Von Ulrike Timm
"Neue Züricher Zeitung" und "SZ" berichten über das neu eröffnete Burj-Dubai-Hochhaus. Die "FAZ" nimmt das Wachstumsbeschleunigungsgesetz aufs Korn. Die "TAZ" beschäftigt sich mit einer Hörbuchfassung von Marx' "Kapital" und die "Frankfurter Rundschau" mit eine deutsche Neuauflage von Whitmans Gedichten.
Nachdem das Emirat Dubai kürzlich fast pleite ging und das Image in die Tiefe sank, sind die neuen Schlagzeilen himmelsstürmend: Mitten in der Krise eröffnet das Emirat mit dem Burj Dubai das höchste Gebäude der Welt.
Roman Hollenstein von der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG möchte wohl am liebsten mal ganz oben rauf auf den mehr als 800 Meter hohen Turm. Von "baukünstlerischer Meisterleistung" und einer "aus der konstruktiven Notwendigkeit hergeleiteten architektonischen Form" spricht sein Bericht, und auch wenn der Autor der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG weiß, dass Höhenrausch und Größenwahn hier ganz großartig zusammengehen, nähert er sich dem Gebäude mit Bewunderung.
Ist ja auch was. Ein Turm, zu hoch, um ihn vernünftig auf ein Foto zu kriegen, entweder man geht nah ran und verzichtet auf die Hälfte, oder das Ding ragt in der Ferne wie ein spitzer Nagel in die Gegend, und von 0 auf knapp 500 Meter zur Aussichtsplattform geht’s per Lift in 60 Sekunden. Dahin dürfen Krethi und Plethi.
Wer höher hinaus will, für den hat die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG diesen Tipp:
"Wer sich vom Fußvolk unterscheiden will, sich aber keines der von Giorgio Armani gestylten Luxusappartements im Turm leisten kann, gönnt sich vielleicht eine Nacht im Hotel ‚Armani’, das mehrere Etagen des Wolkenkratzers einnimmt."
Allerdings muss man dafür wohl mit etlichen Schweizer Franken klimpern. Burkhard Müllers Artikel zum gleichen Thema liest sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG dagegen griesgrämig, er will wohl nicht einmal mit Krethi und Plethi auf die Aussichtsplattform, spricht vom Burj Dubai als "gebautem Dinosaurier" und gibt dem "Rattenrennen" ums Hoch-Höher-am Höchsten in der Architektur dafür um so mehr Raum.
"Man sieht es diesen Gebäuden an, dass sie fast ausschließlich um des Prestiges willen errichtet wurden…Sie wollen gar keine Häuser mehr sein, eher so etwas wie Mondraketen: auf den Zweck fixiert, in maximale (…) Höhen aufzuschließen, und zu diesem Zweck selbst nur noch ein Mittel","
lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Allerdings mag der Autor das Ulmer Münster, Rekordhalter bei den Kirchtürmen mit gerade mal 160 Meter, auch nicht.
Und wenn Sie unbedingt entscheiden wollen, wer nun Recht hat, NEUE ZÜRCHER oder SÜDDEUTSCHE, dann müssen Sie nach Dubai und selber gucken….
Das Wachstum beschleunigen, nicht in die Höhe, aber in die wirtschaftliche Breite, das will die Bundesregierung. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU nimmt das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in der Glosse "Times mager" auf’s Korn und entlarvt den Begriff als Relikt aus alten Zeiten. Das sei doch eine Art
""Fünf-Jahresplan: Unter einer christlich-liberalen Regierung, ausgerechnet, tritt etwas wieder in Kraft, dessen Überwindung unser System so verzweifelt alternativlos dastehen ließ. Nun taucht die Systemalternative im Herzen des Systems auf: Wachstum + Beschleunigung + Gesetz. Das ist in seiner Anmutung Dialektischer Materialismus vom Feinsten."
Ob Karl Marx mit dieser Deutung zurande käme? Sein "Kapital" jedenfalls ist jetzt als Hörbuch eingelesen, und die TAZ lobt das Ergebnis sehr. Besonders wie Gerd Heidenreich von der "vampyresken Einsaugung lebendiger Arbeit liest", hat es ihr angetan. Sagen wir es mal so: weder das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch die vampyreske Einsaugung lebendiger Arbeit taugen für große Lyrik.
Und so gebührt die Feuilletonkrone des Tages der FRANKFURTER RUNDSCHAU, die gleich zwei komplette Seiten der Gesamtschau des modernen Menschen und dem bahnbrechenden Dichter der amerikanischen Literatur widmet: Walt Whitman. Seine Gedichte sind in neuer Übersetzung auf Deutsch erschienen, widerborstig und sprachdurstig genau von Jürgen Brocan als "Grasblätter" statt wie bislang üblich "Grashalme" übersetzt, und wenn man Jan Wagners Artikel liest und das große Bild von Walt Whitman anschaut, diesen Rauschebart-Denker mit Wildwest-Schlapphut, dann möchte man sofort anfangen, Gedichte zu lesen. Und ganz weit weg sein von himmelsstürmenden Türmen, Wachstumsbeschleunigung und vampyrischem Saugen, scheinbar ganz unten, beim Grashalm, pardon, beim Grasblatt, und der Zeile: "Ich glaube, ein Grasblatt ist nicht geringer als das Tagwerk der Sterne"…..
Roman Hollenstein von der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG möchte wohl am liebsten mal ganz oben rauf auf den mehr als 800 Meter hohen Turm. Von "baukünstlerischer Meisterleistung" und einer "aus der konstruktiven Notwendigkeit hergeleiteten architektonischen Form" spricht sein Bericht, und auch wenn der Autor der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG weiß, dass Höhenrausch und Größenwahn hier ganz großartig zusammengehen, nähert er sich dem Gebäude mit Bewunderung.
Ist ja auch was. Ein Turm, zu hoch, um ihn vernünftig auf ein Foto zu kriegen, entweder man geht nah ran und verzichtet auf die Hälfte, oder das Ding ragt in der Ferne wie ein spitzer Nagel in die Gegend, und von 0 auf knapp 500 Meter zur Aussichtsplattform geht’s per Lift in 60 Sekunden. Dahin dürfen Krethi und Plethi.
Wer höher hinaus will, für den hat die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG diesen Tipp:
"Wer sich vom Fußvolk unterscheiden will, sich aber keines der von Giorgio Armani gestylten Luxusappartements im Turm leisten kann, gönnt sich vielleicht eine Nacht im Hotel ‚Armani’, das mehrere Etagen des Wolkenkratzers einnimmt."
Allerdings muss man dafür wohl mit etlichen Schweizer Franken klimpern. Burkhard Müllers Artikel zum gleichen Thema liest sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG dagegen griesgrämig, er will wohl nicht einmal mit Krethi und Plethi auf die Aussichtsplattform, spricht vom Burj Dubai als "gebautem Dinosaurier" und gibt dem "Rattenrennen" ums Hoch-Höher-am Höchsten in der Architektur dafür um so mehr Raum.
"Man sieht es diesen Gebäuden an, dass sie fast ausschließlich um des Prestiges willen errichtet wurden…Sie wollen gar keine Häuser mehr sein, eher so etwas wie Mondraketen: auf den Zweck fixiert, in maximale (…) Höhen aufzuschließen, und zu diesem Zweck selbst nur noch ein Mittel","
lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Allerdings mag der Autor das Ulmer Münster, Rekordhalter bei den Kirchtürmen mit gerade mal 160 Meter, auch nicht.
Und wenn Sie unbedingt entscheiden wollen, wer nun Recht hat, NEUE ZÜRCHER oder SÜDDEUTSCHE, dann müssen Sie nach Dubai und selber gucken….
Das Wachstum beschleunigen, nicht in die Höhe, aber in die wirtschaftliche Breite, das will die Bundesregierung. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU nimmt das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in der Glosse "Times mager" auf’s Korn und entlarvt den Begriff als Relikt aus alten Zeiten. Das sei doch eine Art
""Fünf-Jahresplan: Unter einer christlich-liberalen Regierung, ausgerechnet, tritt etwas wieder in Kraft, dessen Überwindung unser System so verzweifelt alternativlos dastehen ließ. Nun taucht die Systemalternative im Herzen des Systems auf: Wachstum + Beschleunigung + Gesetz. Das ist in seiner Anmutung Dialektischer Materialismus vom Feinsten."
Ob Karl Marx mit dieser Deutung zurande käme? Sein "Kapital" jedenfalls ist jetzt als Hörbuch eingelesen, und die TAZ lobt das Ergebnis sehr. Besonders wie Gerd Heidenreich von der "vampyresken Einsaugung lebendiger Arbeit liest", hat es ihr angetan. Sagen wir es mal so: weder das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch die vampyreske Einsaugung lebendiger Arbeit taugen für große Lyrik.
Und so gebührt die Feuilletonkrone des Tages der FRANKFURTER RUNDSCHAU, die gleich zwei komplette Seiten der Gesamtschau des modernen Menschen und dem bahnbrechenden Dichter der amerikanischen Literatur widmet: Walt Whitman. Seine Gedichte sind in neuer Übersetzung auf Deutsch erschienen, widerborstig und sprachdurstig genau von Jürgen Brocan als "Grasblätter" statt wie bislang üblich "Grashalme" übersetzt, und wenn man Jan Wagners Artikel liest und das große Bild von Walt Whitman anschaut, diesen Rauschebart-Denker mit Wildwest-Schlapphut, dann möchte man sofort anfangen, Gedichte zu lesen. Und ganz weit weg sein von himmelsstürmenden Türmen, Wachstumsbeschleunigung und vampyrischem Saugen, scheinbar ganz unten, beim Grashalm, pardon, beim Grasblatt, und der Zeile: "Ich glaube, ein Grasblatt ist nicht geringer als das Tagwerk der Sterne"…..