Von Ulrike Timm

Die Feuilletons kommentieren, dass mit Anselm Kiefer zum ersten Mal ein bildender Künstler den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Die "Zeit" beklagt, dass Choleriker und Selbstdarsteller vom Kaliber eines Klaus Kinski aussterben. Die "Welt" untersucht kurz vor Beginn der Fußball-EM, warum in den Imperien des Sports die Regeln der Demokratie nicht gelten.
"Du dumme Sau!" Nein, Sie sind nicht gemeint. Und Sie fühlen sich wahrscheinlich auch nicht angesprochen. Genauso wenig wie die Pressebeschauerin. Und das ist das Problem! - Oder doch ein Teil davon.

"Du dumme Sau!" – der Satz, der dem legendären Schauspieler und Selbstdarsteller Klaus Kinski einst so hasserfüllt-rotzig-gern und dementsprechend häufig über die Lippen kam, liefert der ZEIT die Überschrift für einen regelrechten Sehnsuchtsartikel nach besseren, härteren, in der Auseinandersetzung direkteren Zeiten. Die Choleriker sterben aus, und der junge polnische Schriftsteller und Journalist Adam Soboczynski findet das schade.

"Affektdiszipliniert" sei unsere Zeit, voll "ritualisierter Gefechte", und während man gerade noch denkt, dass das doch auch sein Gutes hat, fängt man an, gemeinsam mit dem Autor die Fähigkeit zu berserkerhafter Wut zu vermissen. Was für den Essay in der ZEIT spricht.

"In wenigen Jahrzehnten ist offenbar etwas verloren gegangen: das öffentliche Unbehagen an der Zivilisation, dass ein Choleriker wie Kinski rasend zum Ausdruck bringen konnte."

Nie würden Angela Merkel oder Kurt Beck Journalisten als Schmeißfliegen verunglimpfen wie einst Franz Josef Strauß – aber es fehlen eben auch Politiker seines Temperaments. Demonstrative Coolness hat den augenblickhaften Zorn komplett verdrängt, und das bedauert Soboczynski in der ZEIT. Wobei es mit der Coolness ja auch nicht mehr so weit her ist.

"Im letzten James-Bond-Film saß der Held irgendwann weinend unter der Dusche, umarmt vom Bond-Girl, das er in besseren Zeiten im Bett empfangen hatte."

Oha.

"Im Sport ist das Männliche noch am deutlichsten in allen Gesellschaftsbereichen dominant … Es ist das Anarchische, Rohe, Ungefügte, das uns am Sport fasziniert."

Das ist jetzt nicht die testosterongeschwängerte Antwort auf das Fehlen der Choleriker. Wir sind in der WELT, wo Holger Kreitling untersucht, warum in den Imperien des Sports die Regeln der Demokratie nicht gelten. Die WELT schlägt eine Brücke von den älteren Herren der heutigen Sportbürokratie, denen meist

"eine sportliche Vergangenheit nicht mehr anzusehen ist"

zu den

"tollen Tagen am Hofe der Cäsaren". "

Zum Kaiser Elagabal, um genau zu sein, dem die Politik herzlich egal war, nicht aber der Sport. Oder zu Nero, der stets gewann. Und der, wenn er nicht gewann, zum Sieger erklärt wurde …

Und damit zum "überraschenden", "kühnen" Gewinner des Tages, Anselm Kiefer, dem als erstem bildenden Künstler der Friedenspreis des deutschen Buchhandels zuerkannt wird. Staunen darüber findet sich in allen Feuilletons, von einer "exzentrischen Entscheidung" spricht die FRANKFURTER RUNDSCHAU, weil Anselm Kiefer "dem kollektiven Kunstgedächtnis als Hitlergruß schwingender junger Provokateur eingeschrieben" sei.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und FRANKFURTER ALLGEMEINE heben beide hervor, dass Anselm Kiefer ein auch literarisch hoch gebildeter Künstler sei.

" "Ohne die Lektürespuren der Philosophen, etwa Heideggers, und der Dichter wie Ingeborg Bachmann und Paul Celan ist sein Werk nicht zu denken", " so die FAZ.

" "Die Bücher, die es von Anselm Kiefer gibt, bestehen aus Blei, aus Ton, aus Acryl, manchmal auch aus Blattsilber oder Karton", "

so die SÜDDEUTSCHE mit Blick auf Skulpturen Anselm Kiefers.

" "Völkerverständigung ist von ihm nicht zu erwarten. Würde er diesem öffentlichen Begehren nämlich nachgeben, dann wäre er als Künstler gescheitert", "

tönt die FAZ. Nur, sind nicht bislang stets Menschen, die sich die Verständigung zur Herzenssache gemacht haben, zu Friedenspreisträgern erkoren worden?

" "Viel wird deshalb davon abhängen, welche Worte der gelehrte Künstler in der Paulskirche wählen wird", "

meint die FRANKFURTER RUNDSCHAU skeptisch, während die FAZ die Entscheidung zwar "kühn" findet, aber auch umso plausibler, "je mehr man über sie nachdenkt". Und weiter heißt es hier zum neu gekürten Friedenspreisträger Anselm Kiefer:

" "Erfreulich, dass eine so hochangesehene Auszeichnung wie der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels die Risikobereitschaft aufbringt, ein Werk zu ehren, das nicht schon von vornherein einen erwartbaren Diskursbetrieb bedient. Der Überdruss an dieser Maschine muss sich sehr verstärkt haben."