Von Ulrike Timm

Günther Jauch erntet bei den Feuilletons Verständnis für seine Entscheidung, die Nachfolge von Sabine Christiansen abzulehnen. Und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, dass 70 Jahre nach dem Tod von Karl Kraus nun 922 Nummern seiner legendären „Fackel“ im Internet abrufbar sind.
„’Die Fackel im Netz!’ – das klingt schon, als würde ihr Gewalt angetan. ‚Kraus zum Durchklicken’ – das tönt nach Totenschändung, wenn nicht Ärgerem",“

schreibt Eva Menasse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Karl Kraus, der begnadete Publizist, Satiriker, Lyriker und Aphoristiker, starb vor 70 Jahren; damit sind die Rechte an seinem Werk frei und 22.500 Seiten, 37 Jahrgänge und 922 Nummern der legendären „Fackel“ sind jetzt im Internet „abrufbar“. Und die Schriftstellerin Eva Menasse, die dieses Kultwerk unter Intellektuellen oft so edel präsentiert wie unbenutzt in Privatbibliotheken stehen sah, rümpft in der FAZ erst ein bisschen die Nase und macht sich dann doch mehr als bloß einen Jux, Zitat:

„"Man gibt zum Beispiel ‚Hitler’ ein und erhält ‚100 hits’, als hätte Karl Kraus Wert auf eine runde Zahl gelegt. Man gibt ‚Journaille’ ein und erhält ‚107 hits’, sieben mehr, denn das Übel Journaille ist ja widerstandsfähiger als noch der langlebigste Massenmörder. Was aber heißt das? Die Welt des Karl Kraus wird betretbar, ohne Artenschutz. Die ‚Fackel’ wird in ihren Urzustand zurückgeführt, da sie in Teilen erschien, Heft für Heft, für den zeitgenössischen Leser durchaus verdaulich. Nur in der Abgeschlossenheit zwischen Buchdeckeln stand sie unbezwingbar da wie ein Ritter mit geschlossenem Visier“, "

soweit Eva Menasse in der FAZ. Karl Kraus, der in seiner verzweifelt-bösen Schreiblust die „Journaille“ und den „Tintenstrolch“ erfand, um die Redseligen oder bloßen Abschreiber der Journalistenzunft zu entlarven, hätte – würde er heute leben – bestimmt auch schöne Aphorismen zum „Rundfunkrat“ oder „Aufsichtsgremium“ parat gehabt…"Eine größere Pleite für die ARD ist gar nicht denkbar“ schreibt nicht nur die FAZ. Und damit haben das Thema gewechselt, „Moderator dringend gesucht!“ heißt es nach der Absage von Günter Jauch im Tagesspiegel und bei den Granden der ARD. Jauch will Sabine Christiansen nun doch nicht beerben, weil er im Verantwortlichkeitsdickicht der ARD um seine Freiheit fürchtet, und das können die FAZ, der Tagesspiegel und die Süddeutsche Zeitung ganz gut verstehen. Hans Leyendecker hat für die Süddeutsche die Unterlagen der 544. Sitzung der 47 Rundfunkräte des Bayerischen Rundfunks recherchiert, wo die Vertreter von Bauernverband, Heimatvertriebenen, Staatstheater, Gewerkschaften und Parteien ihre Sicht der Dinge einbrachten, auf dass der Sonntagabend nach Sabine Christiansen prächtig gedeihe. Diese Diskussionen dann mal neun genommen, für jede ARD-Anstalt eine, und nicht nur Günther Jauch packt das kalte Grausen ob der vielen Köche des Breis…

„"Der Star und die grauen Eminenzen“ – schreibt die Süddeutsche, und weiter: „Als er im vergangenen Jahr das Angebot erhielt, die Christiansen-Nachfolge zu übernehmen, hatte er seinen Freund Harald Schmidt um Rat gebeten. Die knappe Empfehlung: ’Du darfst nur mit einem verhandeln’…’kein Gremium, nichts.’ Alles andere sei ‚der Wahnsinn’“. "

Nun jedenfalls hat nicht nur die ARD ein Problem, sondern es haben auch die Zeitungen was zu schreiben: von Frank Plassberg über Reinhold Beckmann bis zu Ulrich Wickert reichen die Spekulationen, wer einen der prestigeträchtigsten Sendeplätze denn nun übernehmen sollte. Bis das raus ist, können wir ja in aller Gemütsruhe Radio hören. Oder mal wieder Karl Kraus ganz altmodisch gedruckt lesen, statt ihn zu googlen. Das tut auch die Schriftstellerin Eva Menasse, die für die FAZ die Internetausgabe der Fackel testete, immer wieder gern.

„"Das Suhrkamp-Taschenbuch jedoch, ‚Karl Kraus: Aphorismen’, ist ein Vademecum. Wo immer es steht oder sogar liegt (gerade erst benutzt!) hat es Eselsohren.“

Da stehen ja auch wirklich wunderbare Sätze drin, wie dieser: „Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.“ Nur so als Beispiel….