Von Ulrike Timm

722 Smileys sind das neue Alphabet der Welt, sagt „Die Welt“. Einen wutschreienden Smiley hätte wohl Erfolgsautor Daniel Kehlmann gebraucht, als er sich mal wieder über das zeitgenössische Theater aufregte – auch das Stoff für die Feuilletons.
722 kleine Zeichen zieren das Feuilleton der WELT. Smileys in allen Variationen, fröhlich-wütend-liebend-zungeschleckend, aber auch Hochhäuser, Obst, Sushi, gebrochene Herzen, Sanduhren, Elefanten und geflügeltes Geld, alles dabei. „Das kommende Alphabet“ nennt Andrea Hanna Hünninger das aus Japan stammende Zeichensystem, das sich mit rasender Geschwindigkeit in Kurznachrichten und E-Mails ausbreitet, die Ikonensprache für den technisch gerüsteten Menschen. „In wenigen Jahren wird sie sich vielleicht zu einer fünftausend Hieroglyphen umfassenden Sprache erweitert haben. Wenn man bedenkt, wie viele Wörter man aus den paar Buchstaben unseres Alphabets zusammensetzen kann, sind fünftausend Bilder doch ein Klacks, ein Kinderspiel“ frohlockt die WELT, und sieht uns schon Bildberichte als Zeugnisse unserer Zeit in fremde Welten schießen. Schließlich hat die Raumsonde Voyager, die gerade die Grenzen unseres Sonnensystems geknackt hat, ja auch Mozartmusik und Fotos mit Softeis an Bord, um Außerirdische über unser Dasein zu unterrichten. Hochhaus mit lächelndem Smiley heißt je nach Gusto „Bin zu Hause“ oder „Habe einen Superblick“, aber „Die da draußen“, meint die WELT mit Blick auf im All kreisende Raumsonden, „werden uns schon verstehen".“ – Die da drinnen übt noch. Allen 722 Symbolen zum Trotz gelingt es der Pressebeschauern nicht, einigermaßen eindeutig das schöne Wort „Empörung“ zu „übersetzen“ – nennt man das überhaupt so? und soll sie dafür den zähnefletschenden Smiley mit dem gebrochen Herzen kombinieren oder doch besser den wutschreienden Smiley mit dem Ausrufezeichen und der pieksenden Nadel?

Fragen über Fragen!
Von Empörung aber berichten die Feuilletons heute gleich mehrfach. Daniel Kehlmann empört sich über die Deutsche Erstaufführung seines Stücks „Der Mentor“, das ist eine eher kleine Meldung in der SÜDDEUTSCHEN, der WELT und der TAZ, denn über Theater, das nicht nach seinem Gusto ist, empört sich Daniel Kehlmann öfter. Die Frankfurter Aufführung hat er jedenfalls vorzeitig verlassen; der Intendant des privaten Theaters, Claus Helmer, bleibt cool: „"Man kann sich ein Stück auch zu Ende anschauen und danach drüber reden“.

Empörung – und die wird wohl Wellen schlagen – Empörung beim Wiener Burgtheater, das eine Einladung des Budapester Nationaltheaters ausgeschlagen hat, weil ungarische Kulturpolitiker kritische Worte des Burgtheater-Intendanten Matthias Hartmann zum nationalistischen Kurs in Ungarn kurzerhand so ummodelten, als habe sich Hartmann für seine Worte entschuldigt. Daraufhin sagte das Burgtheater „Wir fahren nicht“ und will nun selbst ein Festival mit aktuellen Inszenierungen aus Ungarn organisieren – aber zuhause in Wien.

Und „Empörung die dritte“ finden wir in der SÜDDEUTSCHEN und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, hier geht es um eine bitterböse Replik des Nicht-mehr-Opernintendanten von Madrid, Gerard Mortier. Der war, nach einigem Hickhack, vom Intendanten zum „künstlerischen Berater“ degradiert worden, während er sich zur Krebsbehandlung in Deutschland befand. Mortier geißelt nun die spanische Kulturpolitik. Zu Recht, meint Reinhard Brembeck in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, der innovative Mortier und die recht verschnarchte Opernszene in Madrid mussten wohl auch aneinander rasseln. Soweit die Empörung in den Feuilletons, schriftlich gefasst in unsere armseligen 26 Buchstaben und ganz weit weg von den 722 des kommenden Symbolalphabets mit Smiley und Co.

Die Zeichensprache muss wohl auch bei den drei deutschen Lieblingsworten von Sir Simon Rattle passen. Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hat sie dem SPIEGEL genannt, vielleicht zum Trost, weil Sir Simon, klug und gewandt und gewitzt wie er ist, im Interview jede Frage zu seiner Nachfolge ab 2018 wie üblich elegant abbiegt. Und welches sind nun die drei deutschen Lieblingsworte des Simon Rattle? „Auspuff“ – das Lieblingswort seiner Kinder, „Brustwartz“, kommentarlos, „einfach wunderbar“, und „Sehnsucht“, weil es das Wesen der Kunst trifft und es kein Pendant gibt für dieses wunderbare deutsche Wort. „Man müsste vielleicht mal einen Satz finden, in dem meine drei Wortfavoriten vorkommen“, so Simon Rattle gegenüber dem SPIEGEL, „aber der wäre dann nichts für Ihr Blatt.“