Von Tobias Wenzel

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem 70. Geburtstag des Sängers Al Jarreau, mit Holocaust-Opfern in sozialen Netzwerken wie Facebook und mit einer US-Zeitung, die nur eine Ausgabe hat.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG würdigt den Sänger Al Jarreau zum 70. Geburtstag und den Philosophen Kurt Flasch zum 80. Und die FAZ gratuliert Teofila Reich-Ranicki zu ihrem 90. Eva Demski porträtiert die Ehefrau des lautesten deutschen Literaturkritikers so: "Das Gespräch läuft wie gewohnt, die Gäste hören Marcel Reich-Ranicki zu, Fragen werden eingeworfen, irgendwo hakt man sich fest. Ein Schauspielername fehlt, ein Filmtitel, ein einst populäres Musikstück – die Gruppe grübelt, aber nicht lange. Von der Couch her kommt die unverwechselbar dunkelgebeizte Stimme und nennt das Gesuchte. Es stimmt immer." Und das ist natürlich die Stimme von Teofila Reich-Ranicki, einer Frau, die dem Holocaust entkommen ist. Die Stimme der toten Anne Frank ist auch noch zu vernehmen: im Internet. "Anne Frank postet noch" heißt Julia Amalia Heyers Artikel für die SZ.

Denn soziale Netzwerke wie Facebook und MySpace lassen Holocaust-Opfer wieder auferstehen. So hat der achtjährige Pole Henio Zytomirski seine eigene Facebook-Seite mit derzeit fast 5000 so genannten Freunden. Allerdings ist Henio schon lange tot. Er starb 1942 im KZ. Die neue Form des Gedenkens im Netz schockiert die einen und fasziniert die anderen, so Julia Amalia Heyer in der SZ: "Dass der von den Nationalsozialisten ermordete Junge unter der selben Adresse zu finden ist wie Hulk Hogan oder Verona Pooth, dass er aufgefordert wird, Farmville zu spielen oder rosa Plüschbärbildchen geschickt bekommt, wird deshalb nicht nur als update 2.0 des kulturellen Gedächtnisses begrüßt."

So wundert man sich auch nicht, dass Anne Frank schon mehrere "Fan"-Seiten bei MySpace hat. Vom Umgang mit dem Tod eines Menschen zum Umgang mit dem oft heraufbeschworenen Tod der Tageszeitungen. Arno Widmann, der Feuilleton-Chef der FRANKFURTER RUNDSCHAU, hätte Grund genug, darüber zu jammern, wie wenige Menschen noch seine eigene Zeitung lesen. Stattdessen hat er aber einen Blick auf eine "utopische Eintagsfliege" geworfen, eine Zeitung mit nur einer Ausgabe: die San Francisco Panorama. Eine Idee des amerikanischen Autors Dave Eggers.

Der versammelte eine Gruppe von Journalisten und Designern in San Francisco, um eine ungewöhnliche Zeitung zu kreieren. Arno Widmann beschreibt die Ausgangsidee wie folgt: "Alles, was das Netz besser kann, soll im Netz bleiben oder ins Netz gehen. Dazu gehört auch die Ästhetik des Produkts. […] Das iPhone ist handlich, die Zeitung darf es nicht sein." Also ist die San Francisco Panorama, die 11,20 Euro kostet, das Gegenteil von handlich und ist die Qualität der abgedruckten Bilder, Zeichnungen und Grafiken "brillant". Und inhaltlich? Da, so Widmann, gebe es unter anderem einen zweiseitigen Artikel von Nicholson Baker über das Sterben der Papiermühlen.

Als wollte die FR San Francisco Panorama spielen, findet man auf den Seiten 32 und 33 einen ausführlichen Artikel über einen Liebhaber alter Papiermühlen. Mely Kiyak porträtiert Gerhard Steidl, der mehr ist als ein Verleger, nämlich ein Freund schöner Bücher. 3 Cent kostet ein Lesebändchen. 70 Cent ein Leinenbezug. Während andere Verleger diese beiden Dinge wegrationalisieren, setzt der Chef des Steidl Verlags darauf und ist auch in Sachen Typographie ein kompromissloser Ästhet.

Das heißt aber nicht, dass er nicht sparsam denkt: zum Beispiel beim Kauf einer High-Tech-Druckmaschine. Steidl, so die Autorin des FR-Artikels, "wollte die überschüssige Energie, die das Rechen- und Klimazentrum der Maschine im Keller abstrahlt, als Heizwärme für das Verlagsgebäude nutzen." Das hat er auch getan. Die Folge: Der Hersteller der Druckmaschine entzog ihm die Garantie für das einige Millionen Euro teure Gerät. Egal, Hauptsache warm.