Von Ulrike Timm

Von Friedens- und Literaturnobelpreisträgern, der Frankfurter Buchmesse und von einem weisen Fußballtrainer war die Rede in den Feuilletons der vergangenen Woche.
Twitter war fix: "Ich freue mich für ihn und die chinesische Zivilgesellschaft" schrieb dort ein geistiger Mitstreiter des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiabao, eine Stunde später dann ergab die Nachfrage bei der größten chinesischen Suchmaschine Baidu diesen Bescheid: "Die Ergebnisse entsprechen nicht einschlägigen gesetzlichen und politischen Regelungen und werden deshalb nicht angezeigt."

"Bis zuletzt scheint die chinesische Regierung nicht an den Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo geglaubt zu haben. Die Bekanntgabe konnte im chinesischen Internet noch live verfolgt werden. Gleich danach begann für die Zensoren der Wettlauf mit der Zeit", informiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. China sah erst mal rot, und angesichts der beleidigten Reaktionen der chinesischen Staatsführung kann das Osloer Nobelkomitee wohl davon ausgehen, eine Menge richtig gemacht zu haben. Vor einigen Wochen schon hatte Pekings Vizeaußenministerin Norwegen besucht und vor einer Verschlechterung der Beziehungen gewarnt, die Sprache des Politbüros. Nicht nur angesichts von jeder Menge Öl in der Nordsee können es sich die Norweger aber leisten, bei Freunden wie Geschäftspartnern wählerisch zu sein. Ob Liu Xiaobo aber von seiner Ehrung weiß? Derzeit sitzt er in einem Gefängnis. Seit mehr als 20 Jahren kämpft der promovierte Literaturwissenschaftler mit Vorliebe für deutsche Philosophen für mehr Freiheiten in China. Er war gewählter Präsident des unabhängigen chinesischen PEN und wurde wegen Unterzeichnung der Charta 08 im vergangenen Jahr zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erklärt uns, dass es inzwischen in China eher die Ausnahme ist, missliebige Intellektuelle ins Gefängnis zu stecken, die Zensur geht gegen unerwünschte Stimmen meistens subtiler vor: Es "werden in aller Stille die Redakteure und Herausgeber bestraft, Medien und Verlage geschlossen. Was den effizienten Nebeneffekt hat, dass die Autoren keinerlei Kanäle mehr haben, wenn die Medien gehorchen. Genau aus diesem Grund bezeichnete Liu Xiaobo das Internet vor einigen Jahren mal als 'Geschenk Gottes an China'. Seine Charta 08, der er den Nobelpreis zu verdanken hat, zirkuliert noch immer im Netz."

"Die Inquisition verbot 300 Jahre lang den Roman in Lateinamerika. Sie wusste, was für staatsgefährdende Wirkung Literatur auf den menschlichen Geist haben kann." Wir sind beim zweiten "Mann der Woche", dem Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der mit diesem Satz in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zitiert wird. Eine Wahl, so "naheliegend", das niemand auf ihn wetten wollte, heißt es bei Times Mager in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. Der große lateinamerikanische Romancier wandelte sich vom kommunistischen Rebellen zum Liberalen, kandidierte sogar einmal fürs Präsidentenamt seiner peruanischen Heimat, und kehrte, nachdem er gegen den späteren Alleinherrscher Fujimori unterlegen war, an den Schreibtisch zurück. Als Schriftsteller schwärmt Vargas Llosa vom Maßlosen, von starken Gefühlen, Abenteuer, Utopie – aber sein Credo für das wahre Leben ist: "Die Demokratie ist die Negation der Utopie", schreibt SPIEGEL Online. Auch wegen der vielen Brüche in seiner Biografie wurde aus ihm "kein kuscheliger, sexy Latin Writer, sondern eine eher vernunftgesteuerte, nordisch anmutende Autorenpersönlichkeit", meint SPIEGEL -Autorin Helene Zuber und hat dabei wohl bei aller Anerkennung manch fröhlich-saftig-erotische Passage außen vor gelassen. Schade eigentlich. Dass Vargas Llosa auch ein viel und gern gelesener, eben populärer Erzähler ist, und nicht mehr gar so experimentierfreudig wie in seinen frühen Romanen, nehmen ihm einige wie gewohnt übel, für die TAZ ist der neue Literaturnobelpreisträger schlicht der "Dinosaurier seiner Generation". Die ausländische Presse aber feiert Mario Vargas Llosa einhellig, Lateinamerika steht sowieso Kopf, und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG platzt Schriftstellerkollege Daniel Kehlmann fast vor Freude: "Eine bessere Wahl wäre nicht möglich gewesen!". Marcel Reich-Ranicki meint: "Im Gegensatz zu früheren Jahren ist diese Entscheidung gar nicht so dumm." Prüfen Sie selbst, im November erscheint das neue Buch von Mario Vargas Llosa, zu dessen Lesungen die FRANKFURTER RUNDSCHAU schnippisch-subtil anmerkt: "Während der Signierstunde lächelt der attraktive, stets sehr gepflegte (Vargas Llosa) seinen Lesern, vor allem aber seinen Leserinnen so charmant ins Gesicht, dass man sich immer ein wenig an Auftritte von Julio Iglesias erinnert fühlt."

"Lebendig, golden und eigentlich viel zu schön für eine Branche, die so gern klagt", dies vorläufige Fazit der Buchmesse zieht die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. Erstmals und endlich, so meint Volker Weidermann, sei das E-Book nicht mehr als fundamentales Unheil und Bedrohung der gesamten geistigen Welt abgekanzelt worden, sondern wurde als zusätzliches Medium der Zukunft gewürdigt. "Wer dieses Jahr auf der Messe einen kleinen Aufmerksamkeitspunkt sammeln wollte, aber gerade keinen roten Irokesenschnitt parat hatte, setzte sich einfach mit einem möglichst großen elektronischen Lesegerät an eine belebte Wegkreuzung und tat so, als ob er einen internationalen Roman prüfe. Das kam gut an." Und als Gewährsmann für die Stimmung der Woche zitierte die FAS konsequenterweise keinen Nobelpreisträger, nicht die Buchpreisträgerin Melinda Nadj Abonji oder den zum Abschluss am Sonntag noch zu feiernden Friedenspreisträger David Großmann, sondern – Louis van Gaal, Trainer von Bayern München. Der hat nämlich auch ein Buch geschrieben. Keine Ahnung, ob man das lesen soll. Aber die Begründung ist doch schon ein Tor für sich: "Sehen Sie. Ich will etwas bewirken. Ich will etwas verändern. Ich will Einfluss nehmen. Ich habe mir sagen lassen, das kann man mit nichts so gut wie mit einem Buch."