Von Ulrike Timm

Über einen Versuch in Großbritannien, Raucher zu Leseratten zu machen, berichtet "Der Spiegel", die "Welt" blickt zurück in eine Zeit, als Bahn fahren noch ein Abenteuer war und Lokführer ein Traumberuf, und mehrere Blätter beschäftigen sich noch einmal mit der von Doping-Skandalen erschütterten Tour de France.
"Auf diese Idee hätte die Bundesgesundheitsministerin mal kommen sollen","

meint der SPIEGEL. Seit vor einem Monat in Großbritannien ein öffentliches Rauchverbot in Kraft trat, verpackt nämlich eine Londoner Werbeagentur literarische Klassiker in Zigarettenschachteln, Miniformat, mit Klappdeckel, Schutzfolie und Goldband.

""'Geschichten, die dir den Atem verschlagen' heißt denn auch die Devise, mit der die cleveren Vermarkter ihre unter Entzugserscheinungen leidenden Landsleute von Nikotinfressern zu Leseratten umpolen wollen."

Kunst statt Dunst also, Lesen macht süchtig - und ist doch gesund. .

"Eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze schnaubende Ungetüm war vorüber","

hier wird nicht von Hand geraucht, hier qualmt die Lok, und das Zitat aus Gerhard Hauptmanns "Bahnwärter Thiel" ziert auch keine Zigarettenschachtel, wir haben es der WELT entnommen. Hier beschäftig sich Ulrich Baron so informativ wie schön zu lesen mit der Erinnerung - an Zeiten, in denen die Bahn noch eine Urgewalt war. Und Streiks und Privatisierung sehr fern.

Wir erfahren, dass der Lokführer der ersten Lokomotive Deutschlands 1500 Gulden verdiente, sein oberster Dienstherr dagegen nur 1200 Gulden. Ob Herr Mehdorn die Geschichte kennt?

""Kein Verkehrsmittel hat unsere Welt so tiefgreifend verändert wie die Eisenbahn","

meint die WELT, und entführt uns ins Jahr 1829, wo die preisgekrönte Lokomotive "Rocket" mit der raketengleichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 22,2 Stundenkilometern durch England schnaufte. Was dem bayerischen Ober-Medizinal-Kollegium zutiefst suspekt war.

""Die schnelle Bewegung muss bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit, eine besondere Art des Delirium furiosum erzeugen. Wollen aber dennoch Reisende dieser grässlichen Gefahr trotzen, so muss der Staat wenigstens die Zuschauer schützen, denn sonst verfallen diese beim Anblick des schnell dahinfahrenden Dampfwagens genau derselben Gehirnkrankheit."

Der Rückblick in die Zeit, als Bahn fahren noch ein Abenteuer war und Lokführer ein Traumberuf, steht in der WELT.

Wie war das? Mit 22 Stundenkilometern schnauft die erste Lok durch England? Die hätte ein durchschnittlicher Tour-de-France-Fahrer abgehängt, auch ungedopt und auf Bergetappen ... Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG spricht zum Abschluss der Tour de Pharmazie mit EBU-Chef Fritz Pleitgen über die Konsequenzen für den Sportjournalismus und den Radsport. Möglicherweise hat der deprimierende Verlauf dieser Tour ja doch sein Gutes, weil er das Elend schonungsloser offenlegte als früher. Trotz der vielen Doping-Fälle meint Pleitgen:

"Diese Tour war mit Sicherheit sauberer als die Tour, bei der Jan Ulrich mit seinem Sieg ganz Deutschland aus dem Häuschen brachte. Und im nächsten Jahr wird die Kontrolle noch durchgreifender sein. Deshalb sollte die Tour nicht, wie es viele fordern, in den Orkus fahren","

so Pleitgen gegenüber der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Er hält den Ausstieg von ARD und ZDF aus der Übertragung für einen "politischen Erfolg" - jetzt müsse man in der Sache vorankommen.

Wenig zuversichtlich sieht das Manfred Flügge in der WELT. Er glaubt an keine "Operation saubere Waden", vermisst aber die vielen kleinen Reportagen am Rande schmerzlich, die die Tour immer auch zu einer Studienreise in französischer Landeskunde machte, und empfiehlt dem Radsport traurig-sarkastisch, sich einfach das Catchen zum Vorbild zu nehmen, jenes Beiss-Prügel-Schlag-Schauspiel, wo eigentlich alles erlaubt ist.

""In der Welt des Catchens ist alles exzessiv, nämlich ein Spektakel und kein sportlicher Wettkampf. Das Schummeln gehört dazu, aber dem Publikum ist es egal ... Die Überschreitung von Regeln, die nur scheinbar gelten, gehört zum Prinzip des Spiels."

Auch eine Möglichkeit. Aber, abgesehen von Ringen und Radfahren, ist die Welt des Catchens nicht überhaupt sehr groß?