Von Ulrike Timm

Auch die Feuilletons beschäftigen sich mit dem Börsencrash. Die "Berliner Zeitung" nennt Goethes "Faust" in verschiedenen Bühnen-Umsetzungen einen "Held der Leistungsgesellschaft". Außerdem finden sich in den Feuilletons Nachrufe auf den amerikanischen Schauspieler Heath Ledger, der im Alter von 28 Jahren starb.
Heinrich Heine erzählte einmal, dass ihn ein Französischlehrer fragte: "Was heißt auf Französisch: Der Glaube?". Heines Antwort: "Le Crédit". Der Lehrer fand das falsch. Manfred Schneider von der FRANKFURTER RUNDSCHAU findet diese Antwort heute, 200 Jahre später, vollkommen richtig. Denn zu den etablierten Weltreligionen habe sich schließlich ein weiterer globaler Glaube hinzugesellt:

"der ökonomische Glaube an das Heil durch Handel mit fiktiven Werten."

Dieser Glaube hat durch den großen Börsencrash jetzt ordentlich einen auf die Mütze bekommen, und doch:

"Während die Zeugnisse über das Erscheinen der Götter auf Erden, wie man weiß, nicht völlig seriös sind, so war die Wertlosigkeit der faulen Kredite verbrieft. Dennoch war es möglich und wird es wieder möglich sein, auf den Glauben namens crédit neue, zügellose Geschäfte aufzubauen."

Für seine privaten Spekulationen beim Roulette und an der Börse ist jeder selbst verantwortlich, allerdings sei die Vorstellung schockierend – und das meint sicher nicht nur der Kollege der FRANKFURTER RUNDSCHAU –, dass nun die Manager etwa von Landesbanken auf den Finanzmärkten Roulette spielten, weil ihre Institute mehr sein wollen – oder müssen – als Kreditgeber. "Fehlspekulationen", das sei dafür ein gar zu harmloses Wort, eine "Wortdroge", zumal die Banken womöglich später ihre Spekulationsverluste Steuer mindernd geltend machen würden.

"Nennen wir das, was uns als ‚Fehlspekulation’ das Gehirn zu vernebeln sucht, lieber ‚kollektiven Spekulationsaberwitz’, ‚globales Immobilienblasendelirium’ oder ‚manisches kreditwirtschaftliches Gewinnirresein’", "

so die FR. Machen wir. Gerne. Aber ob uns das rettet, zumal jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist? Ähnlich wie die FR meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG :

" "Alles heiße Luft."

Burkhard Müller beschreibt die Finanzkrise als eine große Vertrauenskrise, und bemüht gar Schillers Fiesco, der die Banken und ihre Kunden lehre:

"Je mehr man vom Vertrauen redet, desto weniger Grund gibt es dafür."

Das klingt sehr schön und liest sich gut, allein wir vermuten doch, dass Schillers verwinkeltes Verschwörungsdrama verglichen mit den labyrinthischen Zügen des internationalen Finanzwesens ein Hort der Übersichtlichkeit ist.

Und damit von Schiller zu Goethe und vom Börsencrash zu einem Helden der Leistungsgesellschaft, denn ein solcher ist Goethes Faust in einigen Bühnenlesarten, die Dirk Pilz für die BERLINER ZEITUNG zusammengestellt hat. Der Faust sei – jenseits vom Weihespiel eines Peter Stein – eben auch ein großes Stück der unterhaltenden Literatur, das manchmal zwar eher als "fröhliches Diskurs-Gulasch" daherkomme, aber nicht ohne Grund derzeit auf so vielen Bühnen gespielt würde:

"Der ‚Faust’ nicht mehr als klassische Selbstverständlichkeit, sondern als offenes Forschungsgebiet der Bühne."

Die Pressebeschauerin denkt an den zweiten Teil samt Inflation, Verschwendungssucht und Papiergelderfindung und fürchtet sich jetzt ein bisschen, dass jemand den ‚Faust’ auch noch zur Lösung der aktuellen Finanzkrise heranzieht ...

Alle Feuilletons trauern um Heath Ledger, der mit nur 28 Jahren starb. Seine berühmteste Rolle: der schwule Cowboy in Ang Lees Filmdrama Brokeback Mountain. Ledger zeigte ihn als einen Mann, zerrissen zwischen homosexueller Liebe und Vernunftehe, "ein fast Verstummter, dem schier der Mund zugenäht war", so die WELT, und die taz meint:

"Damit gelang Ledger wie vielleicht keinem anderen Schauspieler vor ihm eine profunde Darstellung schwulen Selbsthasses und verinnerlichter Homophobie – eine Darstellung, die gerade deshalb so anrührend ist, weil sie sich zum Portrait eines Mannes weitet, der sich auf tragische Weise selbst im Weg steht."

Die Zeitungen ziehen Parallelen zu den ebenfalls viel zu jung Verstorbenen James Dean und River Phoenix, und die FRANKFURTER ALLGEMEINE sagt mit den Worten des Regisseurs Todd Haynes, in dessen Bob- Dylan- Film Ledgers ebenfalls mitwirkte,

"Ledger sei in einer Welt, in der erwachsene Männer mit rückwärts gedrehten Baseballkappen herumliefen und nie erwachsen werden wollten, ein Mann von großer Reife. Das sagte er, als niemand damit rechnen konnte, dass dieser Satz ein Epitaph sein würde."