Von Ulrike Timm

Die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", die "ZEIT", der "Tagesspiegel" und die "Frankfurter Allgemeine" beschäftigten sich in der vergangenen Woche vor allem mit dem Tod Osama bin Ladens, mit den Filmfestspielen in Cannes und der bevorstehenden Volkszählung.
Auch die Liquidierung des Feindes Nr. 1 ist ein Vorgang, unter den man einen Schlussstrich zieht. Die amerikanische Bundespolizei hat jetzt eine Sorge weniger. Auf der FBI-Homepage steht unter dem Bild Bin Ladens seit Montag Nachmittag ganz schlicht: Verstorben. Die Diskussionslawine in den Zeitungen rollte da gerade erst an, eine Mischung aus Triumph, Erleichterung und Skepsis, "Justice has been done" war der Satz der Woche, und er klingt so ungleich viel nüchterner und umfassender als die überall zitierte deutsche Übersitzung von der Gerechtigkeit, der Genüge getan wurde, fand die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Der Leichnam, schnell ins Meer gekippt, hätte man ihn zeigen sollen? Die amerikanische Regierung hat sich dagegen entschieden, gleich mehrere Feuilletons widmeten sich dem archaischen Drang des Menschen, die Bilder von toten Erzfeinden zu sehen und präsentierten eine Galerie toter Diktatoren von Mussolini bis Ceausescu. Und die SÜDDEUTSCHE fragte doch glatt angesichts der fixen Seebestattung, die islamischen Gepflogenheiten nicht entspricht:

"Kommt Osama bin Laden trotzdem ins Paradies, weil er als Märtyrer gestorben ist?"

Al Kaida jedenfalls hat in letzter Zeit sehr an Bedeutung verloren, da hunderttausende Menschen im arabischen Raum ihr Schicksal selbst wendeten und mehr demokratische Rechte herbeidemonstrierten, heißt es übereinstimmend in mehreren Zeitungen – aber Osama bin Laden war eben der Kopf, die Schreckens- und Symbolfigur. In der ZEIT beschrieb Thomas Assheuer, warum bin Laden, der als schwerreicher junger Mann mit seinem Clan durch Europa gejettet sei,

"kein mittelalterlicher Finsterling war, sondern ein Produkt der modernen Weltgesellschaft. [...] Bin Laden inszenierte sich als Gegenfigur zur Moderne und spielte doch mit diabolischem Geschick auf der Klaviatur ihrer Wünsche und Selbstzweifel,"

lesen wir in der ZEIT. Und Caroline Fetscher zeigt sich im sonntäglichen TAGESSPIEGEL einigermaßen erstaunt über die sehr deutsche Diskussion, ob man einen Massenmörder töten dürfe, und meint:

"Für uns sollte der oberste Maßstab sein, Massenmord und Terror zu verhindern. So klug es geht, und zur Not eben mit der Gewalt, die dem Widerstandsrecht entspringt."
Und damit schauen wir voraus statt zurück. "Jetzt verstehe ich – ich bin ein Kaiser", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN - in der kommenden Woche beginnen die Filmfestspiele von Cannes. Zwar werden auch hier heute vorwiegend Geschäfte gemacht, die Zeiten, als Volker Schlöndorff in einem alten VW über den Brennerpass bretterte, um am Strand von Cannes mit den vielen weltberühmten Regisseuren viel zu rauchen, viel Wein zu trinken und viele Ideen zu spinnen, sind vorbei, aber.

"Was es heißt, ein Star zu sein, damals wie heute, darum geht es in Cannes im Zentrum auch. Paul Newman [...] erzählte einmal davon, wie er zum ersten Mal die Stufen mit dem roten Teppich hochging, sich in der Mitte umdrehte und eine Menge von achttausend Leuten sah, die ihm zujubelte, 'I get it', sagte er, 'I’m an emperor now.' Was zeigt, dass die Stufen von Cannes auch für die Größten noch eine Überraschung bereithalten","

so die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Und bei uns heißt es ab Montag: Wer sind wir – und wenn ja, wie viele? Acht Millionen Bürger müssen Auskunft geben, über Schulabschluss und Beruf, über Migrationshintergrund und Religionszugehörigkeit - und nur bei dieser letzten Frage darf man passen. Deutschland macht Inventur, auch wenn Datenschützer das für sinnlos halten. "Hosen runter" meint Peter Körte in seinem Pro zur Volkszählung in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung,

""so ungern man Daten über sich selbst preisgibt, deren Verwendung nicht transparent ist, so sehr wundert einen die an Schizophrenie grenzende Haltung, dass Leute im Internet zwar die Hosen runterlassen, aber die Zimmerzahl ihrer Wohnung für ein Arkanum halten."

"Zählen, ich bitte Sie: dafür habe ich meinen Computer", hält Claudius Seidl direkt darunter dagegen in seinem Contra zur Volkszählung.

"Ich dachte also, meine Existenz sei einigermaßen erwiesen – und jetzt kommen die Volkszähler und sagen, sie wüssten nicht so recht, ob es mich gebe, womöglich lebten in Deutschland ein paar Millionen Menschen weniger, als sie bislang dachten, und um sich Gewissheit zu verschaffen, werde jemand kommen, an der Tür klingeln und mich persönlich um ein paar Auskünfte bitten."

Ob der schottische Aufklärer David Hume bereitwillig Auskunft geben würde über Zimmerzahl und Berufsabschluss, das wissen wir nicht, der Philosoph ist lange tot, sein 300. Geburtstag war der FRANKFURTER RUNDSCHAU ein schönes, ausführliches Dossier wert. Wie modern der Mann war! An seinem Atheismus erhitzte sich die Gesellschaft, als Jura-Studienabbrecher kassierte er Familienschelte, sein Philosophie-Studium empfand er als quälend: Die Gedankengebäude, die Hume dort betreten musste, glichen, bei näherem Hinsehen,

"architektonischen Ungetümen, die eher zum systematischen Verlaufen einluden denn zur konsequenten Erkundung."

Und deshalb räumte David Hume auf. Verlangte, dass die Moral von Menschen sich am gesellschaftlichen Zusammenleben und an der Lebenserfahrung orientieren sollte, dass auch ein Philosoph vor allem ein Mensch zu sein habe und produzierte – vielleicht deshalb – einen der bemerkenswertesten anfänglichen Misserfolge der philosophischen Literatur, seinen "Traktat über die menschliche Natur", 1739, heute ein berühmter Klassiker. Daraus zitiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU den Satz:

"Keine Zufälligkeit irgendwo im Universum, keine Gleichgültigkeit, keine Freiheit: Während wir handeln, wird gleichzeitig an uns gehandelt."