Von Ulrike Timm

In seiner Kleist-Preis-Dankesrede, abgedruckt im "Spiegel", spricht Navid Kermani über den Dichter und die Gegenwart seiner Werke, die "FAZ" und die "SZ" beschäftigen das Schicksal und die Zukunft der insolventen "FR" und der Jubilar Daniel Barenboim erzählt in der "FAZ" über seine Gespräche mit Gott.
"Was ist Liebe? "" - wer so beginnt, der traut sich was. ""Was ist Liebe?" mit dieser Frage fängt Navid Kermani seine Dankesrede als diesjähriger Kleist-Preisträger an, und so sehr sich die Dichter mühten, Worte zu finden für Verheißung, Verlangen, Verzweiflung, Erfüllung und Verlassenheit - "dass die Liebe selbst ein Abgrund sein kann und gerade ihr Übermaß zerstört, das fand ich in der Literatur nirgends", schreibt Kermani. Und weiter: "Allerdings gehört Heinrich von Kleist nicht zu den Dichtern, die ich als junger Mensch las; oder wenn ich ihn las, dann konnte ich ihn noch nicht auf das eigene Erleben beziehen."

Der SPIEGEL hat die Worte gedruckt, die Navid Kermani an diesem Sonntag bei der Verleihung des Kleist-Preises sprechen wird. "Was wir von Kleist über die Liebe lernen" hat er sich zum Thema seiner Dankesrede erkoren, und was dem Schriftsteller Navid Kermani zum Dichter und insbesondere zum Dramatiker Heinrich von Kleist einfällt, das ehrt beide, den Kleistpreisträger Kermani wie den wohl immer noch verstörenden Dichter der klassisch-romantischen Literatur. "Mich bewegt das Überbordende, aber auch das Sperrige seiner Sprache", das hatte Navid Kermani bereits am Mittwoch der FRANKFURTER RUNDSCHAU über Heinrich von Kleist erzählt, dem Tag, an dem die FRANKFURTER RUNDSCHAU selbst für Schlagzeilen sorgte, eben weil sie genau das in Zukunft wohl nicht mehr tun kann.

Die Zeitung musste Insolvenz anmelden. Und auch wenn die Mitarbeiter verzweifelt "Es ist nicht das Ende der Frankfurter Rundschau" skandieren und nun "mit allem Nachdruck" das Erscheinen der Zeitung wieder einmal dauerhaft sichern wollen, erschienen allerorts vorgezogene Nachrufe. Das ruhmreiche linksliberale Blatt, das sich nie ganz entscheiden konnte, ob es denn nun eine lokale oder eine überregionale Zeitung sei, hat in seinen letzten Jahren so viele Brüche und Umgestaltungen erlebt, dass die Insolvenz der Frankfurter Rundschau tatsächlich so unerwartet nicht kam. "Ist ein Schiff, an dem über die Jahre nach und nach alle Teile ausgetauscht werden, überhaupt noch dasselbe Schiff? Ist die 'Rundschau', deren Aus jetzt endgültig droht, noch die 'Rundschau'?", fragt Peter Körte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG . Und Willi Winkler erinnert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG an ein paar Heroentaten der Rundschau, etwa an jene Ausgabe von 1999, als der damalige Feuilletonchef Wolfram Schütte, "eine ganze Zeitung nur mit Goethe füllte (und damit auch noch Anzeigen akquirierte!). Das traute sich nur die FR, die am erfolgreichsten war, als sie aus Überzeugung geschrieben wurde. Falls es wirklich aus sein sollte mit ihr, stirbt auch das erste und letzte Gebot des Journalismus, nämlich dass er mehr sein sollte als ein Gewerbe."

Wir vermuten einfach 'mal ziemlich begründet, dass der Lyriker und Geschäftsführer des Hanser-Verlages, Michael Krüger, diese Goethe -Ausgabe der Rundschau gelesen hat und auch der Kritik am journalistischen Gewerbe zustimmt. In der ZEIT unterhielt sich Krüger mit der Autorin Juli Zeh und dem Verlegerkollegen Helge Malchow über Internet, Digitalisierung und die Zukunft des Buches und ließ mächtig Dampf ab, von der neuen Vielfalt, die das Internet angeblich bietet, hat Michael Krüger nämlich noch nichts bemerkt. "Dauernd wird irgendetwas neu erfunden, aber das Einzige, was bis jetzt nicht geändert werden kann, ist, dass sich unser Gehirn für eine Seite zwei Minuten Zeit nimmt. Mehr kann es nicht leisten. Wenn ich daneben noch Musik habe und ein Ballett auf dem Bildschirm sehe und möglicherweise eine Amazon-Empfehlung in bewegten Bildern, dann sind das alles nur Lügenmärchen von einer behaupteten Vielfalt ... Es hat sich keine Netzkultur entwickelt, eher eine Netzunkultur." Soweit Michael Krüger in der ZEIT.

Die Mischung aus tiefster Konzentration und umtriebigem Multitasking gelingt Daniel Barenboim auf staunenswerte Weise seit nunmehr 70 Jahren. Alle Feuilletons gratulierten dem Dirigenten, Pianisten, Pädagogen und Kulturpolitiker Barenboim zum Geburtstag in einer Woche, die den Jubilar auch schwer beunruhigt haben wird, hat Barenboim doch nicht nur einen israelischen, sondern eben auch einen palästinensischen Pass. Mit seinem West-Eastern-Diwan Orchestra hat Daniel Barenboim nicht Frieden gestiftet, diese Formulierung wäre ihm viel zu hochtrabend und arrogant, aber Gemeinsamkeit und Gemeinschaft möglich gemacht. Das Interview, das die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit ihm bringt, ist vor den erneuten Auseinandersetzungen im Nahen Osten geführt worden und hat einen fröhlichen Geburtstags-Grundton.

Auf die Frage, ob er sich mit 70 schon Gedanken mache, was er denn irgendwann an höchster Stelle als beste Tat anführen würde, sagt Daniel Barenboim: "Ich führe solche Gespräche mit dem lieben Gott noch nicht. Aber ich habe ein sehr viel einfacheres Gespräch mit ihm, und zwar täglich. Ich sage zu ihm: 'Ich habe doch schon so viel schlechte Musik gemacht, so viele falsche Töne gespielt, ich habe so viele Gedächtnislücken und Fehler, dass ich es gar nicht verdiene, zu dir zu kommen. Also lass mich bitte einfach hier!'" - Möge ihm die Havanna nie ausgehen!