Von Tobias Wenzel

Die "SZ" kommentiert die Vorwürfe gegen die Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche", Fördergelder erschlichen zu haben. Die "Welt" berichtet über den antisemitischen Comic "Foreskin Man", der "Vorhautmann", der Zeugnis einer heftigen Debatte in den USA ist.
Günter Grass hat nur einen Heiligen. Und dann noch einen, "der die Götter lästert": "Sankt Sisyphos". Das kann man der Rede des Literaturnobelpreisträgers entnehmen, die er am Samstag bei der Jahrestagung der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche" hielt und die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG nun abgedruckt hat. Es geht um Albert Camus' Neudeutung des Mythos um jenen Mann, der die Götter verriet und zur Strafe in der Unterwelt einen Felsbrocken einen steilen Hang hinaufrollen musste, bis ihm der Stein wieder entgegenrollte und die Sisyphos-Qual von Neuem begann.

"Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Mit diesem Satz überraschte Albert Camus – und überzeugt Günter Grass noch heute. Den Planeten Erde hätten wir "weitgehend verunstaltet", wir müssten uns engagieren, um die Erblast unserer Nachkommen möglichst gering zu halten. Wir, das heißt: alle Bürger – und eben auch ganz besonders die Journalisten. Die lassen sich Grass zufolge leider zu leicht durch Belangloses von wesentlichen Themen ablenken. So spricht Grass von der "Lächerlichkeit der Guttenbergschen Plagiatsaffäre", die den Blick auf die folgenreiche Abschaffung der Wehrpflicht verdeckt habe.

Eine Söldnerarmee – schon bald ein Staat im Staate, fürchtet Günter Grass. Und die Journalisten müssten deshalb über ein derart gesellschaftlich und politisch relevantes Thema intensiv berichten. Im Übrigen würden Journalisten im Gegensatz zu Schriftstellern viel zu selten miteinander kritisch ins Gericht gehen. Sprach Günter Grass am Samstag, wie gesagt, auf Einladung des journalistischen "Netzwerks Recherche".

Dem SZ-Feuilleton vom Montag kann man jedenfalls nicht diesen Vorwurf machen. Denn Ralf Wiegand berichtet darin über den Verdacht, das "Netzwerk Recherche" habe durch falsche Angaben 75.000 Euro Fördergeld erschlichen. Der Vorwurf ist besonders heikel, weil es sich um einen journalistischen Verein mit ausgesprochen hohen moralischen Ansprüchen handelt. In den Worten von Ralf Wiegand:

"Schon der Verdacht, nur einen Euro an öffentlichem Geld zu Unrecht bekommen zu haben, ist [ ... ] für einen Verein von hauptsächlich investigativ arbeitenden Journalisten wie eine Leiche im Keller eines Politikers."

Der erste Vorsitzende des Vereins, SWR-Reporter Thomas Leif, geht, nachdem der zweite Vorsitzende, Hans Leyendecker von der SZ, einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer beauftragt hat, die Unregelmäßigkeiten zu prüfen. Das Geld ist vorsichtshalber zurückgezahlt. Aber es könnte ein fader Beigeschmack bleiben, wenn der journalistische Vorzeigeverein wie bisher mit erhobenem Zeigefinger den Negativpreis "verschlossene Auster" vergibt, an Einzelpersonen, Verbände und Konzerne, die die Kommunikation verweigern und sich auch dadurch verdächtig machen. Fazit von Ralf Wiegand. Der Verein braucht mehr Selbstkontrolle:

"Denn anscheinend sind auch die besten Journalisten doch nur Menschen."

Wer guter und wer böser Mensch ist, lässt sich ganz klar in dem Comic "Foreskin Man" erkennen. Der "Vorhautmann" im Superheldenkostüm rettet ein Kleinkind vor der Beschneidung durch den "Monster Mohel", einen "zähnefletschende[n] jüdische[n] Beschneider". Hannes Stein berichtet in der WELT über einen antisemitischen Comic, der zugleich abstruses Zeugnis einer heftigen Debatte in den USA ist.

Bewegungen wie "Intact America" fordern die Abschaffung der Beschneidung. Die ist in den USA nämlich immer noch Standard, auch bei Christen. Und zwar als "prophylaktische Hygienemaßnahme". Alles Quatsch, behaupten nun – ungeachtet neuer Studien – die Retter der Vorhaut. Sie fordern ein Gesetz, das das Beschneiden unter Strafe stellt. Einige dieser Aktivisten scheinen nur einen Heiligen zu haben: nein, nicht Sisyphos, sondern die Comic-Figur des Vorhautmannes.