Von Wahlkampf und Moral
Was haben Wahlkampf und das Auftreten von Dieter Althaus mit Moral zu tun? kann man fragen. Nicht sehr viel, scheint es, aber hier wohl doch, denn die Abmachung, ein Thema im Wahlkampf nicht anzusprechen, kann fast nur auf moralischen Erwägungen beruhen.
Wenn es aber aus moralischen Gründen geboten ist, den Skiunfall und damit den tragischen Tod einer jungen Frau und Mutter aus dem Wahlkampf herauszuhalten – und dafür spricht einiges -, dann muss dieses Gebot alle gleichermaßen treffen. Auch und vielleicht am meisten Dieter Althaus, der am nächsten an diesem Tod dran war, der ihn – das darf man so sagen, denn es ist rechtskräftig festgestellt – verursacht hat.
Wie ist das einzuordnen?
Im Jahre 1965 hielt die Philosophin Hannah Arendt in New York eine Vorlesung über Moralphilosophie. Darin ging sie auf die Unterschiede zwischen Rechtsprechung und Moral ein – nicht nur inhaltlich, sondern in der Art, wie sie die Dinge behandeln. "Die unbezweifelbare große Bedeutung der Rechtsprechung" sagte Arendt, "liegt darin, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Person des Einzelnen richten muss ..."
Arendt weiter wörtlich: "Das fast automatische Abwälzen von Verantwortung, wie es in der modernen Gesellschaft üblich ist, kommt in dem Augenblick, in dem Sie einen Gerichtssaal betreten, plötzlich zum Stillstand. Alle nicht spezifischen, abstrakten Rechtfertigungen brechen zusammen ..."
Im Gegensatz dazu stellte Hannah Arendt fest, würde man bei der Diskussion von moralischen Fragen den eigentlichen Fragen ausweichen und sie, wenn man leidenschaftlich debattiert, mit dem gleichen Eifer vermeiden. Vor allem dann, so Arendt, wenn man versuche, einen Einzelfall mit moralischen Maßstäben zu fassen.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund Dieter Althaus’ Äußerungen, fällt auf, wie wenig er in juristischen Termini wie "Fahrlässigkeit" oder "Verursachung" spricht. Er arbeitet mit Begriffen der Moral, mit "Schuld" und "Vergebung". Vergebung, die er "von seiner Frau" erfahren habe.
Das verwundert auch inhaltlich, denn die Moralphilosophie kennt Vergebung nur als singuläre Beziehung zwischen zwei Menschen, dem Verletzten und dem, der gegen das Recht verstoßen hat. Dritte können nicht vergeben, sie können Verständnis aufbringen, bestärken, aber nicht "vergeben".
Althaus spricht auch von einem "tragischen Unglück". Das war es zweifelsfrei, aber eines, das er fahrlässig zumindest mit verursacht hat. Fahrlässigkeitsdelikte, bei denen kein Vorsatz vorliegt, sind, speziell was die Schuld angeht, immer schwer zu fassen und zu verstehen.
Hunderte, Tausende fahren zu schnell, missachten die Vorfahrt, oder verstoßen wie Dieter Althaus gegen die Pistenregeln. Wer kann behaupten, dass er es noch nie getan hat. In den allermeisten Fällen passiert nichts und deshalb gibt es keine Konsequenzen.
In einem anderen Fall kommt just in der entscheidenden Sekunde ein anderes Auto, ein Fußgänger oder eine andere Skifahrerin, und plötzlich hat die kleine Regelüberschreitung einen Tod zur Folge.
Das moralische Empfinden hat Probleme mit diesen Zufälligkeiten. Zudem hängt vieles vom Blickwinkel ab: Von Seiten des Opfers aus wird man die Schuld stärker sehen als von der anderen Seite.
Die Rechtsprechung hat Wege gefunden damit umzugehen, es zu objektivieren. Daher auch das Urteil gegen Dieter Althaus. Wie sagte Hannah Arendt über den Gerichtssaal: "Alle nicht spezifischen, abstrakten Rechtfertigungen brechen zusammen..."
Was bedeutet das nun für den Wahlkampf in Thüringen? Strategisch gesehen handelt Althaus ziemlich klug, wenn er die Diskussion auf die moralische Ebene verlagert, in der es mehr Möglichkeiten gibt auszuweichen. Zugleich bringt er die Kontrahenten in eine Zwickmühle: Wollen sie reagieren, müssen sie den Unfall thematisieren und machen sich damit angreifbar.
Strategisch klug, aber moralisch ist das nicht. Eher das Gegenteil.
Dr. Dr. Rainer Erlinger, Jahrgang 1965, ist Mediziner, Jurist und Publizist, vor allem durch seine wöchentliche Kolumne "Gewissensfrage" im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" bekannt. Mehrere Buchveröffentlichungen sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen und Vorträge. Schwerpunkt seiner Tätigkeit: die Ethik vor allem im Bereich der Alltagsmoral und ihre Begründung aus der Moralphilosophie heraus. Im Wintersemester 2008/2009 Gastprofessur an der philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg. Rainer Erlinger lebt in Berlin.
Wie ist das einzuordnen?
Im Jahre 1965 hielt die Philosophin Hannah Arendt in New York eine Vorlesung über Moralphilosophie. Darin ging sie auf die Unterschiede zwischen Rechtsprechung und Moral ein – nicht nur inhaltlich, sondern in der Art, wie sie die Dinge behandeln. "Die unbezweifelbare große Bedeutung der Rechtsprechung" sagte Arendt, "liegt darin, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Person des Einzelnen richten muss ..."
Arendt weiter wörtlich: "Das fast automatische Abwälzen von Verantwortung, wie es in der modernen Gesellschaft üblich ist, kommt in dem Augenblick, in dem Sie einen Gerichtssaal betreten, plötzlich zum Stillstand. Alle nicht spezifischen, abstrakten Rechtfertigungen brechen zusammen ..."
Im Gegensatz dazu stellte Hannah Arendt fest, würde man bei der Diskussion von moralischen Fragen den eigentlichen Fragen ausweichen und sie, wenn man leidenschaftlich debattiert, mit dem gleichen Eifer vermeiden. Vor allem dann, so Arendt, wenn man versuche, einen Einzelfall mit moralischen Maßstäben zu fassen.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund Dieter Althaus’ Äußerungen, fällt auf, wie wenig er in juristischen Termini wie "Fahrlässigkeit" oder "Verursachung" spricht. Er arbeitet mit Begriffen der Moral, mit "Schuld" und "Vergebung". Vergebung, die er "von seiner Frau" erfahren habe.
Das verwundert auch inhaltlich, denn die Moralphilosophie kennt Vergebung nur als singuläre Beziehung zwischen zwei Menschen, dem Verletzten und dem, der gegen das Recht verstoßen hat. Dritte können nicht vergeben, sie können Verständnis aufbringen, bestärken, aber nicht "vergeben".
Althaus spricht auch von einem "tragischen Unglück". Das war es zweifelsfrei, aber eines, das er fahrlässig zumindest mit verursacht hat. Fahrlässigkeitsdelikte, bei denen kein Vorsatz vorliegt, sind, speziell was die Schuld angeht, immer schwer zu fassen und zu verstehen.
Hunderte, Tausende fahren zu schnell, missachten die Vorfahrt, oder verstoßen wie Dieter Althaus gegen die Pistenregeln. Wer kann behaupten, dass er es noch nie getan hat. In den allermeisten Fällen passiert nichts und deshalb gibt es keine Konsequenzen.
In einem anderen Fall kommt just in der entscheidenden Sekunde ein anderes Auto, ein Fußgänger oder eine andere Skifahrerin, und plötzlich hat die kleine Regelüberschreitung einen Tod zur Folge.
Das moralische Empfinden hat Probleme mit diesen Zufälligkeiten. Zudem hängt vieles vom Blickwinkel ab: Von Seiten des Opfers aus wird man die Schuld stärker sehen als von der anderen Seite.
Die Rechtsprechung hat Wege gefunden damit umzugehen, es zu objektivieren. Daher auch das Urteil gegen Dieter Althaus. Wie sagte Hannah Arendt über den Gerichtssaal: "Alle nicht spezifischen, abstrakten Rechtfertigungen brechen zusammen..."
Was bedeutet das nun für den Wahlkampf in Thüringen? Strategisch gesehen handelt Althaus ziemlich klug, wenn er die Diskussion auf die moralische Ebene verlagert, in der es mehr Möglichkeiten gibt auszuweichen. Zugleich bringt er die Kontrahenten in eine Zwickmühle: Wollen sie reagieren, müssen sie den Unfall thematisieren und machen sich damit angreifbar.
Strategisch klug, aber moralisch ist das nicht. Eher das Gegenteil.
Dr. Dr. Rainer Erlinger, Jahrgang 1965, ist Mediziner, Jurist und Publizist, vor allem durch seine wöchentliche Kolumne "Gewissensfrage" im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" bekannt. Mehrere Buchveröffentlichungen sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen und Vorträge. Schwerpunkt seiner Tätigkeit: die Ethik vor allem im Bereich der Alltagsmoral und ihre Begründung aus der Moralphilosophie heraus. Im Wintersemester 2008/2009 Gastprofessur an der philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg. Rainer Erlinger lebt in Berlin.