben Krefeld praktisch aus dieser Wirtschaftskrise gerettet, indem sie wertvollere Produkte angeboten haben. Leinen fiel dann bei uns völlig raus."
Adolf von der Leyen und seine beiden Söhne kauften Rohseide aus Italien und China, ließen sie in Krefeld verarbeiten und gingen zunächst zu Fuß bis nach Frankfurt zu den großen Textilmessen. Der elegante, hauchdünne glänzende Stoff erfreute sich in Adelshäusern aus ganz Europa großer Beliebtheit. Bald schon wurden die von der Leyens nur noch die "Seidenbarone" genannt – und Krefeld bekam den Beinamen "Stadt wie Samt und Seide". Denn schon um 1720 hatte die Seide das Leinen fast vollständig verdrängt.
Für die von der Leyens und einige wenige andere Verlegerfamilien arbeitete die halbe Stadt, deren Einwohnerzahl innerhalb weniger Jahrzehnte von wenigen Hundert auf rund 6.000 angestiegen war. 1738 besuchte sogar der preußische König Friedrich Wilhelm I. die Zwirnerei Peter von der Leyens, deren Produktivität ihn sehr beeindruckte. Er war es auch, der den Mennoniten endlich die völlige Selbständigkeit ihrer Gemeinde gegenüber den Reformierten zubilligte.
"Die Mennonisten wollen zwar nicht in den Krieg ziehen, ich muss aber auch Leute haben, die mir Geld schaffen."
Die Mennoniten genossen fortan das Privileg eines Monopols in der Seidenherstellung, von dem auch die Familie von Beckerath profitierte.
"Man wollte einen Gegenpol bauen zu Frankreich, Italien und der Schweiz. Auch vom Alten Fritz wurde das gefördert. Hier durften keine Soldaten gezogen werden, was den Mennoniten natürlich sehr entgegenkommt, weil wir keinen Wehrdienst wollen. Es waren verschiedene mennonitische Familien, die Seide weben und färben durften. Das wurde erst später aufgelockert in Preußen, als man versuchte, in Berlin etwas aufzubauen."
Allein für das Unternehmen von Friedrich und Heinrich von der Leyen lag die Bilanzsumme im Jahr 1794 bei 1,7 Millionen Reichstalern, ein damals außergewöhnlich hoher Betrag. Die Durchschnittssteuer eines Mennoniten war viermal so hoch wie die eines Nicht-Mennoniten. Vom damaligen Reichtum zeugt heute noch "das Stadtschloss", ein klassizistischer Prachtbau. Den ließen sich die von der Leyens als Wohnhaus mitten in die Stadt setzen. Für Pfarrer Christoph Wiebe darf das Schloss bei keiner Stadtführung fehlen.
"Sie trachteten danach, diesen Reichtum und diese Bedeutung, die sie aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht erworben hatten, auf symbolische Weise noch mal herzustellen. Deshalb haben sie zum Beispiel danach getrachtet, in der Reformierten Kirche Kirchenstühle zu kaufen, auf denen sie dann repräsentativ sitzen konnten. Oder sie strebten dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Adelstitel an. Manche haben ihn auch bekommen. Und sie haben durch solche Bauwerke, die sie tatsächlich aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht hatten, versucht, die dann auch noch mal symbolisch darzustellen und einzunehmen."
Bis heute erinnert ein Gemälde an den Besuch Friedrich des Großen in Krefeld. Darauf ist die versammelte Familie von der Leyen zu sehen, wie sie dem staunenden König ihre Stoffe präsentiert.
"Ich nenne dir, indem ich Crefeld hinschreibe, den Nahmen der niedlichsten, saubersten, freundlichsten und blühendsten Manufactur-Stadt, die ich je gesehen habe. Der bloße Anblick macht den Fremden, so wie er hinein kömmt, heiter und froh. Das schöne, längst den Häusern bunt ausgelegte Straßenpflaster ist so rein als wenn es täglich gewaschen würde, und so eben als wenn die Steine abeschliffen wären. Die Häuser sind alle von Backsteine und in holländischem Geschmack, aber doch mit mehr Abwechslung erbaut, als der holländischen Bauart sonst eigen zu seyn scheint."
Der Schriftsteller Johann Heinrich Campe kam in seiner Reisebeschreibung von 1790 aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Doch die Blütezeit sollte nicht mehr lange währen. Denn 1794 besetzten Napoleons Truppen Krefeld und auch das gerade fertig gestellte "Schloss" der von der Leyens, die gleich wieder ausziehen mussten, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe.
"Die französische Herrschaft brachte dann auch die Gewerbefreiheit. Und die Gewerbefreiheit bedeutete das Ende des alten Produktionsregimes."
Die Krefelder Manufakturen blieben bestehen, doch ihre Bedeutung für den Seidenhandel nahm ab. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert stieg die Einwohnerzahl Krefelds weiter stark an, die Mennonitengemeinde wuchs jedoch bei Weitem nicht in gleichem Maße. Die Mitglieder der kleinen Freikirche blieben jedoch fester Bestandteil der Krefelder Gesellschaft, heiraten in Familien anderer Konfessionen ein und öffneten schließlich sogar ihre Abendmahlsgottesdienste für Nicht-Mennoniten.
Heute erscheint die alte Kirche, die nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg originalgetreu wieder aufgebaut wurde, an vielen Sonntagen fast zu groß für die kleine Gemeinde, die sich hier zum Gottesdienst trifft. Eine Entwicklung, die sich auch bei den anderen christlichen Kirchen beobachten lässt, und die Pfarrer Christoph Wiebe Sorgen bereitet.
"Andererseits gibt es auch immer wieder Menschen, die keinen mennonitischen Hintergrund haben und die sich unserer Gemeinde anschließen. Wir haben zum Beispiel in der aktuellen Glaubensunterweisung ein junges Mädchen dabei, die durch freundschaftliche Kontakte zu dem Taufunterricht gekommen ist. Die Eltern sind beide nicht mennonitisch, aber sie hat sich entschlossen, sich taufen zu lassen und Mitglied dieser Gemeinde zu werden. Das sind Entwicklungen, die Mut machen. Ich bin überzeugt, die Gemeinde hat eine Zukunft, auch wenn die Mitgliederzahlen noch eine gewisse Zeit langsam sinken werden."
An die Blütezeit der Gemeinde erinnert heute eine Glaswand, die den Kirchhof von der Königstraße, der zentralen Einkaufsmeile, trennt. Darauf: Zeichnungen und und Texte zu den entscheidenden historischen Stationen – ein Bild von Menno Simons, ein Karte der ersten Stadterweiterung, auf der die Kirche bereits eingezeichnet ist, das Bild vom Besuch Friedrichs des Großen. Die Zeiten, als die Mennoniten ihr Gotteshaus hinter hohen Mauern verstecken mussten, sind lange vorbei. Von den damaligen Seidenbaronen ist nur noch einer übrig – Aurel von Beckerath, der mit zwei Mitarbeitern bis heute Seidenstoffe für Krawatten und Anzüge fertigt.
"Ich bin noch der letzte Seiden-Mensch aus der Familie. Wollen wir mal sehen, solange es noch Kunden gibt, was die Zukunft bringt."
"Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht. Mit diesem Wort aus Lukas 21, Vers 28 beginnen wir unseren Gottesdienst. Wir feiern ihn im Namen Gottes. Jesus wurde Mensch in dieser Welt und Gottes Geist hält den Traum wach von einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden blühen. Amen."
In der Kirche hängt kein Kreuz, die Fenster sind nicht bemalt – den einzigen Wandschmuck bilden die goldenen Wandleuchter, die an stilisierte Bibeln erinnern. Es ist die Reduzierung auf das Wesentliche, die typisch für die evangelische Freikirche der Mennoniten ist. Sie geht zurück auf die Täuferbewegung, die 1525 in der Schweiz entstand und sich rasch ausbreitete. Die Täufer sahen, ähnlich wie Martin Luther, die Bibel als zentrales Element des christlichen Glaubens, tauften ihre Mitglieder jedoch nur als Erwachsene – daher der Name. Von Anfang an eckten sie mit ihren radikalen Forderungen nach einer Trennung von Staat und Kirche an, wurden verfolgt und hingerichtet. Einer ihrer Anhänger war der vormals katholische Priester Menno Simons aus Friesland. Mit seiner Begeisterung für die ursprünglichen Lehren der Bibel und der Ablehnung jeder Form von Gewalt scharte er bald schon eine große Zahl Gleichgesinnter um sich.
"Darum ermahnen wir euch mit Christo Jesu, glaubt an das Evangelium. Lasst ab von Sünden, beweiset Reue über euer vergangenes Leben. Seid untertänig des Herrn Wort und Willen, so werdet ihr Mitgenossen, Bürger, Kinder und Erben des neuen himmlischen Jerusalems sein. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben."
Menno Simons wurde schnell zur Identifikationsfigur für die Täufer in den Niederlanden und im Rheinland. Bald schon bezeichneten sich seine Anhänger als "Mennoniten". Erstmals urkundlich erwähnt wurden sie 1544. Heute bekennen sich in Deutschland rund 5.000 Menschen zu dieser Glaubensgemeinschaft, weltweit sind es mehr als eine Million. Die Gemeinden, die sich ausschließlich aus Spenden und nicht über Kirchensteuern finanzieren, sind durch die Mennonitische Weltkonferenz miteinander verbunden. Es gibt jedoch, wie auch bei anderen Freikirchen, keine Synode und keinen Bischof, erzählt Reingard Hertzler, die sich im Kleinen Konsistorium, einem gewählten Rat der Krefelder Gemeinde, engagiert:
"Mir gefällt, dass jede Gemeinde für sich handelt und ihren eigenen Weg beschreitet. Natürlich gibt es überregionale Verbände, aber letzten Endes kann jedes Mitglied den Weg für seine Gemeinde mit bestimmen. Jeder kann sich zur Wahl stellen, wählen lassen und dann in den Gremien und auch durch einfache Mitarbeit den Weg mitbestimmen. Das finde ich toll."
Bis heute spielt die Auseinandersetzung mit der Bibel auch bei der Krefelder Gemeinde eine zentrale Rolle im Gottesdienst. Jeden Sonntag trägt ein junges Mitglied selbst ausgewählte Texte vor, die sich mit Altem und Neuem Testament beschäftigen.
"Ich lese Worte von Hans-Dieter Hüsch zu Jesaja 40: Es ruft eine Stimme durch die dunklen Zeiten, durch die Wüsten unserer Tage, durch die Trauer unserer Seelen. Es ruft eine Stimme, in unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie ruft: Bereitet Gott den Weg!"
Die 18-jährige Annika Köffler kommt fast jeden Sonntag zum Gottesdienst. Ihre Mutter hatte sie zunächst katholisch erzogen. Über die mennonitische Familie ihres Vaters kam sie jedoch schon als Kind in Kontakt mit der Freikirche. Als Jugendliche besuchte sie mehr als ein Jahr lang den Taufunterricht und lies sich schließlich vor rund einem Jahr taufen – zusammen mit anderen jungen Erwachsenen, denn die Kindstaufe lehnen die Mennoniten bis heute ab.
"Es ist vor allem die Gemeinde und die Gemeinschaft, die das hier ausmacht. Vor allem im Taufunterricht, die Leute, die man kennen lernt, mit denen man jedes Jahr auf Freizeit fährt, meine ganze Seite auch von meinem Vater her mennonitisch ist, was mich dann auch dazu bewogen hat, die Konfession zu wechseln."
Etwa 900 Mitglieder hat die Krefelder Gemeinde heute insgesamt. Ihr Einzugsgebiet umfasst halb Nordrhein-Westfalen: Von Arnsberg im Sauerland bis nach Aachen, von Bonn im Süden bis nach Hagen im Norden. Deshalb verbringt Pfarrer Christoph Wiebe einen nicht unerheblichen Teil seiner Arbeitszeit auf der Autobahn. Schließlich müssen er und seine Kollegin dafür sorgen, die Gemeinschaft zusammen zu halten.
"Mit Telefon, Briefen, Besuchen – also viele Fahrten durchs Land. Seit ein paar Jahren ist auch E-mail ein wichtiges Kontaktmittel. Die Arbeit der zwei Pfarrer besteht zu einem guten Teil eben darin, die Verbindung unter den Gemeindemitgliedern aufrecht zu erhalten und das Gemeindeleben zu organisieren. Aber auch wenn die Gemeinde sehr zerstreut ist: Krefeld mit der Kirche und dem Gemeindehaus ist das Zentrum. Und viele, die verstreut im Land leben, fühlen sich diesem Zentrum und der Gemeinde sehr verbunden."
Und das seit mehr als 400 Jahren.
Es war im Jahr 1607, als die erste mennonitische Familie in Krefeld einwanderte. Wie viele andere Gleichgesinnte waren Grietgen und Hermann op den Graeff Glaubensflüchtlinge. Die "Reformierten", die Anhänger Zwinglis und Calvins, nannten sie wegen der Erwachsenentaufe gehässig "Wiederteufer". Das "Krähenfeld", wie die Ansiedlung am Niederrhein damals hieß, war nicht mehr als ein Marktflecken. Einige Jahre zuvor war die Ansiedlung bei einem Brand fast vollständig zerstört worden, viele Einwohner zogen weg. Nur mühsam hatten die restlichen Bauern ihre Häuser wieder aufgebaut. Krefeld gehörte als Enklave zur Grafschaft Moers – und damit nach der Vertreibung spanischer Besatzer zum Haus der Oranier. Diese zählten sich zu den Reformierten. Die Krefelder waren damals mehrheitlich katholisch und durften es auch weiterhin bleiben. Eine außergewöhnliche Geste, schließlich galt damals das Prinzip "cuius regio, eius religio" – die Untertanen hatten die Religion ihres Herrschers anzunehmen. Und auch den Mennoniten wurden Religionsfreiheit und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, was sich in der Region bald herumsprach, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe.
"Die Oranier hatten in anderen Teilen des Landes gute Erfahrungen mit Mennoniten als Untertanen gemacht. Krefeld war ein kleiner Außenposten, gehörte zur Grafschaft Moers, war aber in den Jahrzehnten vor 1607 ziemlich herunter gekommen, in einem Krieg auch fast völlig zerstört worden. Die Oranier setzten alles daran, diesen Vorposten wirtschaftlich wieder hoch zu bringen. Die Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen war dann einfach von Vorteil."
Doch begeistert aufgenommen wurden sie auch in Krefeld nicht. Schon bald beschwerte sich der Pfarrer der Reformierten Gemeinde:
"Dass zu Kreyfeldt Wiederteuffler einreisen, auch sich undterstehen nicht allein zu halten ihre Versamblungen, sondern auch andere Einfältigen zu sich zu ziehen."
20 Jahre später hatten sich die op den Graeffs dennoch etabliert. Dies zeigt die Inschrift eines Glasfensters an ihrem Haus, deren Text überliefert ist.
"Gott fruchtigh from und gut von seden
Luistigh frundtlich und war von reden
Ist christlich und gefalt den herren
Bringt gunst und setzet menneger zu großer ehren
Hermen of den Graff und Greitgen, sein hosfrow."
Selbstbewusst bezeichnet sich die Familie als gottesfürchtig und wohltätig. Ein Zeichen für ihre herausragende Stellung in Krefeld. Bei Spendensammlungen der Reformierten gaben die op den Graeffs mehr als die gesamte reformierte Gemeinde zusammen. So kam es, dass Hermann in deren Protokollbuch schließlich gar als "der hiesigen Mennisten Herr Beschoff" bezeichnet wurde, eine deutliche Ehrerbietung in der damaligen Zeit.
"Diese zugewanderte Gemeinschaft hat immer das Bedürfnis gehabt, nicht nur die moralische Qualität ihres Lebens zu verteidigen und zu demonstrieren, sondern auch die Qualität ihrer Produkte als hoch qualifiziertes Ergebnis eines musterhaft-christlichen Lebenswandels darzustellen. In ihrem ständigen Kampf um religiöse Toleranz und gesellschaftliche Anerkennung in einer feindseligen Umwelt, haben die Mennoniten niemals nachgelassen, Wettbewerb und Innovation, an den Tag zu legen."
So erklärt der Amsterdamer Theologe Piet Visser in einem Aufsatz über die Geschichte der Krefelder Gemeinde den raschen gesellschaftlichen Aufstieg der Glaubensflüchtlinge. Um 1654 kamen aus dem benachbarten Rheydt dann noch einmal rund 70 Familien hinzu. Damit stellten die Mennoniten schon bald die Mehrheit der Einwohner, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe, der sich seit Jahren mit der Geschichte seiner Gemeinde beschäftigt.
"Das hat unglaubliche Probleme mit sich gebracht. Die Häuser waren zum Teil doppelt und dreifach belegt. Es trat Seuchengefahr auf. Die Mennoniten, die aus Gladbach kamen, waren überwiegend wohlhabend, das trieb die Preise für Häuser und Grundstücke hoch. Das war nicht ohne Probleme, sondern erzeugte erhebliche soziale Spannungen. Die einheimischen Krefelder haben sich mit Händen und Füßen gegen die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen gewehrt, besonders die reformierte Geistlichkeit, aber es war eben so, dass die Oranischen Herrscher immer wieder gesagt haben: Ihr müsst die Mennoniten aufnehmen. Die viel gerühmte Toleranz der Krefelder, ist, jedenfalls damals, eine von oben aufgezwungene gewesen."
So durften die Mennoniten trotz der Anfeindungen bleiben und bekamen bald von den Oraniern die Zusage, eine eigene Kirche an der heutigen Königstraße errichten zu dürfen. Die Jahreszahl 1693 steht noch heute über der Eingangstür, die erste Nutzung ist allerdings erst für 1696 belegt. Betreten wurde das Grundstück vom alten Stadtkern im Westen, der Mennoniten-Kirch-Straße, an der bis heute das alte Tor steht. Pfarrer Christoph Wiebe schließt es auf, tritt hinaus auf das Kopfsteinpflaster der verkehrsberuhigten Straße.
"Dieses Tor und die Mauer, die sehr hoch ist, so drei, vier Meter hoch, ließ die Kirche fast komplett den Blicken entzogen sein. Darin drückt sich der Status der Mennoniten aus. Sie durften zwar damals eine Kirche bauen, waren aber nur geduldet. Auflage für den Bau war, dass die Kirche nicht gut sichtbar hinter einer Mauer sein musste. Auf der anderen Seite, der Königstraße hinter Hausbebauung den Blicken entzogen ist."
Als verfolgte Minderheit vermieden es die Mennoniten, Land zu erwerben und versuchten stattdessen, einem Gewerbe nachzugehen, das notfalls auch einen Ortswechsel erlaubte. Und so spezialisierten sich die Mitglieder der Krefelder Gemeinde bald auf die Textilbranche, erzählt Eduard Loers, dessen Familie seit dem 17. Jahrhundert in Krefeld ansässig ist.
"Krefeld und Gladbach waren Ackerdörfer. Was machten die Bauern? Im Sommer wurden die Felder bebaut, im Winter kam das Vieh in die Scheune. Und sie hatten große Ländereien. Da wurde Flachs, Leinen, angebaut. Das wurde im Winter aufbereitet und die Mennoniten hatten Verbindungen nach Holland und kauften das, brachten das nach Holland. Und es kam als Garn zurück. Daher kam ihr Reichtum."
Die Mennoniten waren "Verleger", sie finanzierten durch ihre guten Kontakte den gesamten Handelsweg bis hin zur Fertigung des Tuchs. Doch bald schon kam es zu einer großen Krise der Leinenindustrie. Es war um 1680, als holländische Textilhändler den Krefeldern Konkurrenz machten – mit billiger und leicht zu verarbeitender Baumwolle, die aus den Kolonien importiert wurde. Viele Betriebe gingen Bankrott. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlich schweren Zeit war es wenig verwunderlich, dass eine zugezogene Gruppe von Quäkern, die bei den Mennoniten Unterschlupf gefunden hatte, bald mehr und mehr Zulauf bekam, sagt Pfarrer Wiebe.
"Die Quäker waren eine christliche Glaubensgemeinschaft, in England entstanden, die gekennzeichnet war durch ihren egalitären Charakter – alle Menschen sind gleich, alle Menschen sind in gleicher Weise begabt. Dieser ausgesprochene Egalitarismus führte dazu, dass sie es ablehnten, den Stadtoberen, wie es sich gebührt, den Gruß mit Abheben des Hutes zu erweisen."
Die Quäker sahen sich Schikanen ausgesetzt, einige wurden auf offener Straße von reformierten Mitbürgern zusammengeschlagen. 13 Familien zogen die Konsequenzen, wanderten 1683 nach Pennsylvania aus und gründeten dort "Germantown". An diese erste Gruppenemigration von Deutschen nach Nordamerika erinnert ein Gedenkstein in der Krefelder Innenstadt. Bis heute bestehen Kontakte der Mennoniten zu den Nachfahren dieser Familien, erzählt Eduard Loers.
"Die kommen auch sehr oft hierhin und wollen auch sehr viel wissen. Da sie mich jetzt in Deutschland kennen, darf ich jetzt überall nachrecherchieren. Die wollen wissen, was war früher, wer ist der, was für Unterlagen gibt es im Landesstaatsarchiv. Das ist sehr interessant."
Die übrigen Familien, die nicht konvertierten, blieben in Krefeld. Vor dem wirtschaftlichen Niedergang durch die billige holländische Baumwolle rettete sie die kluge Geschäftsindustrie einer mennonitischen Einwandererfamilie – der von der Leyens, erzählt Aurel von Beckerath, der ebenfalls aus einer Familie von Textilfabrikanten stammt.
"Die von der Leyens haben Seide hierher gebracht. Sie haben Krefeld praktisch aus dieser Wirtschaftskrise gerettet, indem sie wertvollere Produkte angeboten haben. Leinen fiel dann bei uns völlig raus."
Adolf von der Leyen und seine beiden Söhne kauften Rohseide aus Italien und China, ließen sie in Krefeld verarbeiten und gingen zunächst zu Fuß bis nach Frankfurt zu den großen Textilmessen. Der elegante, hauchdünne glänzende Stoff erfreute sich in Adelshäusern aus ganz Europa großer Beliebtheit. Bald schon wurden die von der Leyens nur noch die "Seidenbarone" genannt – und Krefeld bekam den Beinamen "Stadt wie Samt und Seide". Denn schon um 1720 hatte die Seide das Leinen fast vollständig verdrängt.
Für die von der Leyens und einige wenige andere Verlegerfamilien arbeitete die halbe Stadt, deren Einwohnerzahl innerhalb weniger Jahrzehnte von wenigen Hundert auf rund 6.000 angestiegen war. 1738 besuchte sogar der preußische König Friedrich Wilhelm I. die Zwirnerei Peter von der Leyens, deren Produktivität ihn sehr beeindruckte. Er war es auch, der den Mennoniten endlich die völlige Selbständigkeit ihrer Gemeinde gegenüber den Reformierten zubilligte.
"Die Mennonisten wollen zwar nicht in den Krieg ziehen, ich muss aber auch Leute haben, die mir Geld schaffen."
Die Mennoniten genossen fortan das Privileg eines Monopols in der Seidenherstellung, von dem auch die Familie von Beckerath profitierte.
"Man wollte einen Gegenpol bauen zu Frankreich, Italien und der Schweiz. Auch vom Alten Fritz wurde das gefördert. Hier durften keine Soldaten gezogen werden, was den Mennoniten natürlich sehr entgegenkommt, weil wir keinen Wehrdienst wollen. Es waren verschiedene mennonitische Familien, die Seide weben und färben durften. Das wurde erst später aufgelockert in Preußen, als man versuchte, in Berlin etwas aufzubauen."
Allein für das Unternehmen von Friedrich und Heinrich von der Leyen lag die Bilanzsumme im Jahr 1794 bei 1,7 Millionen Reichstalern, ein damals außergewöhnlich hoher Betrag. Die Durchschnittssteuer eines Mennoniten war viermal so hoch wie die eines Nicht-Mennoniten. Vom damaligen Reichtum zeugt heute noch "das Stadtschloss", ein klassizistischer Prachtbau. Den ließen sich die von der Leyens als Wohnhaus mitten in die Stadt setzen. Für Pfarrer Christoph Wiebe darf das Schloss bei keiner Stadtführung fehlen.
"Sie trachteten danach, diesen Reichtum und diese Bedeutung, die sie aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht erworben hatten, auf symbolische Weise noch mal herzustellen. Deshalb haben sie zum Beispiel danach getrachtet, in der Reformierten Kirche Kirchenstühle zu kaufen, auf denen sie dann repräsentativ sitzen konnten. Oder sie strebten dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Adelstitel an. Manche haben ihn auch bekommen. Und sie haben durch solche Bauwerke, die sie tatsächlich aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht hatten, versucht, die dann auch noch mal symbolisch darzustellen und einzunehmen."
Bis heute erinnert ein Gemälde an den Besuch Friedrich des Großen in Krefeld. Darauf ist die versammelte Familie von der Leyen zu sehen, wie sie dem staunenden König ihre Stoffe präsentiert.
"Ich nenne dir, indem ich Crefeld hinschreibe, den Nahmen der niedlichsten, saubersten, freundlichsten und blühendsten Manufactur-Stadt, die ich je gesehen habe. Der bloße Anblick macht den Fremden, so wie er hinein kömmt, heiter und froh. Das schöne, längst den Häusern bunt ausgelegte Straßenpflaster ist so rein als wenn es täglich gewaschen würde, und so eben als wenn die Steine abeschliffen wären. Die Häuser sind alle von Backsteine und in holländischem Geschmack, aber doch mit mehr Abwechslung erbaut, als der holländischen Bauart sonst eigen zu seyn scheint."
Der Schriftsteller Johann Heinrich Campe kam in seiner Reisebeschreibung von 1790 aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Doch die Blütezeit sollte nicht mehr lange währen. Denn 1794 besetzten Napoleons Truppen Krefeld und auch das gerade fertig gestellte "Schloss" der von der Leyens, die gleich wieder ausziehen mussten, erzählt Pfarrer Christoph Wiebe.
"Die französische Herrschaft brachte dann auch die Gewerbefreiheit. Und die Gewerbefreiheit bedeutete das Ende des alten Produktionsregimes."
Die Krefelder Manufakturen blieben bestehen, doch ihre Bedeutung für den Seidenhandel nahm ab. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert stieg die Einwohnerzahl Krefelds weiter stark an, die Mennonitengemeinde wuchs jedoch bei Weitem nicht in gleichem Maße. Die Mitglieder der kleinen Freikirche blieben jedoch fester Bestandteil der Krefelder Gesellschaft, heiraten in Familien anderer Konfessionen ein und öffneten schließlich sogar ihre Abendmahlsgottesdienste für Nicht-Mennoniten.
Heute erscheint die alte Kirche, die nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg originalgetreu wieder aufgebaut wurde, an vielen Sonntagen fast zu groß für die kleine Gemeinde, die sich hier zum Gottesdienst trifft. Eine Entwicklung, die sich auch bei den anderen christlichen Kirchen beobachten lässt, und die Pfarrer Christoph Wiebe Sorgen bereitet.
"Andererseits gibt es auch immer wieder Menschen, die keinen mennonitischen Hintergrund haben und die sich unserer Gemeinde anschließen. Wir haben zum Beispiel in der aktuellen Glaubensunterweisung ein junges Mädchen dabei, die durch freundschaftliche Kontakte zu dem Taufunterricht gekommen ist. Die Eltern sind beide nicht mennonitisch, aber sie hat sich entschlossen, sich taufen zu lassen und Mitglied dieser Gemeinde zu werden. Das sind Entwicklungen, die Mut machen. Ich bin überzeugt, die Gemeinde hat eine Zukunft, auch wenn die Mitgliederzahlen noch eine gewisse Zeit langsam sinken werden."
An die Blütezeit der Gemeinde erinnert heute eine Glaswand, die den Kirchhof von der Königstraße, der zentralen Einkaufsmeile, trennt. Darauf: Zeichnungen und und Texte zu den entscheidenden historischen Stationen – ein Bild von Menno Simons, ein Karte der ersten Stadterweiterung, auf der die Kirche bereits eingezeichnet ist, das Bild vom Besuch Friedrichs des Großen. Die Zeiten, als die Mennoniten ihr Gotteshaus hinter hohen Mauern verstecken mussten, sind lange vorbei. Von den damaligen Seidenbaronen ist nur noch einer übrig – Aurel von Beckerath, der mit zwei Mitarbeitern bis heute Seidenstoffe für Krawatten und Anzüge fertigt.
"Ich bin noch der letzte Seiden-Mensch aus der Familie. Wollen wir mal sehen, solange es noch Kunden gibt, was die Zukunft bringt."