Von Ulrike Timm

Die Feuilletons berichten, dass Jürgen Habermas eine einstweilige Verfügung gegen Joachim Fests Buch "Ich nicht" erwirkt hat und dass der Verlag daher eine geänderte Fassung auf den Markt bringt. Außerdem: Der Schriftsteller Thomas Brussig meint, in Berlin lasse es sich auch ganz gut ohne viel Geld leben. Und Günter de Bruyn wird aus Anlass seines 80. Geburtstages geehrt.
Joachim Fests Buch "Ich nicht" wird um ein paar Absätze kürzer, der Philosoph Jürgen Habermas nämlich hat eine einstweilige Verfügung gegen das Buch des verstorbenen Historikers erwirkt – wegen übler Nachrede. Es geht um Fests Andeutung, Habermas habe auf einer Party womöglich ein glühendes Bekenntnis zu Hitler verschluckt. Jetzt melden alle Feuilletons, dass der Rowohlt-Verlag zwar der gerichtlichen Anordnung folgt und ab Montag eine Auflage der Fest-Erinnerungen ausliefert, die die beanstandete Passage ausspart, zugleich aber Einspruch einlegt. Die Geschichte machte als so genannte "Schluck-Affäre" vor einigen Tagen aufgeregt die Feuilleton-Runde, Anlass war ein Artikel von Jürgen Busche in der Zeitschrift "Cicero", der sich unter der Überschrift "Hat Habermas die Wahrheit verschluckt?" mit dem seit Jahrzehnten in Intellektuellenkreisen kolportierten Gerücht auseinander, wonach der Philosoph einen von ihm als Mitglied der Hitlerjugend ausgefüllten Vordruck-Zettel verschluckt haben soll. In etlichen deutschen Feuilletons war Busche deswegen vorgeworfen worden, Habermas mit infamen Spekulationen diffamieren zu wollen. Norbert Mayer greift das jetzt in der PRESSE aus Wien noch einmal auf:

"Diese Anekdote, die Fest nach dem Stille-Post-Prinzip erfahren hat, klingt läppisch und ist es auch, aber der Kopf ist Habermas,…..also muss es sich um einen Skandal handeln…Die Erregung geht um Folgendes: Ein Vierzehnjähriger ist in der Hitlerzeit Sanitäter. Ein Zwölfjähriger wird von ihm schriftlich ermahnt, dem Dienst nicht fernzubleiben. Auf einem postkartengroßen Blättchen. Da kann man nur sagen: runterschlucken. Vergessen wir’s. Was ist eigentlich aus der Debatte über die deutsche Unterschicht geworden?"

Diese Debatte versucht der Schriftsteller Thomas Brussig in der Sonntagsausgabe des TAGESSPIEGELs wieder aufzugreifen, wenn er unter der Überschrift "Auch eine Art Avantgarde" schreibt, dass man in Berlin mit wenig Geld ganz gut leben kann. Anders als in München. Das wussten wir schon. Und auch wenn Brussig einmal mehr das Hohelied auf die Armut als Chance singt, die für ihn u.a. darin besteht, dass man in Berlin für fünf Euro ins Theater gehen kann, sind seine Beobachtungen zwar nett zu lesen, aber genauso Allgemeinplatz.

"München bleibt die Hauptstadt der schönen Lebensart – für alle die Geld haben. Berlin jedoch hat das Zeug, die Hauptstadt der mittellosen Lebensart zu werden."

Nun denn. Vielleicht brauchte Brussig gerade Geld. Spannender wird es im Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, wo fünf Kollegen sich zwecks Recherche mal so richtig ausgetobt haben:

"Es ist so herrlich einfach. Ein Klick auf den Button ‚Seite bearbeiten’ und man ist Herr über die Begriffe der Welt. Lässt bei Ronald Reagans Vereidigung schwule Bands aufspielen…Oder Neil Armstrong bei seinem Mondspaziergang eine kleine Depression ereilen."

Wie fälschungssicher Wikipedia, die große Online-Enzyklopädie, ist, das wollten die Kollegen ergründen und machten den Praxistest, Fazit: 5 ihrer 17 gefälschten Beiträge standen noch gestern Abend im Netz…

"Vandalismus ist das Hauptproblem der Wikipedia, des Online-Lexikons, bei dem jeder mitschreiben kann", schreibt Alex Rühle in der Süddeutschen, "Die größte Enzyklopädie der Welt, zusammengetragen von uns allen. Jeder weiß was, also soll auch jeder mitbauen können am demokratischen Wissensspeicher."

Und das schafft in der wuchernden Wissenswüste eben – pardon – auch jede Menge Platz für Stuss, frisch zu googlen. Der Artikel über Wert und Wust bei Wikipedia steht in der Süddeutschen. dtv und Brockhaus haben allen Internet-Lexika zum Trotz noch einmal gedruckte Enzyklopädien vorgelegt, Hendrik Werner schreibt den, "verdienstvollen Sauriern der Wissensvermittlung" einen wehmütigen Nachruf in der WELT. Im dtv Lexikon fehlt übrigens zwischen "Wikingerzeit" und "Wil" ein neuzeitliches Stichwort: "Wikipedia"…Ihm einen gedruckten Artikel zu widmen, das haben die verdienstvollen Saurier wohl einfach nicht übers Herz gebracht.

Sämtliche Zeitungen würdigen den Jubilar dieser Woche, den Schriftsteller Günter de Bruyn, aus Anlass seines 80. Geburtstages. De Bruyn lebte seine selbst gewählte Außenseiterrolle, seine bürgerlich-katholische Distanz zur DDR so leise und zugleich so konsequent, dass er für viele seiner Leser zur moralischen Instanz wurde – ihm wäre das sicher ein gar zu lauter Begriff. Märkische Landschaft und Geschichte sind, gleichsam auf den Spuren Fontanes, eines der Lebensthemen Günter de Bruyns. Gustav Seibt bewundert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den "kunstvoll gedämpften, leise humoristischen, raffiniert schlichten Ton, der ihm eigen ist".

Im vielleicht eindringlichsten Gruß, den die FRANKFURTER RUNDSCHAU druckt, gratuliert sein Lektor Thomas Sparr, und erzählt:

""Einmal saß Günter de Bruyn in meinem Büro, die Arbeit war getan, seinen Lektoren hat dieser Autor nie viel davon bereitet, stets aber Leseglück beschert, eine Lesung am gleichen Abend stand an, die Zeit bis dahin könnte doch plaudernd überbrückt werden. Da sagte unser Autor: ‚Ach, wissen Sie, wir müssen gar nicht reden.’ Im Gedröhn unserer Gegenwart bewahrt Günter de Bruyn seine leise lautere Stimme."."