Von Tobias Wenzel

Das Leben des Kunstsammlers Heinz Berggruen, die Sprache des Berlusconismus und die Videobotschaft der Zwickauer Terrorgruppe beschäftigten die Feuilletons in dieser Woche - und natürlich Kleist.
De mortuis nil nisi bene. Über Tote soll man nur auf gute Weise reden. Vivien Stein scheint keine Anhängerin dieses alten Diktums zu sein. Jedenfalls behauptet sie in ihrer Biographie über den 2007 verstorbenen jüdischen Kunstsammler Heinz Berggruen, er sei ein Steuerhinterzieher gewesen, der auch noch sein Judentum ganz opportunistisch genutzt habe, um Profit zu machen. Der TAGESSPIEGEL zitierte Vivien Stein in dieser Woche mit den Worten: "Mir ging es zu weit, wie er die deutschen Emotionen missbraucht hat. Man nennt das kollektiven Philosemitismus."

Vivien Stein, als Tochter jüdischer Emigranten in New York geboren, wird man schwerlich Antisemitismus vorwerfen können. Doch das Buch und ganz besonders ein Artikel des SZ-Autors Stephan Speicher, der die Behauptungen Steins aufgegriffen hatte, lösten heftige Reaktionen in den Feuilletons dieser Woche aus. In der WELT schrieb Jacques Schuster, der größere Skandal sei nicht das Buch, sondern "dass ein seriöser Journalist die Vorwürfe ohne hinreichende Prüfung übernimmt, auf einer Zeitungsseite ausbreitet und Steins Kampfschrift damit eine Verbreitung verschafft, die sie nicht verdient." Beide, der SZ-Autor Speicher und Vivien Stein, würden nur Vorwürfe mit "gierig aufgenommen Gerüchten" mischen. Auf ähnliche Weise sei der Antisemitismus entstanden.

Sebastian Preuss kommentierte den Fall in der FRANKFURTER RUNDSCHAU so: "Die Deutschen werden sich ihren Berggruen […] nicht miesmachen lassen. Und ehrlich: Wer hat je geglaubt, dass Kunsthändler Heilige sind?"

Was haben EU-Länder mit Piepmätzen gemeinsam? Diese Frage warf die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auf. Joachim Müller-Jung antwortete: "Kein Vogel, nicht einmal der geliebte Kanarienvogel oder der verhätschelte Wellensittich, sind für das Leben im Käfig geboren. Erst recht nicht zusammen. […] Streitigkeiten bis hin zum Hinauswerfen der fremden Brut aus dem Nest sind unvermeidlich." Griechenland also schon bald eine verstoßene Vogelbrut? "Es war die Idee hinter dem Euro", konnte man in der FAZ lesen, "dass Verschiedenes sich schon angleichen würde, wenn es erst unter ein Dach gezwungen wird". Dieses Prinzip der Konvergenz und sein Scheitern seien auch in anderen Lebensbereichen zu beobachten, beim Fußball, in mancher Ehe, in der Politik und eben im Vogelkäfig.

An ihrer Sprache könne man "die Halunken am ehesten erkennen", schrieb Franz Haas zu Wochenbeginn in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, zitierte damit Karl Kraus und dachte an den abgetretenen italienischen Ministerpräsidenten: "Zukünftige Linguisten werden das Italienisch von Silvio Berlusconi noch ausgiebig sezieren". Mit dem Wort "traditore", "Verräter", habe Berlusconi jene acht Abweichler aus seinem Lager bezeichnet. Man solle diese "Verräter" erschießen und zwar in den Rücken, habe ein treuer postfaschistischer Abgeordneter daraufhin gesagt. Haas erinnerte daran, dass Mussolini einst dessen Schwiegersohn einen Verräter nannte, weil der 1943 gegen Mussolini gestimmt hatte. Mussolini ließ den Schwiegersohn als "Verräter" hinrichten. Nun ist Berlusconi kein Mörder, aber für den NZZ-Autor ein geistiger Brandstifter: "Die Sprache des Berlusconismus, der auch den Faschismus wieder salonfähig gemacht hat, ist ein Gemisch aus Brutalität und Frivolität im Dienst der Macht, und sie wird dem Land noch lange als ein giftiges Geschenk aus dieser Ära bleiben."

Die Bildsprache der Rechtsextremen untersuchte Lorenz Jäger in "Morde, auf DVD betrachtet", seinem Artikel für die FAZ. Kein Bekennerschreiben zu den rechtsextremen Morden hätten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hinterlassen. Aber dafür eine verstörende Bekenner-DVD. Das Maskottchen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" sei der rosarote Panther: "Aus den Zeichentrickfilmen hat man für die Bekenner-DVD Szenen herausgeschnitten und mit Bildern der Mordserie, der Waffen und der Opfer zusammenmontiert", schreibt Lorenz Jäger: "Keinen Moment gibt es, […] aus dem nicht das Lachen als einzige Tonspur klingen würde." Als "Paulchen’s neue Streiche" hätten die Rechtsextremen ihre Taten bezeichnet.

Thomas Kuban hat zehn Jahre lang in der rechtsextremen Szene in Deutschland und Europa verdeckt recherchiert. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schrieb er nun, er sei wenig erstaunt über die "Entlarvung der Zwickauer Zelle". Kuban verwies auf den Sänger einer rechtsextremen schwäbischen Band, der auf einem Festival in Belgien ausrief: "’Our terrorists attacks will change the world.’ Unsere Terrorakte werden die Welt verändern." Nils Minkmar greift in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG die Geheimdienste an, die die rechtsextremen Morde nicht verhindert haben: "Heute können wir nur ihr völliges Versagen feststellen, mindestens zehn Menschen könnten noch leben, wenn sie ihre Arbeit gemacht hätten. Die Dienste dienen nur sich selbst. Es ist darum richtig, sie aufzulösen." Eine Welt ohne Geheimdienste – wie wär’ das wohl?

Eine Welt ohne Heinrich von Kleist gibt es am kommenden Montag seit 200 Jahren. Mit 34 nahm sich der Dichter auf einem Hügel am Berliner Wannsee das Leben, nachdem er zuvor seine Geliebte erschossen hatte. "Sterbensfroh" hätten beide zuvor Kaffee und Rum getrunken, schreibt Volker Weidermann in der FAS und skizziert den Schriftsteller als einen "Meister der Nebensatzreihen", als einen hochsensiblen Sprachkünstler, einen vom Todeszauber faszinierten Menschen. Der habe allerdings noch in seinem Stück "Prinz Friedrich von Homburg" die Frage aufgeworfen, ob sich das schöne Jenseits überhaupt wahrnehmen lasse: "Zwar, eine Sonne, sagt man, scheint dort auch / Und über buntre Felder noch, als hier: / Ich glaubs! nur Schade, daß das Auge modert, / Das diese Herrlichkeit erblicken soll."